Debutalbum von Pastor Leumund: Dada ganz im Ernst

Nach 25 Jahren Subkultur hat der Realdadaist Pastor Leumund sein erstes Album fertig. Es ist nichts weniger als die Platte zum Nerv der Zeit.

Wilde Collage mit Bagger, Dinosaurierschwanz und einem Mann im roten Kleid

Ausschnitt aus dem Plattencover mit Pastor Leumund rechts in der Ecke Foto: Promo

BERLIN taz | Er klettert die wackelige Leiter hoch, bis zur Spitze des Kamins, weiter über die Dächer der Hinterhäuser, und dann steht Pastor Leumund lächelnd hoch über seiner Stadt. Vor dem Haus liegt der Görlitzer Park. Am Horizont winkt der Fernsehturm. Es könnte ein Abschied sein.

Und der Pastor singt: Denn was jetzt kommt sprengt deinen Verstand / reiß dich zusammen, denn es nähert sich / ein bedrohliche Situation, hier kommt der / Schmetterling aus Beton, er fliegt mit dir davon / hoch über deiner Stadt, weil er dich gern hat.

Unten in seinem Zimmer in der Kreuzberger WG sitzt der Pastor schon auf gepackten Koffern. Der neue Hauseigentümer hat die Miete verdoppelt. Leumund will jetzt in einen Bauwagen in Brandenburg ziehen – aus Kostengründen.

Hinterm Gartenzaun geht’s weiter / ein neuer Zaun / Nimm dir lieber die Zeit und nicht das bisschen Geld / Sicherheit ist nicht das, was dich am Leben hält.

Aber zuvor hat er noch diese Platte gemacht, „Konzentriert euch“ heißt das Album, zu dem Friedrich Greiling alias Mittekill die Beats und Sounds beigesteuert hat. „Diskursdisco“ nennen die beiden das Ergebnis.

Texte wie ein leichter Witz

Es ist nichts weniger als die Platte zum Nerv der Zeit, zum Berlin, das auf der Kippe steht und tanzt. Die Songs blubbern und plocken und beaten, sie lassen erst die Beine und dann die Ohren tanzen, wenn die Texte sich wie ein leichter Witz in die Hirnrinden schälen.

Ihr Pickelhaubentaucher, singt sie lauter eure Sackgassenhauer / Singt zum Klang von 1.000 Arschgeigen / auf hochgeklappte Wutbürgersteigen / und reißt euch zusammen – einen Landsitz unter den Nagel.

„Konzentriert euch“ ist das Debütalbum von Pastor Leumund. Es war mehr als überfällig. Der Vollbart, den der Real­dadaist zum engen roten Kleid trägt, ist längst mehr weiß als grau. Vergangenes Jahr ist er 50 geworden. Er ist alles andere als ein Debütant. Er ist einer der letzten Dinosaurier der Berliner Subkultur, „die gerade ausgestorben werden“, wie er es nennt.

Als Schüler bekam er ein Buch von Kurt Schwitters, der mit Merz eine eigene Form des Dada kreiert hatte. „Ein kleines schwarzes mit seiner Unterschrift drauf“, schwärmt der Pastor. „Da standen Sätze drin, die ganz normal anfingen und plötzlich abgeknickt sind. Das machte überhaupt keinen Sinn mehr.“ Dafür habe er Schwitters geliebt.

Unbemerkte Kometen / vom Ab­sichtslosigkeits-Planeten / die auf unsre Oberflächen crashen / Zeugen einer abgeschafften Zunft / von einem Leben jenseits der Vernunft.

Anfang der 90er Jahre, erzählt er weiter, „saß ich mal total bekifft in der Gedächtniskirche“. Da habe er gedacht: „Wow, diese Frage-und-Antwort-Rituale, das ist total Dada. Das möchte ich auch machen.“

Am Ende nackt

Ein Freund wohnte in einem besetzten Haus an der Dunckerstraße in Prenzlauer Berg. Da gab es im zweiten Hinterhof einen Keller, dessen Decke fehlte – bis auf einen kleinen Rest, der sich perfekt als Kanzel eignete. Dort wurde aus dem Kunststudenten Jan Theiler der Pastor Leumund, der mittwochs um Mitternacht Dada-Messen zelebrierte. An deren Ende stand meist nicht nur er nackt auf der Bühne.

Ich mach mir so meine Gedanken, das hält mich knackig / du siehst mich auf der Straße, nackig / das ist doch völlig natürlich, wie Sex ist, doch jetzt wird / die Stimmung wie immer von Leuten gemacht, die Etepetete drauf sind. Etepetete – Rauhfasertapete!

„Beim ersten Mal kamen nur drei Besucher, dann hat sich das von Woche zu Woche verdoppelt“, erinnert sich Leumund. Bis es selbst den freakigen Künstlern im besetzten Haus zu viel wurde, „weil die Leute in ihre Skulpturen auf dem Hof gepinkelt haben“.

Fortan hat er in Hausprojekten gelebt, in Hinterhofclubs gerappt und auf der Fusion gepredigt. Er war Sänger der wegweisend unbekannten Schlagerband Michael Fieling mit Nüssen an Bord.

„Derserteur“ als Marke

Er hat die Bergpartei gegründet, die mit Slogans wie „Wachstum als Holzweg“ auf handgemalten Plakaten den Berliner Wahlkampf prägte.Er hat sich beim Patentamt die Rechte an der Marke „Deserteur“ gesichert, um Uniformen in antimilitaristische Statements zu konversieren.

Er erarbeitete mit Bernadette La Hengst am Theater Freiburg mit Bewohnern eines Altersheims Lieder für die Zukunft. Er hat 2002 das Cabaret Voltaire in Zürich, das als Geburtsort des Dadaismus gilt, mitbesetzt und vor der Umwandlung in eine Apotheke gerettet. Die Liste ließe sich lange fortsetzen.

Nur mit dem Durchbruch hat es nie geklappt. „Ich habe kein Karriere-Gen“, sagt der Pastor. „Ich war glücklich in meinem Kosmos.“ Am liebsten würde er auch heute noch nur Kassetten verkaufen. „Mit so einem Eiswagen mit schepperndem Lautsprecher ausrufen: Kauft Pastor Leumunds Kassetten, sie sind sehr gut.“

Das Problem mit der Zeit / ab heute alles Vergangenheit / die Gegenwart hat einen Haken / man kann nicht auf ihr parken.

Ihm gehe es nicht um Nostalgie, betont Pastor Leumund. Er verstehe sich vielmehr als Botschafter, als einer derjenigen, die erzählen, dass das Leben in von Kunstbesetzern und Aktivisten geschaffenen Freiräumen tatsächlich einmal möglich war. Als Ansporn für Neues.

Widersprüche als Predigt

Also predigt der Pastor bei Mietendemos wie der vor zwei Wochen „Die, die zu viel Geld ham, legen die Welt lahm“ und macht eine Platte, finanziert von einem reichen Mäzen. Er bewirbt sie fleißig auf Facebook, obwohl er sich nichts sehnlicher wünscht als „das postdigitale Zeitalter, den Zusammenbruch des Internets“, das verantwortlich dafür sei, dass alle nur noch hören und lesen, was andere schon geklickt haben.

Mit Widersprüchen kennt sich der Pastor aus, er spielt damit – was viele dazu verführt, ihn als Freak abzutun, als Clown, der auf der Bühne mit Klobürsten rumfuchtelt.

Dabei meint er es bitterernst, wenn er sagt, Spaß könne auch Politik machen. „Ich versuche den Frust, den ich mitschleppe, den Leuten unterzujubeln“, sagt Leumund.

Sieger werden immer nur siegen, bis sie endliche Langeweile kriegen / Wandel muss in Händen von Wütenden liegen / doch die Wut ist irgendwo im Regal liegen geblieben.

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