Der Körper erinnert

Mit Stücken von William Forsythe und Rabih Mroué eröffnete das Dance On Ensemble seine erste Werkschau im HAU

„Man made“ von Jan Martens, mit Ty Boomershine, Amancio Gonzalez, Brit Rodermund, Christopher Roman und Jone San Martin Foto: Dorothea Tuch

Von Katrin Bettina Müller

Es gibt nicht viele Choreografen, bei denen das geschieht: dass man bei der Verfolgung der von ihnen erfundenen Bewegungen plötzlich zu sehen meint, wie klug der Körper sein kann. Wie vielfältig und komplex in der Begegnung und Reaktion, wie schön in seinen Details. In Stücken von William Forsythe sind diese Glücksmomente zu erleben, aber nur noch selten ist etwas von dem ehemaligen Frankfurter Choreografen, der inzwischen in Kalifornien lehrt, in Berlin zu sehen. Christopher Roman, 1970 geboren, hat seit 1999 mit der For­sythe Company gearbeitet, zuletzt als stellvertretender Leiter. Dass er dann die Leitung vom neugegründeten Dance On Ensemble übernahm, ist ein Glücksfall für diese Ende 2015 gegründete Gruppe. Das denkt man zumindest bei dem Stück „Catalogue“ von William Forsythe, mit dem die Werkschau des Ensembles Dance On im HAU am Mittwoch eröffnet wurde.

Kleine Drehungen

Roman und Brit Rotermund bilden in „Catalogue“ ein Duo, das mit kleinen Drehungen in Schultern, Arm- und Handgelenken beginnt. Dass ihre Bewegungen stets ähnlich, aber doch abweichend sind, ihr Tempo variiert, bis sie überraschend durch kurze Synchrone streifen, erzeugt große Spannung in diesem ohne Musik getanzten Stück. Grafische Linien scheinen zwischen die Körper gespannt, sie anfangs in Rechtecken zu halten, bis er und sie mit Twists in der Hüfte, Sprüngen, Schwüngen und Drehungen in ein komplexeres Zusammenspiel gleiten. Dance On, gegründet, um modellhaft mit TänzerInnen über 40 zu arbeiten (siehe taz vom 26. 2.) ist dennoch eine junge Company, die aber, und diese Möglichkeit hat sonst keine freie Gruppe, bekannte Choreografen und renommierte Theaterkünstler beauftragen konnte, für sie Stücke zu entwickeln. Dazu gehört der libanesische Regisseur Rabih Mroué, der inzwischen in ­Berlin lebt. Er hat sich auf der einen Seite mit den Erfahrungen von Gewalt im vom Bürgerkrieg betroffenen Ländern beschäftigt, auf der anderen Seite aber auch mit Formen von Erinnerung, dem Raum zwischen Erfahrung und medialer Vermittlung.

In „Elephant“, am Mittwoch uraufgeführt im HAU, beginnt er behutsam, zärtlich beinahe. Ein Mann und eine Frau (Ty Boomershine und Jone San Martin) legen sich nacheinander in einem Lichtrechteck auf die Bühne. Langsam gleiten sie in diese und jene Haltung, teils assoziiert man die Suche nach Schlaf. Aber vermutet auch einen anderen Kontext, weil die liegenden Körper auf der Rückwand gezeichnet erscheinen, mit dunklen Strichen. Ein Gefühl von Trauer schleicht sich ein und wird bestätigt in dem Moment, in dem sich eine Zeichnung in eine Fotografie verwandelt, von einem Toten, der halb im Wasser liegt.

Selbst als sie am Ende miteinander tanzen, durchkreuzt etwas Abruptes ihr anschmiegsames Miteinander

Mroué erzählt keine Geschichten, er ist nie plakativ. Momente der Bestürzung, der plötzlichen inneren Verunsicherung durchziehen die Sequenzen, in denen Boomershine und Martin in einem Streifen Licht auf und ab gehen, oder mit scharfen, kantigen Abwehrbewegungen eine eckige Strecke absolvieren. Selbst als sie am Ende miteinander tanzen, durchkreuzt etwas Abruptes ihr anschmiegsames Miteinander. Als ob sich hier zwei begegneten, die sich nur partiell auf die Gegenwart einlassen können, bevor ein Schrecken aus der Vergangenheit sie wieder besetzt, der Körper erinnert, bevor der Verstand begreift.

Minimale Sportbekleidung

Nicht alles, was zur Eröffnung gezeigt wurde, war so gelungen wie diese beiden Stücke. „Man Made“ von dem dänischen Choreographen Jan Martens für fünf Ensemblemitglieder war in der Struktur vom Einfachen zum Komplexen dem vorausgegangen „Catalogue“ zu ähnlich. Alle fünf Teilnehmer, in minimaler Sportkleidung, scheinen einem je eigenen Trainingsprogramm zu folgen, stur und monoton unterwerfen sie sich der Anstrengung. Man denkt an die vielen Workouts, um den Körper fit zu halten, aber ein Kommentar zum Leistungshunger der Freizeitkultur oder auch zur Verweigerung der Akzeptanz des Alterns, die bei diesem Stresstest nahe gelegen hätte, stellte sich nicht ein. Muss eine Company von TänzerInnen über 40 das Alter thematisieren? Reicht es nicht, wenn sie gute Stücke machen, die auch von ihrer Lebenserfahrung als Tänzer leben? Eigentlich möchte man Letzteres bejahen, aber sie entkommen ihrem Label eben nicht.

Dance on, im HAU, bis 4. März, Programm unter www.hebbel-am-ufer.de