Kläglicher Horror

Fragwürdige Gewalterfahrungen in einer Video- und Virtual-Reality-Kunst: In einer Schau im Schinkel Pavillon ist die Arbeit von Jordan Wolfson zu sehen

Täuschend arglos: Blick in die Ausstellung von Jordan Wolfson im Schinkel Pavillon Foto: Schinkel Pavillon

Von Penny Rafferty

Jordan Wolfson steht in der heutigen Kunstwelt für zwei Dinge: Kontroverse und Verehrung. Das zeigt auch die aktuelle Einzelausstellung des US-amerikanischen Künstlers, die gerade in Deutschlands hipstem Kunstverein, im Schinkel Pavillon in Berlin Mitte, eröffnet wurde.

Auch hier möchte man die berühmt-berüchtigten Schockeffekte des Wolfson’schen Oeuvres nicht missen. Im ersten Raum wird ein hoch aufgelöster Animationsfilm auf eine aus mehreren Bildschirmen zusammengestellte Wand übertragen. Sonst findet sich lediglich ein lilafarbener Teppich im Raum, auf den sich die BesucherInnen setzen können, um das Geschehen auf der Leinwand zu betrachten. Das Setting macht sie also wieder zu Kindern, die mit ihren Augen am Fernseher kleben und ihre heiß geliebten Trickfilme sehen.

Wolfsons Zeichentrickfilm greift seine elektronisch gesteuerten Figuren aus dem Jahr 2016 mit ihren eher fragwürdigen Titeln „Coloured Sculpture“ und „Black Sculpture“ wieder auf. Bei der ersten Figur handelte es sich um einen Roboter in Form eines kleinen weißen Jungen mit rotem Haar und Sommersprossen, der mit Ketten und Rollensystemen durch einen White Cube gezerrt wurde. Die Figur erinnert an eine männliche Cinderella und löst beim Betrachter eine Reihe gegensätzlicher Gefühle aus. Wir sympathisieren, schrecken zurück, empfinden Schmerz und fühlen uns völlig unwohl. Warum aber der Titel „Coloured Sculpture“?

Viele Kritiker und Besucher erklären diesen Titel damit, dass Wolfson sich auf den Umstand beziehe, dass antike Skulpturen ursprünglich mit Farben bemalt waren, die mit der Zeit abblätterten, bis am Ende nur die kahle Alabasteroberfläche zurückblieb, die wir heute kennen.

Wolfsons „Coloured Sculpture“ reflektiert diese Transformation tatsächlich, indem sie elektronisch in höchstem Tempo an Boden und Wände geschmettert wird. Mit der Zeit erst offenbart die Figur ihre wahren Farben. Aber ist das nicht eine allzu wohlwollende und dabei offensichtlich unzureichende Erklärung? Wenn ein Künstler Begriffe verwendet, die so sehr im Diskurs um Rasse und Identität verankert sind, ist es doch sonderbar, dass niemand fragt, weshalb dieser Diskurs von Wolfsons Werk und dessen Betrachtung getrennt gesehen wird und keine Rolle spielen soll.

Die neue Videoversion von „Coloured Sculpture“, die im Schinkel Pavillon gezeigt wird, ist noch qualvoller als ihr 3-D-Gegenstück. Das Video erzählt die Geschichte eines kleinen Jungen, der Peter Pan gleich mit Wendy bricht, nachdem er sie ruiniert hat. Er verwandelt sich in verschiedene Tiere, hält Monologe als Krokodil in einem Seifenbad oder trinkt seinen eigenen Urin. Dabei fallen Sätze wie: „Wenn ich dich verlasse, wirst du mir vergeben.“ Oder: „Du wirst dich dabei erwischen, wie du dir Vorwürfe machst, und ich werde mich schließlich verändern und meinen Frieden als verstörend neue Person finden, doch du wirst nicht vergessen, dass du dich einst zu mir hingezogen fühltest.“

Die Figur geht durch viele sprunghafte Veränderungen, die mit Popsongs und körperlichen Verwandlungen unterstützt werden. An einer Stelle läuft etwa der autobiografische Song „Work“ der Rapperin Iggy Azalea, der vom Überlebenskampf und der Ausbeutung von Frauen erzählt. In dieser Szene steht die Figur auf Louis-Vuitton-Stillettos, ihr wachsen enorme Brüste und ein Hintern, der heiter umherschwingt, während die Figur sich im Kreis dreht zu Lyrics wie: „Valley girls giving blowjobs for Louboutins.“

In einer Zeit, in der misogyne, mächtige Männer wie Art-Forum-Mitherausgeber Knight Landesman oder der Filmproduzent Harvey Weinstein versuchen, ihre Gewalt gegen Frauen und Untergebene klein zu reden, um diese umgekehrt an den medialen Pranger zu stellen, wirken solche Szenen wie ein skurriler Beichtstuhl, der sexistisches Verhalten zur Poesie erklärt.

Ein bisschen erinnert es an eine Imitation von Christian Bales bahnbrechender Performance im Film „American Psycho“, in dem er einen jungen Mann spielt, der ein Doppelleben als Serienmörder und -vergewaltiger führt, sich schließlich auch stellen will, aber dem keiner glauben möchte.

So kann eben die übliche massentaugliche Reaktion aus dem Kanon der Kunsthistorie auf Wolfson etwa so lauten: Wolfsons Werk drehe sich um die „Objektivierung von Gewalt“ und nicht um die Befürwortung von Misogynie.

Die letzten beiden Werke der Ausstellung befinden sich im Untergeschoss, wo Virtual-Reality-Brillen auf zwei Säulen platziert sind. Haben die NutzerInnen einen Haftungsvertrag akzeptiert, der die möglichen Nebeneffekte der Brille anreißt, landen sie mit deren Aufsetzen auf einer belebten Straße. Dort treffen sie auf zwei Figuren, eine im roten Kapuzenpullover, die andere im blauen T-Shirt. Die Figur in Blau hat einen Baseballschläger und schlägt mit ihm auf die andere Figur ein, bis sie am Boden liegt, und tritt dann noch weiter auf ihren Kopf ein. Im Hintergrund läuft dabei die ganze Zeit das jüdische Chanukka-Gebet.

„Gewalt ist nicht das Eigentum von irgendwem, Gewalt gehört uns allen“

Jordan Wolfson

In einem Interview mit Art Forum erklärte Wolfson zu diesem Video mit dem Titel „Real Violence“, dass er das Gebet nur als „neuartiges Element“ hinzugefügt habe, dabei aber alle Referenzen zum Judentum „völlig unwichtig“ seien. Das Video wird in der Ausstellung von einer Installation mit einem Sperma-Gemälde begleitet, dessen Idee, so Wolfson beim Künstlergespräch im Schinkel Pavillon, aus einem ultrarechten Breitbart-Comic stammt.

Man sieht sich im Kampf mit einer Art Zauberwürfel aus Konzepten und politischen Ideen, deren Referenzen angeblich alle vollkommen zufällig aufeinandertreffen. Kann ein Künstler wirklich so unwissend sein, was die symbolischen Implikationen eines Werks angeht, das physische Gewalt, jüdische Gebete und ultrarechte Comics zusammenbringt?

In einem Künstlergespräch im Schinkel Pavillon sagte Wolfson zum kläglichen Horror seiner Arbeiten Folgendes: „Ich habe dasselbe Privileg, mir Gewalt anzusehen, wie alle anderen auch. Gewalt ist nicht das Eigentum von irgendwem, Gewalt gehört uns allen.“

Es ist so banal wie richtig, dass Gewalt uns allen gehört.

Aber lautet die interessantere Frage nicht, wer profitiert von dieser Gewalt? Und inwieweit geht die Beschwörung von Gewalt im White Cube dann in irgendeiner erkennbaren Weise über den Genuss von Gewalt hinaus, wie wir ihn von der Fahrt in der Achterbahn kennen – immer schön eingesperrt in das stählerne Gehäuse kommerzieller Sicherheit?

Jordan Wolfson im Schinkel Pavillon, Oberwallstr. 1, Do.–So. 12–18 Uhr, bis 1. April