Koalition will mehr Tempo

Massenverfahren wie der NSU-Prozess sollen rascher über die Bühne gehen

In einem Strafprozess geht es vor allem um den Täter, seine Verteidigung und seine Verurteilung. Das Opfer ist eigentlich nur Zeuge dafür, dass die Tat stattgefunden hat.

Die Opfer vieler Straftaten und ihre Angehörigen können allerdings im Prozess als Nebenkläger auftreten. Sie können dann am Strafprozess teilnehmen, Be­weisanträge stellen und gegen ein Urteil Rechtsmittel einlegen.

Seit 1998 haben Nebenkläger bei schweren Straftaten Anspruch auf einen eigenen Rechtsanwalt, der in der Regel vom Staat bezahlt wird. Heute bekommt oft jeder Nebenkläger einen eigenen Anwalt, den er auch selbst auswählen darf. In Verfahren mit vielen Opfern und vielen ­Angehörigen sind deshalb auch viele Opferanwälte zugelassen. Im NSU-Prozess wurden 95 Neben­kläger von 60 Anwälten vertreten. Im Prozess um die Duisburger Loveparade sind es 36 Anwälte für 61 Nebenkläger.

Mit solchen Dimensionen hatte ursprünglich wohl niemand gerechnet, als die Funktion der Opferanwälte eingeführt wurde. Heute überwiegt die Sorge, dass Großprozesse kaum noch handhabbar sind, dass sie zu lange dauern und zu teuer werden. Die Phalanx der Opferanwälte könnte gemeinsam mit der Staatsanwaltschaft sogar die „Waffengleichheit“ mit den Verteidigern des Angeklagten gefährden, sagen Kritiker.

Eine Expertenkommission des Bundesjustizministeriums schlug schon 2015 eine Sondervorschrift für diese Massenverfahren vor. Danach soll das Gericht künftig Gruppen von Nebenklägern mit gleichen Interessen bilden, die dann jeweils von einem gemeinsamen Anwalt vertreten werden. Ob das Gericht solche Interessengruppen bildet, solle jeweils der Vorsitzende Richter entscheiden.

In die gleiche Richtung zielt der Vorschlag im Koalitionsvertrag von Anfang 2018: „Wir ermöglichen in besonders umfangreichen Strafverfahren die gebündelte Vertretung der Interessen von Nebenklägern durch das Gericht.“ Auch hier soll also das Strafgericht das letzte Wort haben. Bundesjustizministerin Katarina Barley (SPD) hat aber noch kein konkretes Modell für diese „gebündelte Vertretung“ vorgelegt.

Der Vorstoß der großen Koalition bedeutet nicht, dass die Regierung nun einseitig gegen die Interessen der Opfer von Straftaten vorgeht. Denn zugleich soll auch die Ablehnungsmöglichkeit von „missbräuchlichen Beweis- und Befangenheitsanträgen“ erleichtert werden. Das betrifft überwiegend die Verteidiger des Angeklagten. Der Koalitionsvertrag zielt wohl generell auf eine Beschleunigung von Strafprozessen.

Christian Rath