Konvention gegen Gewalt gegen Frauen: „Eine echte Schatzkiste“

Nun tritt in Deutschland die Istanbul-Konvention gegen Gewalt gegen Frauen in Kraft. Jetzt geht es um die Auslegung, sagt Katja Grieger.

Frauen und Mädchen halten Schilder hoch, im Vordergrund ein rotes Paar Schuhe

Frauen und Mädchen protestieren am 25.11.17 in Lausanne gegen Gewalt gegen Frauen Foto: dpa

taz: Die Konvention des Europa­rats zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen wurde vor knapp sieben Jahren in Istanbul beschlossen, heute tritt sie in Deutschland in Kraft. Warum hat der Prozess so lange gedauert?

Katja Grieger: Deutschland hat das Abkommen erst dann ratifiziert, nachdem die Inhalte nach Ansicht der Bundesregierung umgesetzt waren. Die Konvention besagt zum Beispiel, dass alle nicht einverständlichen sexuellen Handlungen unter Strafe stehen, was in Deutschland erst seit der Reform des Sexualstrafrechts 2016 so ist. Erst danach wurde die Ratifizierung auf den Weg gebracht.

Alle anderen Inhalte der Konvention sind in Deutschland also schon umgesetzt?

Wir sehen das nicht so.

Was fehlt Ihrer Meinung nach?

Die Konvention will physische und psychische Gewalt ­gegen Frauen auf allen Ebenen bekämpfen, es geht zum Beispiel um sexualisierte und häusliche Gewalt oder Stalking. Dafür schreibt sie eine politisch-gesellschaftliche Gesamtstrategie vor. Hierzulande gibt es bisher viele einzelne Maßnahmen, geförderte Projekte oder Einrichtungen. Aber eine Strategie, bei der sich Bund, Länder und Kommunen in puncto Prävention und Intervention abstimmen, gibt es nicht. Es bräuchte auch mehr aktive Gleichstellungspolitik. Die Konvention sagt sehr deutlich, dass Gewalt gegen Frauen mit tradierten Rollenvorstellungen von Männern und Frauen zusammenhängt. Staaten, die Gewalt gegen Frauen ernsthaft bekämpfen wollen, können zum Beispiel für eine Aufwertung der Care-Berufe sorgen und generell die ungleiche Bezahlung von Frauen und Männern bekämpfen.

Katja Grieger, 44, ist Geschäftsführerin des Bundesverbands bff Frauen gegen Gewalt e. V., in dem rund 180 Frauenberatungsstellen und -notrufe organisiert sind.

Was will die Konvention noch?

Regelmäßige Forschung. Geht Gewalt gegen Frauen zurück oder nimmt sie zu? Helfen die etablierten Maßnahmen? Auch das fehlt in Deutschland: Die letzte große Studie zum Thema ist 14 Jahre alt. Und schließlich sagt die Konvention, dass für alle Betroffenen und in angemessener geografischer Verteilung ausreichend spezialisierte Hilfen angeboten werden müssen, zum Beispiel Beratungsstellen. Davon kann unserer Ansicht nach überhaupt nicht die Rede sein. Es gibt ganze Landstriche, die völlig unterversorgt sind.

Das alles erkennt die Bundesregierung nicht an?

Sie sagt, im Prinzip gebe es das alles. Wir sprechen da aber aus der Erfahrung unserer Beratungsstellen: Es gibt teils lange Wartezeiten, und die Mitarbeiterinnen müssen sich permanent mit Mangel und Überlastung auseinandersetzen.

Wird sich die Bundesregierung jetzt bequem zurücklehnen können und sagen: „Die Konvention ist doch in Kraft – bei uns ist alles super“?

Nein, wir müssen jetzt über die Auslegung streiten und verhandeln. Aber die Tatsache, dass es die Konvention gibt und mit ihr auch ein Kontrollgremium, das die Umsetzung vor Ort überprüft, gibt uns Rückenwind.

Das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen ist ein völkerrechtlicher Vertrag, der 2011 in Istanbul unterzeichnet wurde. Er schafft für die Staaten, die den Vertrag ratifiziert haben, verbindliche Rechtsnormen gegen Gewalt, schreibt die Gleichstellung der Geschlechter in den Verfassungen vor und will die Situation von Frauen mit Prävention, Bildung, Hilfsangeboten und funktionierender Strafverfolgung verbessern. Die Konvention ist bislang von 45 Staaten unterzeichnet und von 27 ratifiziert worden. In Deutschland tritt sie am 1. Februar in Kraft.

Was können Sie konkret tun?

Die Rolle der NGOs wird sehr stark gemacht. Es geht nicht nur darum, was auf dem Papier geregelt sein muss, sondern auch darum, die Erfahrungen aus der Praxis einzubeziehen. Wir können Berichte an das Gremium geben, das wiederum spricht Empfehlungen an die Bundesregierung aus. Diese Diskussio­nen, dieser Prozess der Aushandlung wird dauern.

Geht Ihnen die Konvention weit genug?

Natürlich hätte ich mir in Details andere Formulierungen gewünscht. Aber die Konvention ist das stärkste Instrument gegen Gewalt gegen Frauen, das es momentan gibt. Sie ist eine echte Schatzkiste für all diejenigen, die diese Gewalt wirklich eindämmen wollen.

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