Niederländische Eisschnellläuferin: Eine Kategorie für sich

Der Stil von Ireen Wüst ist unnachahmlich, ihre Erfolge sind einzigartig. Im Finale der Teamverfolgung will sie zum sechsten Mal Gold.

Ireen Wüst auf dem Eis

Perfekte Symbiose von Athletik und Technik: Ireen Wüst ist eine Ausnahmeerscheinung Foto: reuters

Es ist ein fließender Übergang, fast wie bei der Übergabe eines Staffelstabs oder des olympischen Feuers. 2006 in Turin holte Eisschnellläuferin Claudia Pechstein ihre letzte Goldmedaille bei Winterspielen in der Teamverfolgung, im selben Jahr ging der Stern der damals gerade 19-jährigen Niederländerin Ireen Wüst auf, sie gewann die 3.000 Meter. Nun, zwölf Jahre später, löst sie mit ihrem fünften Gold, dieses Mal über 1.500 Meter, und der zehnten olympischen Medaille Pechstein als erfolgreichste Eisschnellläuferin bei Olympischen Spielen ab. Turin sollte für Wüst der Beginn einer beispiellosen Karriere werden.

In Tilburg wird mittlerweile eine Eisbahn nach ihr benannt, sie trägt den Orden vom niederländischen Löwen, wurde mit dem Eis-Oscar geehrt, der nur den ganz Großen vorbehalten ist – Gunda Niemann-Stirnemann und Anni Friesinger sind die einzigen deutschen Athletinnen, die diesen Preis ebenfalls gewinnen konnten. Und auf dem Eisring wurde sie, das nur der Vollständigkeit halber, in diesem Zeitraum 15-mal Weltmeisterin, 19 weitere Male errang sie Silber oder Bronze.

Abseits all dieser beeindruckenden Zahlen und Erfolge ist das wirklich Faszinierende aber die Konstanz ihrer Leistungen. Nicht nur im Eisschnelllauf, in sämtlichen Sportarten ist ein steter Zuwachs der Professionalisierung zu beobachten. Die Weltspitze rückt immer näher zusammen, die Gesichter auf den Podien wechseln häufiger, Dominatoren mag es immer wieder geben, doch gerade im olympischen Kontext haben auch die es immer schwerer, die Siege einer normalen Weltcup-Saison in Edelmetall bei den Spielen umzumünzen.

Beim Eisschnelllauf der Frauen sind zwei unterschiedliche Typen zu beobachten: Technisch äußerst versierte Athletinnen, oft dafür kleiner und schmächtiger als ihre Konkurrentinnen. Und dann gibt es wahrliche Kraftpakete, wenig ästhetisch, aber mit brachialem Aufwand und Abdruck drehen sie ihre Runden. Beide Wege können zum Erfolg führen, schaue man sich bloß die zarten Japanerinnen an, die seit etwa anderthalb Jahren auf dem Vormarsch sind und in Pyeongchang bereits mehrfach auf dem Podium vertreten waren.

Holzfäller auf dem Eis

Und auf der anderen Seite sind da etwa die US-Amerikanerinnen um Brittany Bowe und Heather Bergsma, beide um die 1,80 Meter groß, motorisch eher aus der Kategorie Holzfäller*innen, die bei diesen Spielen bislang unglücklich agierten, in den vergangenen Jahren aber einen Weltrekord nach dem anderen aufstellten.

Dann gibt es noch eine dritte Kategorie, und die heißt Ireen Wüst. Gedrungen in ihrer Laufposition, den Windwiderstand auf ein Minimum beschränkend, perfekt setzt sie jeden Schritt, die Kufen unter dem Körper auf die Außenkante. Dazu ein austrainierter Körper, wie man ihn bei ihren Kolleginnen auf dem Eis meist vergeblich sucht. Ihre Kraft setzt sie dank der technischen Perfektion ohne jedes Holzfällertum um.

Vor dem Start sieht man bei ihr unglaubliche Konzentration und unfassbare Unaufgeregtheit

Die Jahre im selben Privatteam wie Sven Kramer, bei den Männern der Langstreckendominator in der letzten Dekade, haben sie offenbar mental wie physisch in einem Maße gestählt, dass die Konkurrenz ihr meist nur noch hinterhersehen kann und muss. Blickt man ihr unmittelbar vor dem Start in die Augen, erkennt man diese unglaubliche Konzentration gepaart mit einer unfassbaren Unaufgeregtheit.

Kräftig und elegant

Diese Abgebrühtheit ist natürlich auch ein Resultat der Erfolge und der Erfahrung, Wüst sind diese Züge aber so zu eigen, dass man meint, sie müssten angeboren sein. Eisschnelllauf ist in besonderem Maße eine ästhetische Sportart, Kraft und Eleganz gehen Hand in Hand. Glück spielt kaum eine Rolle, die reine Leistung zählt.

Und wie man die Sportart per se erklärt, so kann man auch Ireen Wüst beschreiben. Nach einem olympischen Rekord in der Qualifikation am Montag hat sie heute im Finale der Teamverfolgung, ihrem wohl letzten Rennen bei Winterspielen, die Chance auf ihr sechstes Gold.

Damit würde sie mit der norwegischen Langläuferin Marit Bjørgen als erfolgreichste Winterolympionikin aller Zeiten gleichziehen, der wohl letzte Schritt zur sportlichen Unsterblichkeit. Ihr privates Glück hat sie bereits gefunden: Vergangenes Jahr heiratete Wüst ihre niederländische Eisschnelllauf-Kollegin Letitia de Jong. Der Sport wird wahrscheinlich auch in den letzten Wettkämpfen von Pyeongchang so etwas wie holländische Festspiele sein. Doch tut das der Freude keinen Abbruch, den Athleten dabei zuzusehen. Besonders Ireen Wüst.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.