Gastkommentar Cannabis-Freigabe: Gechillt Kiffen bringt mehr Sicherheit

Rauchzeichen aus Berlins SPD-Fraktion: Die unsinnige Verfolgung von Cannabis-Konsumenten halte Polizei und Justiz von der Arbeit ab.

Cannabis-Pflanzen

Auch bei Berlins SPD ist Cannabis-Grün jetzt eine Farbe der Hoffnung Foto: dpa

Das Thema polarisiert: Soll Cannabiskonsum generell erlaubt werden oder nicht? Auf den ersten Blick scheint die Legalisierung ein Zugeständnis an die Konsumentinnen und Konsumenten zu sein: ein Freibrief für den Rausch – ohne Angst vor Strafverfolgung. Neben Alkohol und Zigaretten stünde damit ein weiteres, legales Suchtmittel zur freien Verfügung.

Warum sollte die Politik das wollen? Anders als den Grünen geht es uns Sozialdemokraten nicht darum, einer bestimmten Lifestylegruppe das Leben zu erleichtern. Wir sind keine Fans von Kiffer-Romantik, Marihuana-Mythos oder einer Zulassung des Eigenanbaus à la Cem Özdemir. Uns schwebt eine kontrollierte Abgabe an Erwachsene vor, um so den unkontrollierten Schwarzmarkt mit allen negativen Begleiterscheinungen endlich zu beseitigen. Und es geht uns um die Entkriminalisierung mehrerer Millionen Menschen in Deutschland.

Denn wir müssen angesichts der gescheiterten repressiven Drogenpolitik, die in ihrem Geist noch weit im vergangenen Jahrhundert fußt, endlich die gesellschaftlichen Kollateralschäden erkennen. Weder in der Gesundheits- und Präventionspolitik noch in Sicherheitsfragen haben sich die Strafbarkeit des Cannabisbesitzes bzw. fehlende staatlich kontrollierte Vertriebswege bewährt.

So paradox es klingen mag: In unseren Augen würde unsere Gesellschaft durch „erlaubtes Kiffen“ nicht gefährlicher, sondern sicherer. Das ist unser Hauptargument! Deswegen arbeiten wir mit der rot-rot-grünen Koalition an einem Modellprojekt für die kontrollierte Abgabe von Cannabis.

Zu der Überzeugung, dass das der bessere Weg ist, sind wir nicht leichtfertig gekommen. Seit mehr als einem Jahr beschäftigen wir uns in der SPD-Fraktion intensiv mit dem Thema. Wir haben eigens Konferenzen mit Experten und Betroffenen dazu abgehalten, haben Fachleute immer wieder gehört oder ihren Rat eingeholt. Auch mit Polizisten stehen wir intensiv im Kontakt. Und die sagen immer wieder das eine: Wir wollen lieber echte Verbrecher jagen als kiffende Touristen!

Denn die Verfolgung von Konsumentinnen und Konsumenten bindet wichtige Ressourcen, die an anderer Stelle fehlen. Nutzen und Kosten stehen heute in keinem Verhältnis zueinander. Jedes Jahr gibt es in Deutschland über 150.000 Ermittlungsverfahren im Zusammenhang mit Cannabis, die fast alle im konsumnahen Bereich geführt werden. Drei Viertel dieser Fälle werden letztlich eingestellt. Ein immenser Aufwand ohne Wirkung!

Wir sind keine Fans von Kiffer-Romantik. Uns schwebt eine kontrollierte Abgabe an Erwachsene vor

Wenn wir aus der Statistik wissen, dass in manchen Alterskohorten fast jeder zweite Jugendliche Erfahrungen mit Cannabis gemacht hat, dann dürfen wir auch dieses Faktum nicht verdrängen. Wir können doch nicht knapp die Hälfte unseres Nachwuchses kriminalisieren und in die Illegalität schieben.

Eben das sieht inzwischen auch die Polizei so. Entsprechend forderte jüngst sogar der Bund Deutscher Kriminalbeamter, Kiffen endlich zu erlauben und sieht die bisherige Drogenpolitik als nicht zielführend an, ja als gescheitert. Eine repressive Cannabispolitik hält die Bevölkerung nicht vom Konsum ab, dafür aber unsere Polizei und Justiz von ihrer Arbeit.

Ein weiterer Punkt, der für die „regulierte Legalisierung“ spricht, sind die positiven Effekte für die Gesundheitspolitik und Präventionsarbeit. Solange Marihuana rauchen verboten ist, kommen wir viel schwerer an die Betroffenen heran. Dies gilt insbesondere für die stark gefährdete Gruppe der Jugendlichen, denn gerade in diesem Alter kann der Cannabiskonsum die Gehirnentwicklung negativ beeinflussen. Und das muss dringend in den Schulen stärker thematisiert werden.

Daher nochmal: Ein Verbot führt nicht zwingend zu mehr Schutz, sondern kann genau den gegenteiligen Effekt haben und die gesundheitlichen Gefahren für die betroffenen Menschen erhöhen.

Natürlich soll es auch zukünftig ein uneingeschränktes Abgabeverbot für Cannabis an Kinder und Jugendliche geben. Das ist beim Alkohol – völlig zurecht – ja nicht anders. Zudem muss der Jugendschutz gestärkt werden. Aber die Stigmatisierung von Marihuana hat noch keinem suchtgefährdeten Jugendlichen weitergeholfen und wird dies auch in Zukunft nicht tun.

Stattdessen verhindert das Verbot den Zugang von Jugendlichen zur Prävention, was Pädagogen immer wieder beklagen. Die Fachstellen für Suchtprävention kritisieren zurecht, dass die vorherrschende Rechtslage das Erreichen ihrer Zielgruppen erschwert. Es ist für uns daher ein Gebot des gesunden Menschenverstandes, in Suchtfragen nicht die Strafe, sondern die Fürsorgepflicht in den Mittelpunkt der Politik zu stellen.

Das Modell der Amsterdamer Coffee-Shops ist nicht geeignet für einen staatlich regulierten Cannabiskonsum

Letztlich zeigen die Kriminalstatistiken auch, dass ein Cannabis-Verbot weder das Angebot verringert, noch die Nachfrage senkt. Konsumenten sind derzeit dem unkontrollierten Schwarzmarkt ausgeliefert. Von diesem profitieren dubiose Schwarzhändler, die zudem den Stoff auf Kosten der Gesundheit ihrer Kunden mit Blei oder Kleber strecken.

Wir lassen zu, dass Konsumentinnen und Konsumenten auf dem Schwarzmarkt gepanschtes Cannabis beziehen und dort auch schnell in Kontakt zu härteren Drogen kommen, angefixt durch zwielichtige Dealer im Halbdunkel unserer U-Bahnstationen. Auch deshalb brauchen wir für Marihuana seriöse Abgabeorte mit seriöser Beratung wie beispielsweise in Apotheken oder anderweitigen staatlichen Abgabestellen. Eine so regulierte Legalisierung würde dem Schwarzmarkt die Grundlage entziehen und gleichzeitig mehr Verbraucherschutz bieten.

Bei allen Vorteilen muss jedoch deutlich gesagt werden: Eine Legalisierung ohne Regeln, Grenzen und Kontrollen kommt für uns Sozialdemokraten nicht in Frage. So ziehen wir eine klare Grenze beim Thema Cannabiskonsum und Autofahren. Wer berauscht fährt – ob nun durch Bier oder Gras – gefährdet sich und andere.

Wir sind außerdem davon überzeugt, dass das Modell der Amsterdamer Coffee-Shops nicht geeignet ist für einen staatlich regulierten Cannabiskonsum. Wir wollen keinen Drogentourismus in der Stadt haben!

Was wir mit einem Modellprojekt testen wollen ist eine kontrollierte Abgabe von kontrolliert angebautem Marihuana. Vielleicht vergleichbar den staatlichen Alkoholgeschäften in Norwegen. Bestehende Werbeverbote werden wir dabei erhalten, denn wir wollen mitnichten eine neue boomende Kifferindustrie schaffen und genauso wenig die gesundheitliche Aufklärung unterlaufen.

Cannabis-Pflanzen in Dose

Auf Rezept gibt es Cannabis bereits Foto: dpa

Zur Wahrheit gehört allerdings, dass das geplante Modellprojekt ohne eine umfassende Reform des Bundesrechts nicht einfach umsetzbar sein wird. Es wird also darauf ankommen, wie sich der Bundestag zukünftig in der Frage verhält. Hier wird die bestehende Gesetzeslage wohl geändert werden müssen – ist sie doch bald 50 Jahre alt.

Aber die Gesellschaft hat sich seither geändert und dem müssen wir als Gesetzgeber Rechnung tragen. Eigentlich geht es um einige wenige Fragen: Bietet die bestehende Gesetzeslage den bestmöglichen Schutz für die Bevölkerung? Ist das Gesetz förderlich für die Suchtprävention? Und ist das Cannabisverbot gesellschaftlich sinnvoll?

Wir beantworten diese Fragen mit einem klaren Nein. Das bestehende Cannabisverbot schadet unserer Sicherheit und unserer Gesundheit. Es ist kein Paradox, sondern vernunftbasierte Drogenpolitik: Legales Gras schafft mehr Sicherheit. Seien wir mutig, genau das einzusehen und brechen wir auch in Deutschland auf, eine neue Cannabispolitik zu machen.

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Raed Saleh

ist seit Dezember 2011 Vorsitzender der SPD-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus. Er gilt als politischer Gegenspieler von Michael Müller

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