Umfrage zu „Ausländergewalt“ an Schulen: AfD spielt jetzt mit Grundschülern

Die AfD fordert Zahlen zu vermeintlichen Straftaten ausländischer SchülerInnen und will sie selbst erheben – vor den Schulen. Viele sind empört.

Vier Mädchen springen Seil

Gewalt unter SchülerInnen hat es an den betroffenen Schulen nicht gegeben Foto: dpa

BERLIN taz | Wählermobilisierung beginnt früh: Die AfD zielt bereits auf GrundschülerInnen ab. Am Dienstag haben die beiden AfD-Landtagsabgeordneten Hans-Thomas Tillschneider und Jan Wenzel Schmidt – Landesvorsitzender der AfD-Jugendorganisation Junge Alternative (JA) – Grundschüler und Gymnasiasten in Halle auf ihrem Schulweg abgepasst. Tillschneider, ein in Rumänien geborener Islamwissenschaftler, der zuletzt an der Universität Bayreuth lehrte und kurze Zeit in der FDP war, gehört zum völkisch-nationalistischen Flügel der AfD.

Das Team um die beiden AfD-Politiker drückte den Kindern und Jugendlichen Broschüren zum Thema Ausländergewalt an Schulen in die Hand. Darin werden die SchülerInnen etwa aufgefordert, über einen Fragebogen Angaben zu „Angriffen“ zu machen, die ihnen seitens ausländischer MitschülerInnen widerfahren sein sollen. Gefragt wird nach „körperlichen und verbalen Angriffen, Nötigung, Diebstahl, sexueller Belästigung und Vergewaltigungen“, aber auch nach Herkunft der vermeintlichen Täter – und Opfer.

Tillschneider wird auf dem Nachrichten-Portal „Du bist Halle“ wie folgt zitiert: „Etwa die Hälfte der Schüler hat den Fragebogen meist freundlich abgelehnt, etwa die Hälfte der Schüler aber hat ihn interessiert entgegengenommen.“ Sein Kollege Jan Wenzel Schmidt sagte der taz, es seien „auf jeden Fall über hundert Fragebögen“ verteilt worden – „sogar an Schüler mit Migrationshintergrund“. Eine ganze Klasse mitsamt Lehrkräften sei zum Stand gekommen. Die Lehrkräfte hätten sich „neutral“ verhalten und selbst keine Broschüren angenommen.

In den sozialen Medien machen sich AfD und JA – die insgesamt mit sechs Personen vor Ort waren – über den fehlenden Gegenprotest lustig: „Die (…) offensichtlich gerne lang schlafenden Freunde der ‚Ich verschließe die Augen vor der Realität-Fraktion‘ kamen zu spät, um mit ihrem Stand noch etwas ausrichten zu können. Das nächste Mal früher aufstehen!“.

Halle: kein leichtes Pflaster für die AfD

Die Gegenseite, das ist zum Beispiel das Bündnis „Halle gegen rechts“. Christof Starke, einer der Sprecher, sagt, die AfD hätte ursprünglich angekündigt, die Aktion ab zehn Uhr stattfinden zu lassen. Stattdessen sei sie schon um sieben Uhr vor Ort gewesen und hätte bereits ihren Stand abgebaut gehabt, als die Gegendemonstranten kurz vor zehn an den Ort des Geschehens gekommen seien. Darauf erwidert Wenzel Schmidt: „Die haben sich nicht ordentlich informiert – wie das mit Linken halt so ist. Unsere Aktion war für sieben Uhr angemeldet; auch die Polizei war schon um diese Uhrzeit vor Ort.“

Valentin Hacken, ein 26-jähriger Studierender, der zusammen mit circa vierzehn weiteren Gegendemonstranten vor Ort war, sagt, die AfD-Aktion sei entgegen eigener Angaben auf keine große Resonanz unter den SchülernInnen gestoßen. Das hätten Schulsozialarbeiter berichtet. Auch sei es an den zwei betroffenen Schulen – der Gemeinschaftsschule Kastanienallee und dem Christian-Wolff-Gymnasium – in der letzten Zeit zu keinen besonderen Vorfällen von Gewalt unter SchülerInnen gekommen. „Einen konkreten Anlass für die AfD-Aktion gab es also nicht“, sagt Hacken. „Außerdem ist die Broschüre nicht mal besonders zielgruppengerecht formuliert und demnach in unseren Augen eher an die eigenen Leute als an Schüler gerichtet.“

Christof Starke sagt, sein Bündnis sei überrascht gewesen. Es sei das erste Mal, dass die Junge Alternative hier aktiv in Erscheinung getreten- Halle ist laut seinem Kollegen Hacken „noch kein leichtes Pflaster für die AfD“. Hacken räumt ein, der Stand der Gegendemonstranten sei nur von wenigen Schülern besucht worden: „Wir wollten die Schüler in Ruhe lassen, aber eben Präsenz zeigen und da sein für Leute mit Gesprächsbedarf. Derartige Aktionen vor Schulen machen wir sonst eigentlich nicht, das ist nicht unser Stil.“

Starke sagt: „Das Zusammenleben in Vielfalt ist durchaus eine Herausforderung – nur leistet die AfD mit ihrer Aktion keinen wirklichen Beitrag zu einem konstruktiven Umgang mit dem Thema. Was die machen, ist reine Propaganda.“

Ähnliche Aktionen machte schon die NPD

Der AfD, zweitstärkste Fraktion im Landtag von Sachsen-Anhalt, hat kürzlich einen Antrag mit dem Namen „ Null Toleranz für ausländische Gewalttäter an Schulen des Landes“ eingereicht. Ziel sei es gewesen, „endlich Zahlen zu erhalten“, so Jan Wenzel Schmidt. Alle anderen Parteien lehnten den Antrag ab. Die AfD will deshalb selbst Daten erheben und begründet so ihre Schulhofaktion: „Die Politik braucht eine solche Datenerfassung als Handlungsgrundlage.“

Jan Wenzel Schmidt sagt, man habe nun an einer der größten Schulen Halles – auf dem Areal befinden sich drei Schulen direkt nebeneinander – angefangen, selbst diese Daten zu erheben. Einen konkreten Vorfall oder Vorwurf hält er dafür nicht für nötig.

Die AfD stützt ihre These des deutlichen Gewaltanstiegs mit einer MDR-Recherche namens „Fünf Zwischenfälle in zwei Wochen“ über Vorkommnisse an Schulen in Wittenberg, Bitterfeld, Stendal und Magdeburg letzten September. Wenn sogar „etablierte Medien“ nicht mehr verschweigen könnten, dass die Täter Ausländer seien, zeige das doch, dass man es mit einem massiven Problem zu tun habe, so die Abgeordneten im AfD-Antrag.

Torsten Hahnel

„Das Problem ist, dass die AfD tiefer in der Gesellschaft verankert ist als die NPD“

Die Gegendemonstranten sind besorgt: Der Blog Störungsmelder zitiert einen von ihnen – den Rechtsextremismus-Experten Torsten Hahnel – vom halleschen Verein Miteinander, der sich an eine ähnliche Aktion der NPD 2004 erinnert fühlt, bei der Rechtsrock-CDUs an Schüler verteilt wurden. „Das Problem ist, dass die AfD tiefer in der Gesellschaft verankert ist als die NPD.“

Starke erwartet, dass die anderen Parteien im Landtag kritisch auf die AfD-Aktion reagieren. Scharfe Kritik geäußert haben bereits Landesbildungsminister Marco Tullner (CDU) und die Landesvorsitzende der Bildungsgewerkschaft GEW, Eva Gerth, die von „Manipulation“ und „Indoktrination“ sprechen.

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