Im Schlund von Jesus

Mit viel Symbolkraft erzählt Małgorzata Szumowska eine Fabel über Außenseitertum und Fremdenfeindlichkeit: „Twarz“ (Wettbewerb)

Wilde Tänze zu Metallica: „Twarz/Mug“ Foto: Still: Mateusz Kościukiewicz/Berlinale

Von Michael Meyns

Wie so viele osteuropäische Länder scheint auch Polen zunehmend in der Krise zu stecken. Die Demokratie wird infrage gestellt, die Wendung nach Europa gleich mit. Konservative bis nationalistische Strömungen haben Zulauf. Gerade die jüngere Generation, die sich zunehmend nach Westen orientiert, beobachtet diese Entwicklung mit Sorge, protestiert gegen das Regime oder äußert ihre Kritik auf künstlerischem Weg. Zu ihnen zählt auch die Regisseurin Małgorzata Szumowska, die mit ihrem neuen Film „Twarz/Mug“ nun zum dritten Mal im Wettbewerb der Berlinale vertreten ist.

Im ländlichen Süden Polens ist ihre Geschichte angesiedelt, die sie selbst als modernes Märchen bezeichnet, als Fabel, die mit dementsprechend groben Strich erzählt ist. Ihr Protagonist ist Jacek, circa Mitte 20 und mit seinen langen Haaren und der Jeansjacke mit Metallica-Aufnäher schon rein äußerlich ein Außenseiter. Mit Vorliebe hört Jacek Trash Metal und tanzt auf den Dorffesten mit seiner Verlobten Dagmara wilde Tänze, entzieht sich aber den ansonsten üblichen Wodkaexzessen der männlichen Bevölkerung.

Als Satanist bezeichnen ihn die Dorfkinder nur halb im Spaß, dennoch arbeitet Jacek am Bau einer gigantischen Jesusstatue mit, die bald ehrfurchtsvoll über die Region blicken wird.

Doch dann hat er einen schweren Unfall, fällt – voller Symbolkraft – in den Schlund des riesigen Jesus und wacht nach zahlreichen Operation bald mit einem neuen Gesicht auf. Attraktiv ist er nun zwar nicht mehr, aber auch nicht fürchterlich entstellt. Dennoch wird er in der Dorfgemeinschaft nun erst recht zum Außenseiter, wird schief angesehen, von der Verlobten verlassen, selbst von seiner eigenen Familie nur halbherzig akzeptiert.

Höchst ökonomisch erzählt Mał­gor­zata Szumowska diese Fabel, gefilmt in kräftigen Breitwandbildern, die das ländliche Polen in vielen Einstellungen wie einen Spielzeugkasten wirken lassen. Verstärkt wird dieser Effekt durch extreme Unschärfen, die oft weite Teile des Bilds verwaschen erscheinen lassen und eine Art Guckkasteneffekt erzeugen, in dem die Figuren wie Miniaturen in einem Diorama wirken.

Extreme Unschärfen lassen oft weite Teile des Bildes verwaschen erscheinen. Die Figuren wirken wie Miniaturen in einem Diorama

Wie eine Versuchsanordnung wirkt dann auch der ganze Film, der mit grobem Strich eine Welt zeichnet, die von beiläufiger Xenophobie geprägt ist, in der der Katholizismus das Maß aller Dinge ist, Mitmenschlichkeit aber ein Wert ist, der nur in der Bibel steht und gepredigt, aber nicht gelebt wird.

In losen Szenen zeichnet Szumowska eine oberflächliche Gesellschaft, besessen vom ungezügelten Konsumkapitalismus, der ihr so lange verwehrt war, geprägt vom Katholizismus, doch blind für die zunehmende Ausländerfeindlichkeit, die jede beliebige Randgruppe trifft.

So berechtigt und akkurat beobachtet dieses Bild ihrer Heimat auch sein mag: Es ist bedauerlich, dass Szumowska sich nicht dazu entschieden hat, komplexere Figuren zu entwickeln und ihren Protagonisten Jacek zu mehr zu machen als zu einem Symbol für das Fremde, den Anderen. Politisch mag man das nennen, womit „Twarz“ fraglos ideal zum Selbstverständnis der Berlinale passt und im Wettbewerb gut aufgehoben ist, mehr als Vorurteile zu bestätigen, gelingt ihr jedoch nicht.

24. 2., 9.30 Uhr, FSP, 12.30 und 21 Uhr, HdBF; 25. 2., 14 Uhr, Cinemaxx 7