Album „Homotopia“ von Sam Vance-Law: Künstler für Zwischentöne

Sein Debütalbum „Homotopia“ nimmt Schwulsein ernst, ohne es zu ernst zu nehmen. Sam Vance-Law weiß Tragik und Witz zu vereinen.

Ein Mann mit Sonnenbrille auf der Nase liegt an einem Pool auf einem Liegestuhl

Sam Vance-Law Foto: J. Konrad Schmidt

Flirrende Streicher und die Bitte zum Tanz auf dem Highschoolball – weil das mit Eliza­beth nicht so lief wie erhofft. So startet der Auftaktsong „Wanted To“ von Sam Vance-Laws Debütalbum „Homotopia“. Die beiden Jungen tanzen Walzer, keine 20 Sekunden währt das Glück: „Now my nose is bleeding / And my heart is breaking / Cause I was fucked up by Lizzy’s big brother.“ Der große Bruder von Liz hat also blutig zugeschlagen. War er gar derselbe, mit dem der Erzähler eben tanzte?

Ein typischer Sam-Vance-Law-Moment, von denen in den zehn Songs seines Debüts viele folgen: Tragik und Witz, auch in der Wortwahl, gehen da ineinander – nicht zuletzt dank pointierter Twists. Sam Vance-Law hat ein Album gemacht, das Schwulsein gerade ernst nimmt, indem es Schwulsein nicht zu ernst nimmt. Oft bleiben Leerstellen, um die Storys im Kopf weiterzuspinnen. Mit Klischees spielen und diese ignorieren. Übers Leben schreiben, ohne sich anzumaßen, darüber alles zu wissen.

„Ich glaube, dass die bewegendsten Momente die witzigsten sind“, sagt der 31-jährige Kanadier, der in Berlin-Neukölln lebt. „Aber ich möchte nicht, dass der letzte Eindruck des Publikums wäre: Hach, wie lustig!“ Im Song „Isle of Man“ etwa wird eine Orgie skizziert, mit Glitzer, Muskeln und Bären, die einander ins Unterholz greifen, und Blowjobs und Opas, die blaue Pillen schlucken „to keep parts of them alive“. Das ist amüsant und zugleich tragisch. Zumal wenn man versteht, dass das Eiland als imaginärer Ort existiert, den ein verheirateter Familienvater versteckt in seinem Kopf aufsucht.

So ist auch der Albumtitel „Homotopia“ zu verstehen. Es geht nicht um eine paradiesische Utopie, sondern um handfeste Homo-Topoi, Orte mit Bodenhaftung, brutal manchmal. Aber warum eigentlich schwul und nicht queer? „Dass ich aus meiner Perspektive mit meinem Bariton eine lesbische Geschichte erzähle“, erklärt Vance-Law, „die nicht anmaßend rüberkommt, ist unmöglich.“ Es würde sich für ihn falsch anfühlen, einen narrativen Raum auszufüllen, der nicht der seine sei. Daher sind auf dem Album auch keine Trans-Storys. „Jemand anderes wird die besser komponieren als ich.“ Sam Vance-Law wird oft als Kammerpopper gefeiert. Nicht zu Unrecht, doch kann bei den überbordenden Streicherarrangements nicht der Tiefgang gemeint sein, wie Antony and the Johnsons ihn auffuhren. Sondern eher die leichte Muse wie von The Divine Comedy: wenig Pathos, dafür Schwung.

In „Gayby“ (Slangwort für das Baby eines Gay Couple) klingt, ein Dutzend Jahre nach „Brokeback Mountain“, Countrysound an. Vance-Law spielt Violine, seit er vier ist, und war im Chor-Internat. An queerer Musik liebt er erstaunlicherweise das HipHop-Kollektiv Odd Future rund um Tyler, the Creator und Frank Ocean. Songs mit starken Hooks, zu denen man singen will, hat er nun selbst komponiert. Drums, Bass und E-Gitarre drängen im Song „Faggot“ nach vorn. Doch Vance-Law verschont uns nicht vor den dunklen Seiten der Macht. Er singt aus Sicht eines Mannes, der sein Schwulsein nicht in Einklang bringt mit seiner Religion. Er erwägt daher eine „Korrektivtherapie“, um hetero zu werden: mit Gesprächen, aber auch Stromschlägen und Hypnose.

An queerer Musik liebt er erstaunlicherweise das HipHop-Kollektiv Odd Future rund um Tyler, the Creator und Frank Ocean

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Jene corrective therapy wird nach wie vor in den USA angewendet. Selbst in den Bundesstaaten, die sie bisher gesetzlich untersagt haben, greift das Verbot nur bei staatlich anerkannten Therapeuten. Christliche Fundamentalisten dürfen im Sinne der Religionsfreiheit weiter hypnotisieren. Nicht selten mit tödlicher Konsequenz, die auch Vance-Law benennt: „Then [I] climb in my bathtub and slit my wrists / cause I’m a faggot“.

Im selben Song werden Zeilen von Christopher Isherwood zitiert, der mit seinem Dichterfreund W. H. Auden einst durchs schwule Berlin tingelte. Man darf sich Vance-Law keinesfalls als Griesgram vorstellen, eher als Grinse-Boy. Der Antrieb für das Album war, Schwulsein weder aus der Opferperspektive heraus zu erzählen noch blauäugig abzufeiern. Vance-Law, der Literatur studiert hat, ist ein Künstler für die Zwischentöne, sie stehen nicht im Gegensatz zum campy Orchesterpomp, sondern tauchen gerade dort auf, wo sie sich verstecken ­ließen.

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