Kokskonsum in Berlin: Wenn Dienstag der kleine Freitag ist

Forscher finden in Berlins Abwasser vergleichsweise wenig Kokain, aber der Konsum an Wochentagen ist hoch. Was ist hier los?

Kokainhäufchen

Prost Dienstag! Foto: dpa

BERLIN taz | Für alle, die Berlins Ruf als Partyhauptstadt und liberale Drogenmetropole hochhalten, muss es sich anfühlen wie der Emokater nach dem Rausch. Eben noch hatte das Landeskriminalamt (LKA) seine Zahlen verkündet, wonach Berlin drogenmäßig so sehr drauf ist wie nie zuvor, kommt schon die nächste Studie, die zeigt: Im internationalen Vergleich gehen die BerlinerInnen eher ab wie Nonnen beim Kaffeekränzchen.

16.077 vom LKA gemeldete Rauschgiftdelikte im Jahr 2017 hörten sich noch recht eindrücklich an, und auch der Anstieg von 42 Prozent bei den gefassten Konsumenten von Kokain (900 Fälle). Doch eine Untersuchung von Abwasserproben durch die Europäische Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht in Lissabon zeigt: Zumindest in Sachen Koks hinkt Berlin weit hinterher. Während die Partymetropolen Zürich und Barcelona mit einem Durchschnitt von mehr als 1.100 mg Kokain pro 1.000 Einwohner an Wochenendtagen die Statistik anführen, belegt Berlin mit 297 mg den letzten Platz von 17 europäischen Städten.

Im Jahr zuvor hatte London noch die Statistik angeführt. Womöglich aus Angst, von Berliner Partytouristen überrannt zu werden, hatte die Stadt an der Themse dieses Mal auf Messungen verzichtet. Einen Spitzenplatz belegt Berlin dennoch: Nirgendwo ist der Unterschied der konsumierten Menge zwischen Wochenenden und Wochentagen so gering. Spätestens der Dienstag gilt hier schon als kleiner Freitag.

Im Verhältnis ist der Anteil der Dauerkonsumenten in Berlin also besonders hoch; viele Nutzer haben Kokain in ihren Alltag integriert. In Start-up-Buden etwa mit ihren irrwitzigen Arbeitszeiten wird sich gern mit dem weißen Pulver über Wasser gehalten, das ist mehr als ein Klischee. Und doch bleibt der Konsumentenkreis begrenzt. Vermutlich ist Koks dem Durchschnittspartyberliner einfach zu teuer. Schnell frisst die nächste Mieterhöhung das ersehnte Gramm.

Womöglich gibt es aber auch eine weitere Erklärung, warum die BerlinerInnen weniger zu Koks als zu synthetischen Drogen wie MDMA greifen: Moral, oder auch Verantwortung für das eigene Tun. Während das Geschäft mit Kokain von der Herstellung bis zum Konsumenten eine Blutspur über den Erdball zieht, vor allem aber in Mittelamerika für Zehntausende Tote verantwortlich ist, lassen sich andere Drogen mit einem reineren Gewissen konsumieren. In der Stadt, die so links tickt, mit Menschen, die sich als sozial begreifen, die als Veganer keinem Tier etwa zu Leide tun, kann Koks eigentlich nicht „in“ sein. Es gibt also keine Gründe für den Kater. Viele aber für den gleichnamigen Club.

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