11. April 1968, 16.35 Uhr am Ku’damm: Das Attentat auf Rudi Dutschke

Ob er sich eigentlich bedroht fühle? Rudi Dutschke reagiert betont gelassen auf die Frage, die ihm Anfang April 1968 ein Journalist stellt. Er fühle sich „persönlich überhaupt nicht bedroht“, antwortet der 28-Jährige undogmatische Sozialist, der für die Öffentlichkeit der Inbegriff studentischen Aufbegehrens und der antiautoritären Revolte ist. Dutschke ist das Hassobjekt des „anständigen“ Deutschlands. Mehrfach hat er als Vorsichtsmaßnahme bereits die Wohnung gewechselt. Neben die Tür seiner bislang letzten Unterkunft haben Unbekannte „Vergast Dutschke“ in roter Farbe geschrieben.

Trotzdem sei es „eine Übertreibung“, dass in Westberlin so etwas wie eine Pogromstimmung entstanden sei, findet Dutschke. Es ist sein letztes Interview, bevor es geschieht.

Am Morgen des 11. April 1968 um 9.10 Uhr steigt Josef Bachmann am Westberliner Bahnhof Zoo aus dem Interzonenzug aus München. Er macht sich auf die Suche nach Rudi Dutschke. Bachmann befragt Taxifahrer, klingelt bei der Kommune I an, wo ihn Rainer Langhans auf das SDS-Zentrum am Kurfürstendamm verweist. Dort geht er am Nachmittag hin.

Bachmann ist viereinhalb Jahre jünger als Rudi Dutschke und stammt ebenfalls aus der DDR. Der Hilfsarbeiter und Kleinkriminelle ist Waffennarr mit engen Verbindungen in die Neonaziszene. Im Gepäck hat er einen Revolver und einen Artikel aus der Deutschen National-Zeitung mit der Überschrift: „Stoppt Dutschke jetzt! Sonst gibt es Bürgerkrieg.“

Um 16.35 Uhr begegnen sich Bachmann und Dutschke. Der war zum Ku’damm geradelt, um Material für einen Konkret-Artikel aus dem SDS-Zentrum zu holen und um Nasentropfen für seinen Sohn Hosea-Che zu besorgen. Da die Apotheke noch Mittagspause hat, wartet er auf seinem Fahrrad, als Bachmann auftaucht. „Sind Sie Rudi Dutschke?“, fragt der ihn. Dutschke zögert, dann antwortet er: „Ja.“ Bachmann zieht seinen Revolver und schießt dreimal. Der erste Schuss geht in die Wange, dann – Dutschke liegt bereits am Boden – trifft er den Kopf und die Schulter.

Während Bachmann davonläuft, richtet sich der schwerverletzte Dutschke noch mal auf und torkelt blutverschmiert ein paar Meter, bis er zusammenbricht. Passanten betten ihn schließlich auf eine Parkbank vor dem SDS-Zentrum. Halb besinnungslos schreit er nach Vater und Mutter, ruft „Mörder“, „Ich muss zum Friseur“ und „Soldaten, Soldaten“. Die Reaktionen von Vorbeigehenden fallen unterschiedlich aus. Einige sind sichtlich betroffen. Doch nicht alle. „Sieh mal an, wenn’s ans Sterben geht, ruft sogar der nach Vater und Mutter“, sagt einer. „Man braucht ja nicht gleich zu schießen, aber dass der mal einen Denkzettel abgekriegt hat, ist ganz gut“, findet ein anderer.

Die Flucht Bachmanns dauert nicht lange. Ein paar Straßen weiter kann ihn die Polizei nach einem Feuergefecht festnehmen. „Ich war so im Hass, ich hatte so eine Wut“, wird er später als Motiv für seine Tat angeben. Am 24. Februar 1970 bringt er sich im Gefängnis um. Zu seiner Beerdigung schickt Dutschke einen Blumenstrauß mit der Aufschrift: „Ein Opfer der Klassengesellschaft.“

Dutschke überlebt schwer verletzt – zunächst. In Notoperationen können ihm die beiden Kugeln aus seinem Kopf entfernt werden. Mühselig lernt er wieder lesen und schreiben. Aber elf Jahre später erweisen sich die Schüsse doch noch als tödlich: Am 24. Dezember 1979 erleidet Dutschke einen epileptischen Anfall – eine Spätfolge des Anschlags. Er ertrinkt in seiner Badewanne. Am 3. Januar 1980 wird er auf dem Berliner St.-Annen-Kirchhof in beigesetzt. Pascal Beucker