Arbeitsbedingungen bei Start-Ups: Brave New Work

Start-ups versprechen eine schöne neue Arbeitswelt. Doch die meisten Jung-Unternehmen sind ausbeuterisch und arbeitnehmerfeindlich.

Vier junge Menschen sitzen um einen Holztisch und machen in Tanzbewegungen

Chillen mit den Kollegen und dabei möglichst „instagramable“ aussehen Foto: imago/Westend61

Ein Gespenst geht um in Berlin. Es ist das Gespenst des Start-ups. Google plant seinen Start-up-Hub in Kreuzberg, passend dazu sucht Carsten Maschmeyer in seiner Fernsehsendung „Start-up“ „Deutschlands besten Gründer“. Dabei wird selten offen darüber gesprochen, was es wirklich heißt, in einem Start-up zu arbeiten.

Start-up bezeichnet ein meist junges Unternehmen, das eine innovative Dienstleistung oder ein Produkt anbietet: Carsharing, Essenslieferanten, digitale Fitnessprogramme. Die meisten bedienen sich moderner Technologien, sind aber (noch) nicht profitabel. Die Gründer*innen – zu 90 Prozent Männer – suchen Investoren, um sich so lange zu finanzieren, bis ihre Idee für immer die Welt verändert hat.

Die Berliner Start-up-Szene boomt: Alle 20 Minuten wird dort ein Start-up gegründet. Mit vergleichsweise günstigen Mieten und vor allem niedrigen Löhnen ist Berlin für Möchtegerngründer*innen und Investor*innen ein Paradies: arm, aber sexy. 80 Prozent der neuen Start-ups werden trotzdem pleitegehen.

Der Mythos von Berlin als alternativer Metropole soll internationale Talente aus dem Tech-Bereich anlocken: Programmierer*innen, Coder*innen und Hacker*innen. Sie sind begehrt auf dem Arbeitsmarkt und werden gut bezahlt. Gleichzeitig kommen viele Arbeitsuchende aus den sogenannten Krisenländern der Eurozone, die oft bereit sind, prekär und für sehr wenig Geld zu arbeiten. Sie gehen in den Kundenservice, Content und Marketing.

Das neue Opium des Volkes?

Das Durchschnittsalter in vielen Start-ups liegt unter 30 Jahren. Auch in den Führungsetagen gibt es meist kaum Mitarbeitende über 35. Im bundesweiten Schnitt sind 30 Prozent der Start-up-Mitarbeitenden (EU-)Ausländer. In Berlin sogar jede*r zweite.

Start-ups versprechen eine neue Arbeitskultur, die aufregend, progressiv und liberal wirkt. Sie steht für die Vision der Arbeit der Zukunft: (vermeintlich) flache Hierarchien, ein Kühlschrank voll Bier und ein Kickertisch daneben. Das neue Opium des Volks? Damit wollen Gründer*innen kreative Köpfe und clevere Coder*innen ködern. Schöne neue Welt.

Viele Start-up-Büros ähneln dem Gemeinschaftsraum in einem Studentenwohnheim. Manche Büros bieten Playstations, ein Kreuzberger Loft-Büro sogar ein Bällebad. Meetingräume werden nach Szeneläden der Berliner Clublandschaft getauft. Man tagt im „Berghain“.

Die Airbnb-Ästhetik der Architektur ist chic und soll „instagramable“ sein. Verhipsterte Glühbirnen hängen mit Textilkabeln von den Decken der ehemaligen Fabriketagen. Unverputzte Backsteinwände treffen auf industrielle Stahlsäulen und Neonschilder. Das Büro könnte ein Techno-Tempel sein. Doch die Fassade trügt. Hier werden schlechte Arbeitsbedingungen schön renoviert.

Hinter der Transformation des Arbeitplatzes steckt der Versuch, Arbeit und Freizeit zu verschmelzen. Du sollst Teil der Familie werden, den Unternehmensspirit tragen und an das Produkt, das Unternehmen, den Gründungs­mythos glauben. Es ist eine Art In­doktrinierung. Team-Enthusiasmus und Projektbegeisterung sind innerbetriebliche Pflicht. Die eigene Be­geisterung wird in Feedback-­Runden kommentiert und bewertet.

Unicorn werden ist schwer

Der Feierabend wird bei Start-ups ­professionalisiert: After-Work-Drinks in der Büro-Küche, Kickerturniere und Filmabende mit den Kolleg*innen. Für viele internationale Mitarbeitende ist das hippe Büro der Mittelpunkt ihrer sozialen Existenz in Berlin, ein Ort zum Netzwerken, Kennenlernen, zum Spielen und Trinken. Das mag einigen ­gefallen, aber es erhöht eben auch den Druck, Überstunden zu machen, nach der Arbeit im Büro rumzuhängen und über den Job zu reden.

Die klügsten und kreativsten Köpfe einer Generation entwickeln Lösungen für Probleme, die es gar nicht gibt

Neue Welten brauchen eine neue Terminologie. Die Start-up-Szene peppt ihren Arbeitstag mit Angli­zismen auf. Mitarbeitende heißen Heroes, Gurus, Rockstars, Unicorns. ­Investoren nennt man Angels, Meetings Stand-ups, Mitarbeiterver­sammlungen All-hands und Einarbeitung Onboarding. Gott sei Dank heißen Kündigungen nicht Overboardings.

Unicorn zu werden ist der Traum jeder Gründer*in. Das Einhorn bezeichnet ein Start-up, das vor einem Börsengang bereits den Marktwert von einer Milliarde US-Dollar knackt. Hello Fresh, Delivery Hero und Airbnb haben das geschafft. Doch wie das mythische Wesen selbst sind solche Start-ups rar. Rund 200 gibt es weltweit. Dazuzugehören bleibt die große Vision fast aller Unternehmer*innen.

Start-ups stellen sich gerne als Disrupter und Game-Changer dar. Durch eine Aneignung radikaler Subkulturen sehen sie sich als Business Punks und träumen von der großen Revolution ihres Marktes – einen Markt, den sie mit innovativen Ideen stören, die die Branche umstürzen sollen. Sie wollen das Spiel ändern, und tun das mal mit einem 700-Dollar-Obst-Mixer mit USB-Anschluss, mal mit smarten Blumentöpfen mit computergesteuerter Gießfunktion.

New Kids on the Block

Die klügsten und kreativsten Köpfe einer Generation entwickeln Lösungen für Probleme, die es gar nicht gibt. Ihr Ansatz lautet: Wie können wir Leute animieren, mehr Geld online auszugeben? Nicht: Wie helfen wir Menschen? Nicht: Wie lösen wir die globalen Probleme, den Klimawandel, das Bienensterben, den Hunger?

Was Start-ups dann in der Tat auch sehr oft stört, sind Arbeitsrechte. Die Start-ups nutzen gesetzliche Lücken und die Unerfahrenheit ihrer Mitarbeitenden aus, weniger aus Boshaftigkeit, eher um das höchste Ziel zu erreichen: Angels glücklich machen, schwarze Zahlen schreiben, Unicorn werden. Start-ups stellen sich gerne als New Kids on the Block dar, verfolgen aber meist eine neoliberale Marktlogik.

Das Arbeitsumfeld eines Start-ups ist entpolitisiert. Die Idee ist: Wer Spaß beim Arbeiten hat, leistet gern Überstunden, braucht keine Gehaltserhöhung und muss sich nicht politisch organisieren. Betriebsräte gibt es so gut wie nie. Die meist junge, unerfahrene und internationale Belegschaft weiß oft sowieso nicht, was das sein soll.

Fußsoldaten in Form von Praktikant*innen

Und selbst wenn sie versuchen würden, einen Betriebsrat zu gründen, würden sie wohl scheitern. Ohne diese politische Repräsentation bleiben ihnen arbeitsrechtliche Ansprüche verwehrt, die Gewerkschaften über Jahrhunderte erkämpft haben.

Dabei könnten sie diese Ansprüche dringend brauchen: Viele Start-up-Mitarbeiter*innen sind prekär beschäftigt, hangeln sich von Probezeit zu Probezeit, von Befristung zu Befristung. Das Arbeitsgesetz sieht vor, dass Mitarbeiter*innen maximal zwei Jahre befristet werden dürfen, Start-ups nutzen das gern aus. Man muss sich ständig unter Beweis stellen, es wird wenig Sicherheit geboten.

Und selbst das gilt natürlich nur für die Glücklichen mit Anstellung. Scheinselbstständigkeit ist eine gängige Praxis, viele Mitarbeitende sind als Freelancer, aber in Vollzeit beschäftigt. Dazu kommt die Armee von Fußsoldaten in Form von Praktikant*innen.

Recht auf Teilzeitarbeit? Das passt nicht zu uns. Bildungsurlaub? Machen wir nicht. Lohnverhandlungen? Vergiss es. Wer so prekär arbeitet und keine Gewerkschaft im Rücken hat, kann auch nicht so einfach vor dem Arbeitsgericht klagen.

Unter diesen Bedingungen kann man kaum für die Zukunft sparen, geschweige denn eine Familie gründen. Die harte Realität dieser Beschäftigungsverhältnisse trifft insbesondere Frauen. Viele fragen sich: Wird mein Vertrag verlängert, wenn ich schwanger werde? Bestehe ich die Probezeit? Werde ich als Mittzwanzigerin überhaupt angestellt?

Der Autor ist Ende zwanzig, aus dem EU-Ausland und hat bei mehreren Berliner Start-ups gearbeitet.

Nicht für die Ewigkeit

Das klingt alles ziemlich negativ – und dennoch haben Start-ups auch Vorteile. Sie bieten tatsächlich ein spannendes und lässiges Umfeld, das zu alternativen Lebensentwürfen gut passt.

Der Satz mag klischeehaft klingen, aber Start-ups sind eben wirklich jung und dynamisch. Sie wachsen schnell und entwickeln ihre Produkte und Technologien rasant. Das bietet einem ein Arbeitsumfeld, wo neue Ideen schnell umgesetzt werden. Man kann schnell Verantwortung übernehmen, Projekte mitbestimmen und Input geben, im Gegensatz zu den oft hierarchischeren traditionellen Betrieben. Start-ups sind ein Übungsort, um erste Erfahrungen zu sammeln.

Und das ist das Entscheidende: Start-ups sind nicht für die Ewigkeit. Sie sind ein Job für das Hier und Jetzt. Sie gehen nicht davon aus, dass ihre Beschäftigten in fünf, zehn oder fünfzehn Jahren noch da sind.

Start-ups sind wie die erste Liebe: spannend und voller Hoffnung, aber irgendwann macht eine*r Schluss. Also Programmierer*innen, Marketing-Gurus und Content-Rockstars aller Länder: Vereinigt euch! Lasst euch nicht vom Kickertisch und Beer-Friday täuschen. Ihr habt tatsächlich eine schöne neue Arbeitswelt zu gewinnen. Aber die muss erkämpft werden.

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