Musikproduzent und Reemtsma-Erbe: „Was bedeutet ‚cool‘?“

Johann Scheerer betreibt das Hamburger Tonstudio Clouds Hill Recording und hat als Mitglied der Familie Reemtsma ein Buch über die Entführung seines Vaters geschrieben.

Ein junger Mann sitzt auf einem Drehstuhl vor einem Mischpult.

Mag alte Geräte: Johann Scheerer in seinem Studio Foto: Miguel Ferraz

taz: Herr Scheerer, wann wussten Sie, dass Sie ein eigenes Tonstudio führen wollen?

Johann Scheerer: Ich habe mich das selber schon manchmal gefragt und konnte nie so richtig eine Antwort finden. Es fühlt sich so an, als wäre das immer schon dagewesen. Ich habe ja als Musiker angefangen und hatte immer schon so eine Faszination für Tonstudios gehabt, auch schon mit 17 Jahren. Irgendwie kam so eines zum anderen. Ich erinnere mich nur noch an den Moment, als ein Freund von mir in Hamburg so einen Containerplatz gepachtet hatte. Da habe ich mein erstes Studio eingerichtet.

Schon als Teenager hatten Sie einen Plattenvertrag als Gitarrist der Band Score! …

Diese Band war ein Zufall. Wir waren vier Freunde, die Musik gemacht haben. Nichts Besonderes. Zuerst sind wir beim SPD-Band-Battle Zweiter geworden und haben in der Fa­brik gespielt. Danach haben wir eine CD gemacht und die bei einem Talentwettbewerb eingeschickt. So sind die Produzenten von The Moffats und Caught in the Act auf uns aufmerksam geworden. Hanson haben die auch gemacht. Die haben gesagt: Kommt nach New York und macht ein Album.

Was für eine Erfahrung war das?

Das war natürlich eine wahnsinnig prägende Erfahrung. Es fühlt sich aber an, als ob das völlig abgekoppelt von meinem Leben passiert ist. Völlig surreal. Das war der letzte Atemzug der großen Majors, da wurden wir so durchgezogen. Wir bekamen viel Geld, hatten aber überhaupt keinen Erfolg.

Mit Ihrer aktuellen Band The Ape verfolgen Sie einen sehr experimentellen, sphärischen Sound.

The Ape ist eher ein Studioprojekt, wir haben da nicht den Anspruch, eine ernstzunehmende Rockband zu sein. Das ist eine totale Spielwiese, ein Hobby. Bei Musik ist mir Unmittelbarkeit und eine gewisse Dringlichkeit wichtig.

Was macht für Sie eine gute Musikproduktion aus?

Das hört sich jetzt vielleicht etwas platt an, aber ich kann nichts mit Musik anfangen, die künstlich ist. Ich will, dass man dem Musiker abnimmt, was er vorträgt. Das kann auch die neue Single von Kylie Minogue sein. „Stop Me from Falling“ ist eine geile Produktion, finde ich. Aber es gibt so viele unnötige Alben, die durch so viele Kontrollinstanzen gereicht werden, dass überhaupt nichts mehr übrigbleibt. Der Erfolg zählt für mich nicht. Erfolgreich ist man, wenn ein tolles Album entstanden ist.

Johann Scheerer, 35, ist in Henstedt-Ulzburg geboren und in Hamburg-Blankenese aufgewachsen. Der ausgebildete Tontechniker lebt mit seiner Familie in Hamburg. Als Produzent betreute er unter anderem Alben von Faust, Rocko Schamoni und Stella. Aus der mehrjährigen Zusammenarbeit mit dem britischen Skandalrocker Pete Doherty entstand das Album „Hamburg Demonstrations“. Eigene Musik schrieb und spielte Scheerer mit Karamel, Taka Takaz und The Ape. Sein erstes, autobiographisches Buch „Wir sind dann wohl die Angehörigen. Die Geschichte einer Entführung“ veröffentlichte er am 1. März 2018.

Gibt es eine Band, die Sie gerne produzieren würden?

Da muss ich ein bisschen ausweichend antworten. Ohne dass ich es mir jemals gewünscht oder vorgestellt hätte, hatte ich das Glück, mit vielen Künstlern zu arbeiten, mit denen ich die Arbeit sehr genossen habe. Insofern habe ich die Erfahrung gemacht, dass Sachen, die überraschend passieren, die tollsten sind. Ich hätte nie damit gerechnet, dass ich einen Anruf kriege, ob ich die nächste At-the-Drive-In-Platte hier im Studio mache. Das ist besser als: Ach, ich wünschte, U2 würden zu mir kommen. Mir ist da auch eine langfristige Arbeit mit Künstlern wichtig.

2005 haben Sie das Clouds Hill Studio in Rothenburgsort gegründet. Hat sich der Stadtteil seitdem verändert?

Ich merke, dass es von allen Enden gewollt ist, dass sich der Stadtteil verändert und es verändert sich auch was. Aber auf sehr unbeholfene Weise, muss ich sagen.

Wie meinen Sie das?

Ich habe das Gefühl, die Stadt kriegt es überhaupt nicht hin, diesen Stadtteil in der In­frastruktur zu entwickeln. Dieser irrsinnige Elbtower, den sie da bauen wollen: Warum muss das als Erstes kommen? Was sich tut, das geht von Privatpersonen aus. Also ich will da meine Fahne jetzt nicht zu hoch hängen, aber dieses Studio, dieser Ort, den es seit knapp 15 Jahren gibt, der tut natürlich etwas für den Stadtteil. Weil internationale Musiker hier ein und ausgehen und auf dem Rothenburgsorter Marktplatz abhängen. Hier ist die Familie Friese von Thomas-i-Punkt mit dem goldenen Pavillon und so. Das ist mittlerweile ein Touristenmagnet. Als Rothenburgsorter, als den ich mich inzwischen bezeichnen würde, kann ich da schon fast nicht mehr hingehen, weil es so voll ist.

Musikerinnen und Musiker schätzen an Clouds Hill die alte analoge Ausstattung. Das Herzstück Ihres Studios ist ein Neve-Mischpult aus den 1970er-Jahren, mit dem unter anderem das letzte Album von John Lennon kurz vor seinem Tod aufgenommen und gemischt wurde. Glauben Sie an den Geist in der Maschine?

Also ich glaube grundsätzlich, dass das Wichtigste in einem Studio der Vibe ist. Der wird durch verschiedene Dinge ausgelöst. Hauptsächlich durch die Menschen, die dort arbeiten. Aber eben auch durch eine gewisse Anmutung der Räumlichkeiten und der Gerätschaften. Moderne Geräte haben keine Seele, alte Geräte haben den Vibe. Das fängt mit einer alten Lampe an und verästelt sich in so alten Mischpulten und Lautsprechern. Das ist auch nicht nur klanglich so, sondern auch optisch. Was das zusammen macht, ist eine Atmosphäre zu schaffen, die Kreativität ermöglicht.

Versuchen Sie den Sound einer bestimmten Ära nachzubilden?

Lesungen in Hamburg: 3. 5., 20 Uhr, Buchhandlung Kortes, Elbchaussee 577

7. 5., 19.30 Uhr, Literaturhaus, Schwanenwik 38

Ganz klares Jein. Auf der einen Seite interessiert mich Nachahmung überhaupt nicht. Wenn der erste Gedanke ist: Wir wollen eine Platte machen, die so klingt wie Referenz XY, dann finde ich das einfach total uninteressant. Die gibt es ja schon. Andererseits sind Referenzen natürlich extrem wichtig, damit man weiß, worüber man spricht. Ich setze mich immer mit Künstlern vorher zusammen und bespreche Folgendes: Was meinen wir eigentlich, wenn wir sagen: „Fett“. Oder „Amtlich“. Was bedeutet „Cool“? Das ist wichtig zu klären. Es gibt Platten von dem Radiohead-Produzenten Nigel Godrich oder auch ein paar Sachen von Brian Eno, da bin ich mit meinem Latein am Ende. Ich weiß nicht, wie die hergestellt wurden, wie dort der Sound gefunden wurde.

Suchen Sie dann danach?

Nein. Ich bin da ganz unehrgeizig und freue mich, dass die was können, was ich nicht kann. Natürlich zermartere ich mir auch das Hirn, wie man das hinkriegt.

Ihr Studio ist nach dem Refugium von Lawrence von Arabien benannt. Als Erbe des Zigarettenherstellers Reemtsma haben Sie die Möglichkeiten, abseits kommerzieller Verwertbarkeit anderen ein solches bieten zu können. Aber Sie vermieten Ihre Aufnahmeräume auch an populäre Künstlerinnen und Künstler wie Lena Meyer-Landrut oder die Sportfreunde Stiller. Sind das Brotjobs?

Ich habe den Anspruch, dieses Studio wirtschaftlich zu betreiben. Deswegen vermiete ich das Studio an jeden, der das nutzen möchte. Außer an Nazibands. Ich kuratiere dieses Studio nicht, das denken immer viele. Gerade kommt alle zwei Wochen eine kroatische Bluesrock-Band, die alles selbst finanzieren. Bis eben dann hin zu Lena Meyer-Landrut oder Helene Fischer. Ich schränke das absichtlich nicht ein. Ich freue mich über die Sportfreunde Stiller ganz ehrlich genauso wie über At the Drive-In und die Beach Boys und The Killers. Ich genieße diese Vielfalt, man kann von allen lernen. Und alle können voneinander lernen.

Inwiefern?

Wenn ich hier in einem Raum Pete Doherty produziere und im anderen Raum machen Boy ihr Album, dann singen Boy nachher auf Pete Dohertys Album. Da kann ich mir nichts Schöneres vorstellen. Gleichzeitig kann ich es mir leisten, Projekte zu verwirklichen, die kein Budget haben. Aber das ist vielleicht gar nicht so sehr einer Vorstellung von einem Erbe geschuldet oder so. Das machen andere Produzenten auch.

Sie möchten nicht mehr über Ihr Buch „Wir sind dann wohl die Angehörigen“ sprechen, in dem Sie über die Entführung Ihres Vaters Jan Philipp Reemtsma aus Ihrer Perspektive erzählen. Warum?

Ich habe mit meinem Verlag abgesprochen, dass ich zwei Monate für die Promotion zur Verfügung stehe. Von Ende Februar bis Ende April, dann ist Schluss. Meine Mission war ja, diese Entführungsgeschichte besprechbar zu machen mit allem anderen, was ich tue. Genau so, wie wir es jetzt machen. Wir reden über Musik, das Studio und jetzt eben über das Buch. Was eben auch heißt, ein bisschen über meine Familiengeschichte zu reden. Das habe ich sehr lange nicht gemacht. Ich hielt es für notwendig, darüber mal zu sprechen.

Sie machen darüber hinaus noch ein paar Lesungen.

Sehr vereinzelt, ja. Bis zum Sommer, aber immer nur in kleineren Buchläden, zu denen ich auch Verbindungen habe. Ich lese in Blankenese in der Buchhandlung, wo ich als Kind schon immer war. Und in einer Buchhandlung in Hamm, in der ich die Verkäuferin schon lange kenne. Da passen 50 Leute rein, aber es geht mir weniger darum, das Buch vorzustellen, als um den Austausch mit den Leuten. Danach gibt es meistens ein Publikumsgespräch. Da muss ich ganz eigennützig sagen, dass mir das immer total viel gibt.

Im Oktober 2018 wird in Hamburg ein Ableger des British and Irish Modern Music Institute eröffnet. Sie werden dort als Head of Music Produktion unterrichten. Wie kamen Sie dazu?

Ich finde, dass die BIMM die einzige Privatschule ist, die wirklich einen guten Job macht in dem Bereich. Die haben mich gefragt, ob ich mit Clouds Hill Partnerstudio sein will. Also ein Studio, wo Workshops gemacht werden. Ich sehe das auch als meine spezielle Verantwortung, mit so einem gewissen Bildungsauftrag den nachwachsenden Musikern etwas an die Hand zu geben, weil mir das möglich ist. Basic Knowledge über Tonstudios. Ich will da gar nicht von Kulturförderung sprechen, aber: Ich schulde es der Kunst. Menschen, denen es möglich ist, solche Orte zu gestalten, tragen auch die Verantwortung dafür, das zu machen. Der Titel interessiert mich nicht. Ich kann etwas weitergeben, was ich cool finde.

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