Die Wahrheit: Endlich mal ein lustiger Text zu Ostern

Himmelherrgott, was genau ist an Ostern so schwer zu verstehen? Ein Atheist bekennt, Eier und Schoki sind auch im Spiel.

Karikatur von einem Fernsehteam, das einen Mann mit Bart im Sessel auf einer Wolke interviewt. Er sagt: „Wichtig finde ich ja, dass man an sich selbst glaubt.“

Illustration: Kittihawk

Der Atheist steht im Garten und, wie so vielen anderen Dingen auch, Ostern mit völliger Ratlosigkeit gegenüber. Sein Blick ist eigentümlich müde und leer, seine Arme hängen schlaff herab, an seiner Unterlippe bildet sich ein Speicheltropfen, verdickt sich langsam, wird zusehends bauchig, tropft ihm endlich – platsch! – zu Füßen. Und noch immer ist der Atheist so schlau wie zuvor. Weihnachten ist, wenn „Last Christmas“ im Radio läuft. Aber Ostern?

Hinzu tritt, beseelt und beschwingt aus dem Gottesdienst kommend, die tief gläubige Gattin des Atheisten. Zart legt sie ihm ihre Hand auf die Schulter, ahnt seine Not, eilt erklärend zu Hilfe: „Stell dir einfach vor“, hebt sie an, „ein Zwilling reist als Astronaut mit Lichtgeschwindigkeit durch das All. Bei seiner Rückkehr von dieser Reise wird er jünger sein als sein auf der Erde verbliebener Bruder, weil in der vierdimensionalen Raumzeit eine Gerade die zeitlich wellenförmigste aller Routen ist – je nachdem, welche Uhr man benutzt!“

Die jüngste Erkenntnis

Der Atheist, dankbar, nickt beflissen: „Die Paradoxien der allgemeinen Relativitätstheorie in Korrelation zum Zwillingsparadoxon sind mir, Liebling, gerade im Hinblick auf jüngste Erkenntnisse über das Verhalten von Myonen im Teilchenbeschleuniger durchaus ein Begriff. Hingegen verstehe ich schlicht nicht, warum und was genau wir dann an Ostern feiern.“ Die Frau des Atheisten lächelt recht milde über ihren Irrtum, kramt kurz in ihrem katechistischen Langzeitgedächtnis und entrollt denn auch endlich das passende Wissen.

An Ostern, erklärt sie, feiere der christliche Teil der Menschheit die Auferstehung Christi von den Mausetoten, also die von Gott dem Herrn in der Höh’ auf ungeklärte Weise und vermutlich aus östlicher Richtung bewerkstelligte Auferweckung des Messias von den Abgelebten, unter die er gefahren war zwecks Begleichung aller unserer Sünden, mutmaßlich per Praypal, um anschließend noch vierzig volle Tage unter seinen Brüdern zu wandeln und Erbauliches über das Himmelreich zu berichten, welches in Augenschein zu nehmen er in den drei Tagen seines Totseins offenbar ausreichend Zeit hatte und wohin er nach verstrich’ner Frist denn auch in einer weißen Wolke zurückkehrte, diesmal mehr oder weniger endgültig, da sei sich die theologische Forschung noch nicht ganz sicher. Was daran so schwer zu verstehen sei?

Das verknäulte Fest

Der Atheist seufzt. Er liebt seine Frau. Deshalb sagt er nichts. Sehr wohl sieht er sich in der Lage, noch jedem absurden Plot oder Gedanken mühelos folgen zu können, sei’s „Unendlicher Spaß“ von David Foster Wallace, seien es fünf Minuten mit Slavoj Žižek auf YouTube. Auch schreckt es ihn nicht, dass Ostern auf extrem verknäulte Weise mit dem jüdischen Pessach verwandt oder in drölfzig einander widersprechenden oder überbietenden Varianten überliefert ist, von Matthäus über Ambrosius von Mailand bis zur messianischen Wiederkunft von Neo in der „Matrix“.

Nein, den Atheisten dauert mit Blick auf seine Ehefrau vielmehr, dass vernunftbegabte Menschen an derlei Märchen wirklich und wahrhaftig glauben: „Bedenke, dass wir es mit einem jüdischen Zombie zu tun haben. Und sonntäglich rituell sein Blut zu trinken, macht uns das nicht zu Vampiren? Streng genommen?“ Da nimmt ihn die tief gläubige Gattin streng in den Schwitzkasten und rubbelt ihm mit ihren Knöcheln scherzhaft, aber auch einigermaßen schmerzhaft über den Schädel.

„Noli me tangere!“, röchelt der Atheist und windet sich, aber seine Gattin verstärkt noch heftig Druck und Tadel: „Sei nicht naiv! Natürlich glauben wir Gläubigen nicht an einen solchen Voodoo. Wir tun doch nur so, als ob! Alle tun nur so, als ob, vom Papst bis hinunter zum Konfirmanden. Je tiefer der Glaube, desto als ob. Es ist dies“, fügt sie feierlich hinzu und entlässt ihr Opfer endlich, endlich aus der lehrreichen Umklammerung, „das Betriebsgeheimnis einer jeden Glaubensgemeinschaft!“

Der Atheist reibt sich den Kopf. Ihm ist, als habe seine Frau den schweren Stein der Unwissenheit vor dem Eingang zum Grab seiner Erkenntnis beiseite geschoben. Nun ist er geblendet von so viel Einsicht in die Natur des Menschen. Gerade möchte er die Frage anschließen, was diese Theologie mit Eier legenden und versteckenden Hasen zu tun haben mag, wo doch in Gottes schöner Natur und auf seinen rätselhaften Ratschluss hin alleine das Schnabeltier … da kommen endlich die Kinder in den Garten getanzt, Hand in Hand, mit schwingenden Zöpfen und geröteten Wangen: „Ist alles bereitet zur Suche?“

Aber natürlich ist es das. Zur Erheiterung der Kinder und auf Geheiß der Gattin hat der Atheist schließlich den ganzen Vormittag in Hecken und Sträuchern das gewissenhafte Ausbringen industriell produzierter, eigenhändig im Einzelhandel eingekaufter Süßigkeiten bewerkstelligt. Sie sind nun, obschon von obszöner Farbenfreude, ebenso vollkommen im Gelände versteckt, wie sich noch immer der Sinn des ganzen Unterfangens seinem Verständnis entzieht.

Der Kampf Ei um Ei

Nun wieseln sie erwartungsfroh durch die Botanik, die Kinder. Hier ein Jauchzen, da ein Jubilieren. Mit Wohlgefallen sieht der Atheist, wie seine stundenlangen Bemühungen innerhalb weniger Minuten völlig zunichte gemacht werden. Ei um Ei. Seine gläubige Gattin deklamiert derweil aus Briefen an Römer und Korinther („Nun aber ist Christus auferstanden von den Toten als Erstling unter denen, die entschlafen sind“) und rührt äußerst dumpf eine kultische Trommel, um die Dramatik des Geschehens noch zu unterstreichen.

Der Atheist sieht’s mit Wohlgefallen. Wir tun dies, weil wir glauben, die Kinder glaubten daran. Und die Kinder tun mit, weil sie glauben, die Eltern glaubten daran. Als ob. Nächstes Jahr, bangt er, wird der Nachwuchs vielleicht schon zu groß sein für dieses Theater – und sich doch erneut auf die Suche machen, schokoladenhalber. Sie werden die Eier finden, öffnen und sehen, dass sie innen hohl sind. So werden sie lernen, dass das Leben voller Enttäuschungen ist. Inzwischen haben die Kinder alle Eier gefunden und verspeist. Trotzdem suchen sie weiter. „Ich glaube, das war’s!“, ruft die gläubige Gattin. „Na ja“, fügt der Atheist hinzu, „die Hoffnung stirbt zuletzt.“

Da wenden sich ihm die Kinder zu, durchglüht von Empörung: „Wie kannst du so etwas sagen? Wenn wir heute etwas fürs Leben gelernt haben, Väterchen, dann doch dies: Die Hoffnung stirbt nicht! Weil das große Ganze in Gott ist, weil er uns mit der Auferstehung Jesu Christi zu verstehen gegeben hat, dass er auch Herr über den Tod ist. Amen!“

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