Der Tropenforscher schwitzt und tropft

Das Theatertreffen der deutschsprachigen Bühnen hat eine neue Begleitung erhalten: In der Reihe Shifting Perspectives wird eine andere Welterfahrung gesucht

Am Dienstag um 22 Uhr gibt es im Haus der Berliner Festspiele „Pink Money“ von einer Gruppe aus Südafrika, der Schweiz und Deutschland Foto: Suzy Bernstein

Von Katrin Bettina Müller

Das Theatertreffen ist gewachsen. Vor einem Jahr kam erstmals die Reihe Shifting Perspectives dazu, in der dieses Jahr an einem Tag (15. Mai) mit dicht gedrängtem Programm sechs Inszenierungen aus Singapur, Brasilien, Libanon, Israel und Süd­afrika gezeigt werden.

Daniel Richter ist Leitender Dramaturg bei den Berliner Festspielen und vertritt zurzeit die Theatertreffen-Leiterin Yvonne Büdenhölzer, die in Elternzeit ist. Beide haben zusammen mit dem Dramaturgen Necati Öziri die Reihe kuratiert. Als das Theatertreffen vor mehr als fünfzig Jahren gegründet wurde, war die Ursprungsidee, über die Mauer von Westberlin nach Westen zu schauen, was im deutschsprachigen Thea­ter en vogue war. „An diese Ursprungsidee“, sagt Daniel Richter, „knüpfen wir wieder an mit den Fragen: Was sind heute unsere Mauern, was findet dahinter statt? Da wir in globalen Zeiten leben, fanden wir es wichtig, den Blickwinkel zu weiten.“

Im Programmheft des Thea­tertreffens und zu Shifting Perspectives schreibt Azadeh Sharifi, Theaterwissenschaftlerin aus München, über Debatten der letzten Jahre. „Das Theatertreffen war in den letzten Jahren in kontroverse Diskussionen über die Perspektiven verwickelt, welche in der jährlichen Auswahl repräsentiert werden. Durch Interventionen und Proteste von mehrheitlich PoC-Künstler*innen, Wissenschaftler*innen und Aktivist*innen wurden Fragen nach Repräsentation und Selbstrepräsentation, gewaltvoller und gewaltreproduzierender Sprache, rassistischen und Rassismus produzierenden Bildern, sowie (post-)kolonialen Fortschreibungen der Narrative aufgeworfen.“ Auch diese Diskussionen führten die Theatertreffen-Leitung zum Wunsch nach Erweiterung über die deutschsprachigen Bühnen hinaus.

Das besondere Kunststück aber, das Richter, Büdenhölzer und Öziri versuchen, ist, Stücke auszuwählen, die in einen Dialog mit der 10er-Auswahl treten können. Das Theatertreffen hat ja kein inhaltliches Motto, aber, so sagt Daniel Richter, „es finden sich Knotenpunkte, Gegengeschichten, der Versuch, vertraute Geschichten anders zu erzählen“, in vielen der eingeladenen Inszenierungen, und daran knüpft auch die Auswahl von Shifting Perspectives an.

„Da gibt es zum Beispiel die Performance „SurFace“ von Nofar Sela aus Israel, die die Identität und das Bild Israels neu verhandelt und versucht, aus der Geschichte der Vergangenheit heute mit dem Publikum eine neue Geschichte für die Zukunft zu schreiben“, erläutert Richter. In dieser Soloperformance entwirft die Künstlerin zusammen mit dem Publikum eine neue Landkarte und stellt dazu Fragen, die sich in eine nicht einfache Beziehung verästeln. Ebenso beträfe das „Preto“, eine Arbeit aus Brasilien, in der es um das koloniale Erbe und Rassismus geht, um Unterdrückung und Diskriminierung. „Das hat alles mit der Geschichte einer Gesellschaft zu tun, die sich immer wieder verändert.“

Nun kann Daniel Richter nicht an der Ticketkasse stehen und den Leuten, die eine Karte für „Trommeln in der Nacht“ oder „Mittelreich“, zwei von den Münchner Kammerspielen eingeladene Inszenierungen, wollen, die Empfehlung geben, doch bitte ein Stück aus der Reihe Shifting Perspectives dazuzukaufen. Aber er denkt dennoch, dass die Knotenpunkte zwischen den Reihen für inte­ressierte Zuschauer sichtbar werden und motivieren, sich auf andere Welterfahrungen, anderes Wissen einzulassen.

Wichtig war den Kuratoren auch, die bisherigen geografischen Blickachsen zu durchkreuzen. Um zum Beispiel den Postkolonialismus nicht nur aus afrikanischer Perspektive zu sehen, sondern auch aus einem Blickwinkel der asiatischen Geschichte. „Solar: A Meltdown“ von Ho Rui An aus Singapur etwa ist eine Lecture Performance, die mit einem Besuch im Amster­damer Tropen­museum beginnt und der Figur des von der Hitze geplagten Kolonia­listen in der Kunst- und Filmgeschichte folgt.

Das Goethe-Institut ist Partner der Plattform Shifting Perspectives und auch mit Drittmitteln beteiligt. Möglich wurde die Reihe auch deshalb, weil 2017 der Etat des Theatertreffens, der von der Kulturstiftung des Bundes kommt, um 400.000 Euro auf 1,9 Millionen erhöht wurde.

Shifting Perspectives, 15. Mai, ab 17:30 Uhr.