Kolumne Die eine Frage: Die Mitte ist linksgrünversifft

Das Attentat auf Rudi Dutschke jährt sich zum fünfzigsten Mal. Es ist ein unauslöschlicher Moment der deutschen Geschichte. Was bedeutet er heute?

Schwarz-weiß-Foto von Rudi Dutschke

Rudi Dutschke während einer Diskussion, 1977 Foto: dpa

Vor ein paar Tagen lief ich zufällig in Marek Dutschke hinein und fragte ihn nach dem Buch seiner Mutter, eine Feier der emanzipatorischen Revolte von 1968 („Worauf wir stolz sein dürfen“). Naja, Gretchen versuche, die Gelegenheit zu nutzen, um bei Lesungen das Banner an die jungen Leute weiterzugeben, sagte Dutschke, der offiziell Rudi-Marek heißt. In ein paar Tagen jährt es sich zum 50. Mal, dass sein Vater am Gründonnerstag auf zwei Kugeln in den Kopf geschossen bekam. Er starb ein Jahrzehnt später an den Folgen, kurz vor Mareks Geburt.

Das Attentat auf Rudi Dutschke, die Stimme der außerparlamentarischen Opposition („APO“) von 1968, ist ein unauslöschlicher Moment in der deutschen Geschichte. Man kann und man darf nicht vergessen. Das bedeutet aber nicht, ein weiteres Mal auf der nach ihm benannten Straße vor das Springer-Hochhaus zu ziehen und Gut-Böse nach zu spielen. Es bedeutet, sich klar zu machen, wohin eine eskalierende Polarisierung einer Gesellschaft führt, das meint auch die europäische und die der Welt. Sie führt in die Gewalt.

Jetzt sind unsereiner Milieus groß und müde geworden in einer ideal-bequemen „Ja, aber…“-Kultur der theoretischen Dissidenz. Mit goldenem Löffel geboren, Friede, Freude, Festanstellung. Volles Ja zum Leben in den Verhältnissen, gepaart mit einem Post-68er-Verbalwiderstandsmodus gegen die „Verhältnisse“ als Ausweis der eigenen intellektuellen und moralischen Exzellenz. Nur dass seit einiger Zeit alles immer komplizierter wird und damit auch die eigene Verortung.

Die Guten und die Bösen

Manchen halten daher fest an dem Selbstbild, „für“ soziale Gerechtigkeit zu sein, während böse Andere (Spahn, Lindner) angeblich strikt dagegen sind. Wenn man dazu alle dreißig Minuten „Da fehlt eine Frau“ ruft, kommt man halbwegs durch. Das stimmt und passt immer. Eine größere Freude hätte uns die AfD dann gar nicht machen können, als das Prädikat „linksgrünversifft“ zu verleihen. Endlich sind wir wieder wer!

Aber was bedeutet „linksgrünversifft“ denn genau? Es meint die emanzipatorische Normalität einer freien Gesellschaft, die von einem illiberalen Rand angriffen wird. Das heißt, dass man sich 50 Jahre nach 1968 klar machen muss, wo man steht. Auch immer noch am Rand, um diese Gesellschaft anzugreifen. Oder in der Mitte, um dort das Erbe von 1968 in Kompromissen mit unähnlichen anderen demokratischen Gesellschaftsgruppen zu verteidigen. Und was die Grünen angeht: Es wäre tödlich, die Stillstandsphase der neuen Übergangsregierung mit alten Spielchen zu vergeuden. Wer die zukunftsentscheidenden Fragen Europa und die Erderhitzung wirklich ernst nimmt, der kann kein „Gegenpol“ mehr sein. Der muss führende Kraft werden. Muss alte Links-Rechts-Kultur überwinden, das Progressive und das Konservative verbinden, denn das ist ist die Voraussetzung für ein neues, ein sozialökologisches Zeitalter.

Klares Ja, ohne Aber

Das heißt nicht, dass man radikal sein darf. Man muss. Aber richtig. Eine radikale Europa-Position ist eben keine des „Ja, aber…“. Radikal heißt hier: Klares Ja, ohne Aber. Mit dieser Alternative zu allen anderen Parteien hat Macron aus einem ausgelaugten Parteiensystem eine neue Mehrheit herausgebrochen.

Wenn man zurückfällt in einen Gut-Böse-Modus, wie das andere anbieten, dann spielt man deren Spiel und verhärtet deren Front. So haben 1968 die einen Ideologie geliefert, um Dutschke zum Abschuss freizugeben. Und die anderen, um wenig später Schleyer zum Abschuss freizugeben.

Wenn wir etwas aus uns und anderen rauskitzeln müssen in den nächsten Jahren, dann nicht das Schlechteste. Wenn wir hoch gehen und die anderen runter, dann sind am Ende alle unten.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Chefreporter der taz, Chefredakteur taz FUTURZWEI, Kolumnist und Autor des Neo-Öko-Klassikers „Öko. Al Gore, der neue Kühlschrank und ich“ (Dumont). Bruder von Politologe und „Ökosex“-Kolumnist Martin Unfried

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.