heute in hamburg
: „Sie wollen wissen: Hast du Tote gesehen?“

Foto: Tobias Scharnagl

Mohammad Khalefeh, 21, ist Kulturmittler bei Kids Welcome und besucht mit dem Projekt „Walk in my shoes“ Schulen.

Interview Tobias Scharnagl

taz: Herr Khalefeh, vor drei Jahren sind Sie aus Damaskus geflüchtet, Ihr bester Freund starb vor Ihren Augen bei einem Raketen­angriff. Heute erzählen Sie Fünftklässlern Ihre Geschichte. Warum?

Mohammad Khalefeh: Es geht nicht darum, Kindern Angst zu machen. Kinder sind klug: Sie sollen wissen, warum wir, die Geflüchteten, hier sind. Sie sollen sehen, dass wir Menschen sind, mit eigenen Geschichten. In Syrien hatte ich die Wahl: Entweder ich gehe zum Militär und töte – oder ich sterbe. Vielleicht fragen die Kinder sich: Warum nehmen die unser Geld? Warum unsere Arbeitsplätze? Ich versuche zu zeigen: Wir sind nicht nur hier, weil wir hier sein wollen. Sondern auch, weil wir müssen.

Wie reagieren die Kinder?

Bisher habe ich drei Schulen besucht. Die Kinder sitzen mit großen Augen da, hören zu, fragen neugierig nach: Wie ist das Leben in Syrien? Wie war es vor dem Krieg? Lebt deine Familie noch? Hast du Kontakt zu deiner Mutter? Hast du Tote gesehen? Wie bist du über das Meer gekommen? Wie viel kostet das?

Beantworten Sie alle Fragen?

Zehnjährigen kann ich nicht alles erzählen. Abi­turienten kann ich vielleicht sagen, wie eine Rakete meinen Freund zerriss, Jüngeren nicht. Darum arbeiten wir mit einer Pädagogin zusammen. Dass ich drei Wochen unterwegs war, zu Fuß, mit dem Bus, auf dem Schlauchboot, mit 40 anderen – das erzähle ich den Schülern; ebenso, dass ich für meine Flucht 7.000 Euro gezahlt habe.

Die Kinder sollen „spielerisch und interaktiv“ lernen, was Flucht bedeutet. Wie soll das gehen?

Auf einer Karte zeige ich den Kindern meine Fluchtroute über den Balkan. In einem Rollenspiel gibt mein Kollege Ayoub Hoseyni einen iranischen Arzt, der nur Persisch spricht. Die Kinder sollen ihm klar machen, dass sie krank sind und Schmerzen haben. Sie merken schnell, wie schwer das ist, wenn man nicht dieselbe Sprache spricht. Solche Situationen passieren dir auf der Flucht dauernd. Die Kinder erleben eine andere Perspektive.

Warum wollen Sie mit Ihrem Projekt „Walk in my shoes“ den Deutschen Integrationspreis?

Wir wollen unser Projekt nicht nur in Hamburg an die Schulen bringen, sondern deutschlandweit. Das kostet Geld. Ich wünsche mir, dass die Schulen uns Zeit geben mit den Kindern. Wer weiß: Vielleicht wird unser Projekt einmal Teil eines eigenen Schulfachs?

Präsentation des Hamburger Geflüchteten-Projekts „Walk in my shoes“ und vier weitere Initiativen: 12 Uhr, Rindermarkthalle