Drones unter der Eisenbahn

Die junge und sehr scheue US-Künstlerin Circuit des Yeux trat am Dienstag im Kölner Gewölbe auf

Die Musikerin Haley Fohr aka Circuit des Yeux Foto: Michael Valera

Von Lars Fleischmann

In Köln schaffen es auch altgediente Läden, neue Ufer zu erobern; das Gewölbe ist solch ein Club. Nach dem Umbau im Jahr 2011 vermisste man lange Zeit ein Konzertprogramm, bis 2016 endlich der Schritt hin zum Konzerthaus getätigt wurde. Seither finden pro Jahr etwa 10 bis 15 ausgewählte Veranstaltungen unter dem schlichten Motto „gewölbe:live“ statt. Die Schirmherrschaft über das Projekt hat der Veranstalter Jan Lankisch, der auch für das zu Recht gelobte Weekend-Festival verantwortlich zeichnet. Bis jetzt traten im Gewölbe ausschließlich vielversprechende junge KünstlerInnen wie Xiu Xiu oder Jessy Lanza auf. Sie alle haben eine Nähe zu den Randbereichen der Popmusik und – Zufall oder nicht – sie offenbaren oft auch einen düsteren Sound in ihrer Musik.

Die junge US-Künstlerin Haley Fohr war also dafür prädestiniert, im Gewölbe zu konzertieren. Düster anmutendes Songwriting, imposante Drone-Sounds, eine Stimme, die eher herb männlich als weiblich klingt, sind Alleinstellungsmerkmale der 28-Jährigen: In einem Mainstream-Rahmen hätte sie sich schwerer getan, nicht so am Dienstagabend im Kölner Gewölbe, wo ein dankbares Publikum wartet.

Die aus der Industriestadt Lafayette im US-Bundesstaat Indiana stammende, mittlerweile in Chicago beheimatete Künstlerin, die sich Circuit des Yeux nennt, macht seit 2008 Musik. Zuerst taucht ihr französisches Pseudonym Circuit des Yeux („Augenkreis“) auf dem Experimental-Label De Stijl aus Minneapolis auf. Doch erst auf dem Label Thrill Jockey konnte sie mit gleich zwei Alben 2016 für Furore sorgen: „In Plain Speech“ einerseits und andererseits „Jackie Lynn“ – einem Antibildungsroman über ein Midwest-Mädchen, das in der Großstadt Drogendealerin wird.

Das Spiel mit dem Eigentlichen und dem Gestellten ist dabei nicht ausschließlich Pop-Attitüde. Noch während die ersten Klänge des Album-Auftaktsongs „Brainshift“ erklingen, rumpelt eine Bahn über den Köpfen von Fohr und ihren beiden Mitstreitern (der eine an den Drums, der andere spielt den Kontrabass) hinweg. Aber könnte das stotterige Dröhnen nicht auch aus dem Sampler der Künstlerin stammen? Die mit eben­jenem Gerät all die Sounds wiederherstellt, die man von den Alben kennt, aber live kaum spielbar wären?

Überraschenderweise erkennt man die Sängerin, die sich sonst hinter ihren langen Haaren (oder einem Vorhang) versteckt. Intendiert ist das aber nicht; der extrem scheuen Sängerin ist selbst die spärliche Bühnenbeleuchtung zu viel. Erst als diese erlischt, geht das Konzert so richtig los. Circuit des Yeux, schon mitten im zweiten Track, „Black Fly“, wechseln schlagartig von vorsichtig zu genial und imposant. Fohrs Zurückhaltung ist alles andere als Pose, sondern Überlebenstrieb; so scheint es zumindest. Neben den übrig gebliebenen Schatten, die die MusikerInnen ersetzen, erkennt man nun auch Visuals. Diese sind psychedelisch angehaucht und erinnern an alte Factory-Inszenierungen von Velvet Underground.

Die New Yorker Band darf auch musikalisch Pate stehen, auch Reminiszenzen an Neil Young gibt es. Nicht dessen folkige Seite, sondern eine äußerst kaputte, innerlich zerrissene Feedback-Version zeigt sich. Um Zerrissenheit geht es auch in den restlichen Liedern des Sets, das sich aus den Stücken des aktuellen Circuit-des-Yeux-Albums „Reaching for Indigo“ zusammensetzt. Den Unmut des Publikums ob der Ankündigung, dass nur noch ein einziges Lied folge, kommentiert Fohr trocken: „That happens.“ Eine sehr sympathische Art, den Enttäuschungen des Lebens etwas absolut Bestimmtes, Offenes und zugleich Wunderschönes entgegenzusetzen.