Kommentar Mordfall Susanna: Kein Rechtsstaat ohne Recht

„Mit der ganzen Härte des Rechtsstaats“ wollen Politiker den mutmaßlichen Mörder bestrafen. Aber auch der hat das Recht auf ein ordentliches Verfahren.

Drei Polizisten, die Sturmhauben tragen, führen einen Mann ab

Der Rechtsstaat ist nicht nur für das Strafen verantwortlich, sondern auch für den Schutz des Einzelnen Foto: dpa

Der Rechtsstaat liegt im Trend, quer durch die politischen Lager. In ihrer „Erklärung 2018“ forderten rechte Publizisten schon im März, die „rechtsstaatliche Ordnung an den Grenzen“ wiederherzustellen. Anfang Juni erklärte Bayerns CSU-Ministerpräsident, mit häufigeren Abschiebungen zeigen zu wollen, „dass der Rechtsstaat noch funktioniert“. Und nach dem Mordfall Susanna fordern Politiker bis hin zu Grünen-Chefin Annalena Baerbock, den Täter „mit der ganzen Härte des Rechtsstaats“ zu bestrafen.

Drei Äußerungen aus denkbar unterschiedlichen Zusammenhängen und mit denkbar unterschiedlichen Motiven, die doch eins gemeinsam haben: Den Begriff des Rechtsstaats deuten sie alle um. In Bezug auf Migration und Zuwanderer erscheint der Rechtsstaat nur noch als repressive Institution, die Fremde abweist und Täter so streng wie möglich bestraft.

Natürlich ist es eine Kernaufgabe des Staates, Sicherheit zu schaffen. Gewaltanwendung ist sein legitimes Mittel. Den Rechtsstaat unterscheidet von allen anderen Staatsauffassungen aber die Selbstverpflichtung, sich dabei zu beschränken: Er schützt Rechte und Freiheit des Einzelnen, indem er eben nicht willkürlich durchgreift, sondern gewissen Regeln unterliegt.

Der Einzelne darf sich vor Gericht gegen staatliche Maßnahmen wehren, auch gegen negative Asylbescheide – selbst wenn CSU-Mann Alexander Dobrindt das als „Sabotage des Rechtsstaats“ verunglimpft. Der Staat muss verschiedene Faktoren abwägen, bevor er einen Tatverdächtigten einsperrt – und darf verdächtigte Asylbewerber nicht pauschal in Untersuchungshaft nehmen. Und gegen geständige Mörder muss er ein ordentliches Verfahren führen, an dessen Ende die Höchststrafe stehen kann, aber nicht muss – weil die „ganze Härte“ im Rechtsstaat eben kein Automatismus ist.

Diese Regeln sind anstrengend und können wehtun, wenn sie zu fatalen Fehlentscheidungen führen. Streichen wir sie, bleibt vom Rechtsstaat aber nicht mehr viel übrig. Die Konsequenzen wären nicht minder schmerzhaft.

Lesen Sie zu diesem Thema auch die Kolumne „Der Einzelfall Ali B.“ von Fatma Aydemir.

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Geboren 1988, arbeitet seit 2013 für die taz. Schreibt als Parlamentskorrespondent unter anderem über die Grünen, deutsche Außenpolitik und militärische Themen. Leitete zuvor das Inlandsressort.

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