Kolumne Balkongespräche: Eine Mauer in der Stadt

Leipzigs Osten gilt manchen als unsicher, anderen als weniger gentrifiziert als der Westteil. Trennt eine Mauer die ostdeutsche Stadt? Wohl nicht mehr lange.

Bauarbeiter sanieren einen Altbau in Leipzig

Aus alt mach teuer: Leipzigs Altbauten werden nicht mehr lange erschwinglich bleiben Foto: dpa

Meine Nachbarin sagt, der Leipziger Osten wird sich selbst überlassen: „Der Politik sind wir egal, bei uns gibt’s eben nüscht zu holen“, schimpft sie an einem Sommertag, nachdem es um die Ecke wieder eine Razzia gegeben hat. Mehrmals im Monat passiert das mittlerweile. Viele im Viertel sind beunruhigt – was passiert da Kriminelles hinter den zugeklebten Scheiben der Shishabars und Spielhöllen?

Trotz oder gerade wegen der hohen Polizeipräsenz ist das subjektive Sicherheitsempfinden in den östlichen Stadtgebieten denkbar schlecht: Kürzlich fragte die Leipziger Volkszeitung, ob die Zweinaundorfer Straße die neue Eisenbahnstraße werde. Gleich zwei „gefährlichste Straßen Deutschlands“ in einer Stadthälfte? Wird der Leipziger Osten vergessen, weil hier die Armen wohnen? Geht eine unsichtbare Mauer nicht nur durch Gesamtdeutschland, sondern auch durch die Stadt?

Das Berliner Wissenschaftszentrum für Sozialforschung hat kürzlich eine Studie zur sozialräumlichen Spaltung in deutschen Städten veröffentlicht. Ergebnis: Reiche bleiben in der Stadt unter sich, Arme werden an den Rand gedrängt. Keine große Überraschung, aber: Besonders in Ostdeutschland, das sonst für seinen hohen Leerstand und billige Mieten bekannt ist, nimmt die Spaltung zu. Die Forscher nennen die ostdeutsche Spaltungsdynamik „historisch beispiellos“ und sprechen von „amerikanischen Verhältnissen“.

Die Segregation, also die soziale Entmischung von gesellschaftlichen Schichten, liegt auch in Leipzig über dem Durchschnitt. Auch hier ist die Ballung sichtbar, allerdings in Himmelsrichtungen: In Leipzig schlägt das junge, weiße Hipsterherz vor allem im Westen, in Plagwitz und Schleußig, und Süden mit Connewitz und der Südvorstadt. Der „Rand“ ist im Moment vor allem der zentrumsnahe Osten und Nordosten. „Zieh nicht da hin, da ist nichts los“, sagte mir eine Freundin, als ich meinen Mietvertrag für meine Wohnung in Anger-Crottendorf unterschreiben wollte.

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Das Prekariat wohnt hier im günstig sanierten Altbau

Man kann die Mauer, die den Süden und Westen vom Nordosten trennt, auf den farbigen Statistiken der Stadt Leipzig ablesen. In den (nord-)östlichen Stadtbezirken gibt es die geringsten Wahlbeteiligungen und die meisten Erwerbslosen, fast jeder dritte Leistungsempfänger in der Stadt wohnt dort.

Das Prekariat wohnt hier nicht in der Platte, sondern in unfertigen Straßenzügen nahe dem Zentrum, in günstig sanierten Altbauten mit Laminat und den Standardtüren und -Einbauküchen aus Buchennachbildung. Daneben stehen oft leere, verrottende Gebäude mit eingeworfenen Fenstern, um die sich die Eigentümer nicht kümmern. Noch.

Denn schon seit Jahren wird Leipzigs Osten eine Zukunft mit hippen Läden und hohen Mieten prophezeit. Auf der Eisenbahnstraße steigen die Mieten trotz des schlechten Images, Großinvestoren haben ganze Straßenzüge gekauft. Natürlich passiert das nicht nur im Osten der Stadt – im ehemaligen Arbeiterbezirk Plagwitz ist die Gentrifizierung bereits weit vorangeschritten.

Besonders die CG-Gruppe baut hier derzeit Eigentumswohnungen und Mietwohnungen – zum doppelten örtlichen Quadratmeterpreis. In der gerade ausgestrahlten, dreiteiligen WDR-Dokuserie „Ungleichland“ kann können Zuschauer den Unternehmensgründer Christoph Gröner dabei begleiten, wie er die neuen Wohnblöcke besichtigt und die hohen Mieten rechtfertigt: „Das hat Ausdruck, das hat Stil, hat Qualität, das hat 'ne Seele.“ Die Kamera schwenkt ironisch auf die geklonten Balkons am Neubau, und man weiß vor dem Fernseher nicht, ob man lachen oder weinen soll.

Die Mieten sind in fünf Jahren um ein Viertel gestiegen

Nach eigenen Angaben baut die Unternehmensgruppe jedes zweite neue Gebäude in Leipzig. Und auch der berüchtigte Aktienkonzern Vonovia begegnet Wohnungssuchenden in jeder dritten Anzeige. Für die Anwohner bedeutet das: Die Mieten in der Stadt steigen rasant, allein in den letzten fünf Jahren um ein Viertel. Und der Osten, so kann man prophezeien, ist als nächstes dran, denn in den zentrumsnahen Stadtteilen gibt es noch viel zu holen.

Reudnitz, das mit dem Rad unter zehn Minuten von der Uni entfernt liegt, ist schon mittendrin in der Aufwertung, hier stehen bestens angebundene, luxussanierte Wohnungen seit Monaten bei den Immobilienportalen – die Mieten sind dann doch zu hoch. Zumindest für die, die schon länger hier wohnen und Ostlöhne beziehen.

Doch wenn die Stadt weiter so rasant wächst, werden sich Leute finden, die diese Mieten bezahlen werden. Zum Beispiel Studierende, die aus anderen Städten noch höhere Mieten gewohnt sind, und die ohnehin deutschlandweit den gleichen Bafögsatz oder Unterhaltsanspruch haben. Aber auch Besserverdienende werden die Mieten für Altbauwohnungen, von denen es in kaum einer westdeutschen Großstadt so viele gibt, gern bezahlen.

Während es derzeit also noch ein ablesbares, spürbares Gefälle zwischen Ost und West in Leipzig gibt, deutet sich die Veränderung schon an: In wenigen Jahren werden sich die zentrumsnahen Bezirke in allen Himmelsrichtungen, West wie Ost, Nord wie Süd, in Sachen Gentrifizierung immer mehr angleichen. Die Prekarisierten werden dann verdrängt, weiter ins westliche Grünau oder ins östliche Paunsdorf. Die unsichtbare Mauer würde dann die Stadt nicht mehr länger in Ost und West teilen – sondern, wie fast überall in Deutschland, in Zentrum und Rand.

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Helke Ellersiek, Jahrgang 1994, studiert Politikwissenschaft in Leipzig und schreibt seit 2015 für die taz, zunächst als NRW-Korrespondentin und später im Team der taz.Leipzig. Seit 2017 berichtet sie für verschiedene Medien aus Ostdeutschland.

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