Debatte Brexit: Der kalte EU-Krieg

Zwischen London und Brüssel stehen die Zeichen auf Sturm. Großbritannien wehrt sich gegen das überhebliche Vorgehen der EU.

Theresa May an einem Stehpult auf dem steht „Our Future Partnership“. Ihre Hände sind links und rechts neben dem Schild zu sehen

Theresa May während ihrer Rede Foto: reuters

Es wird ernst. Wenn eine europäische Regierungschefin in ihrem Parlament zu einem Vorstoß der EU-Kommission sagt, dass kein Premierminister ihres Landes so etwas akzeptieren könne, hat Europa ein Problem – und zwar unabhängig davon, ob es um den Brexit geht, die Flüchtlingspolitik oder den Eurostabilitätspakt.

Viele Europäer denken, der Brexit sei ein britisches Problem. Aber wenn die EU nicht in der Lage ist, den Austritt ihrer zweitgrößten Wirtschaftsmacht zu akzeptieren, sagt das genauso viel über Europa aus. Die EU spricht von gemeinsamen Werten, aber agiert nach dem Recht des Stärkeren.

Die Kommission hat diese Woche einen Entwurf für einen Vertrag mit Großbritannien vorgelegt, von dem selbst EU-Enthusiasten in London sagen, damit sei der Bogen überspannt. Nordirland soll einfach weiter zum europäischen Binnenmarkt und zur EU-Zollunion gehören, wenn Großbritannien diese beiden Verbände verlässt – damit wird das Vereinigte Königreich zerlegt und eine Zollgrenze durch das Staatsgebiet eines anderen Landes gezogen. Der Europäische Gerichtshof, eine Institution der EU, klärt Streitfragen in letzter Instanz – damit wäre die EU Partei und Richter zugleich. Der Text ist als Ausformulierung der im Dezember zwischen Brüssel und London erzielten Grundsatzvereinbarung gedacht, verändert aber wesentliche Aspekte davon – damit erweist sich die EU als unzuverlässiger Partner.

Wer „EU gut, Brexit böse“ denkt, wird einwerfen: Es geht doch um die Rettung des europäischen Projekts vor Populisten. Aber, wie Theresa May am Freitag warnte: Der Rest der Welt schaut zu. Wie die EU mit einem Verhandlungspartner umspringt, den sie für schwächer hält, bleibt nicht verborgen. Wenn die EU die fünftgrößte Volkswirtschaft der Welt, mit Europas einzigem globalen Finanz­zen­trum, über den Tisch ziehen will – dann wird sie in Zukunft von niemandem Freundlichkeit zu erwarten haben. Donald Trump und Xi Jinping reiben sich die Hände. Putin und Erdoğan fühlen sich bestätigt.

Unnötig und unerträglich

Das Streitthema Nordirland macht deutlich, wie unnötig und unerträglich das alles ist. Die EU will, dass Nordirland allen EU-Regeln weiter folgt, nicht britischen Gesetzen, damit die Grenze zur Republik Irland offen bleiben kann. Sie verhält sich wie Russland mit der Ukraine oder Georgien, als diese Länder sich ihre Politik nicht mehr aus Moskau vorschreiben lassen wollten: Sie reißt sich einen Teil des Staatsgebietes des Nachbarn faktisch unter den Nagel, damit der abtrünnige kleine Nachbar seine Unbotmäßigkeit auf ewig bereut.

Einen realen Grund dafür gibt es nicht. Nordirland und die Republik Irland haben unterschiedliche Währungen und Steuersätze und viele andere Unterschiede. Das stört den freien Handel nicht. Welche Hindernisse soll da der Brexit aufwerfen? Großbritannien wird die Grenze nicht schließen. Die regulären Grenznutzer sind bekannt, ihre Zahl ist überschaubar. Das EU-Parlament hat detailliert dargelegt, dass mit gemeinsamem Grenzmanagement und moderner Technologie eine offene „smart border“ ohne Unterordnung einer Seite möglich ist.

Die Chance, Vertrauen aufzubauen, hat Brüssel verspielt

EU-Brexit-Unterhändler Michel Barnier ignoriert dies. Er handelt gemäß der britischen Karikatur eines französischen Intellektuellen, der zu einer Problemlösung sagt: „Das mag ja in der Praxis klappen, aber funktioniert es auch theoretisch?“ Überhaupt: Mit welchem Recht spielt sich eine EU als Hüterin offener Grenzen auf, die an ihren eigenen Binnengrenzen Menschen mit der falschen Hautfarbe diskriminiert und an Außengrenzen zu nichteuropäischen Ländern Mauern und Stacheldraht errichtet?

Nun produziert die Brüsseler Härte in London eine Verhärtung. Theresa May, die seit ihrem Amtsantritt 2016 auf Mäßigung setzte, zieht jetzt auch rote Linien. Das war überfällig. Es bedeutet aber auch: Die Verhandlungen werden schwieriger. Die Chance, Vertrauen aufzubauen, hat Brüssel verspielt. Die Zeichen stehen auf Streit. Der Verlierer heißt Europa.

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