berliner szenen
: Platzt die Stadt aus den Nähten

Wer etwas über die Welt erfahren möchte, sollte die Massenmedien studieren, schrieb Niklas Luhmann. Wer etwas über die Stadt erfahren möchte, in der wir wohnen, sollte U-Bahn fahren. Problem ist nur: Dieser Tage sind die Bahnen fast alle voll. Schafft es die BVG mal wieder nicht oder platzt die Stadt tatsächlich aus allen Nähten? Dass es so voll ist überall, steigert natürlich die Möglichkeit, schwarzzufahren, ohne erwischt zu werden. Steigert aber auch die Chance, sich irgendwo mit einer miesen Krankheit anzustecken. Aber wie gesagt, die Einblicke lohnen sich.

Mädchen lächeln ihr Smartphone an. Ein Plakat wirbt für Ada. So heißen nicht länger die Töchter von Freunden. So heißt jetzt auch eine Problem-App. Online-Kurztherapie, wie in dem letzten Film von Terry Gilliam vorgeführt (Film ansonsten nicht so toll). Drei Straßenzeitungsverkäufer üben sich im Kommerz. Zwei von ihnen begegnen sich im Türbereich und wissen für einen Moment nicht, ob sie sich ansprechen sollen. Gegenseitig von ihrem Produkt überzeugen. Oder grüßen wie Motorradfahrer. In der U2 sind die Leute besser angezogen als in der U8. Modells stehen lieber an den Türen, als sich hinzusetzen, weil sie ihre sehr weiten, dafür sehr kurzen Hosen nicht zerknittern wollen. Eine junge Hipsterin steigt mit einer Schale Pommes in die sehr volle U8 und isst seelenruhig weiter. Irgendwann sitzt sie genau unter dem Verbotsschild, das eine durchgestrichene Pommestüte zeigt. Drei Kinder stehen vor der Tür, an der „Türstörung“ in knallroten Lettern steht, und wundern sich lautstark, dass die Tür sich nicht öffnet.

Es setzt sich fort, unendlich, es wird auch immer schlimmer. Berlin ist so billig, dass sich die Leute, die hier wohnen, es sich leisten können, hieß es noch vor ein paar Jahren. Das jedenfalls hat sich wirklich geändert. René Hamann