Er wusste, was er tat

Fallen, Verstrickungen und das Abenteuer Leben: Der Schriftsteller Dieter Wellershoff ist tot

Foto: Rolf Vennenbernd/dpa

Von Dirk Knipphals

Einmal, bei einem Abendessen, man plauderte über literarische Neuerscheinungen so vor sich hin, beugte sich Dieter Wellershoff vor und sagte in seinem sanften, leicht rheinländischen Tonfall: „Ein Buch, das einen Wert hat, muss eine innere Notwendigkeit besitzen. Es musste geschrieben worden sein. Es geht nicht anders.“ Dann lächelte er milde in die Runde hinein.

Dieter Wellershoff musste schreiben. Aber sein Leben passte nicht in die Klischees, die man sich in der alten Bundesrepublik über Schriftsteller gemacht hatte. Weder debütierte er jung mit einem Knall, noch gab er sich ge­nia­lisch oder großschriftstellerisch. Vielen Kritikern war er auch zu klug und reflektiert; ein Autor, der wirklich selbst weiß, was er tut, war im deutschen Literaturbetrieb lange verdächtig. Dabei gehört sein Werk zu den ganz wichtigen und staunenswertesten der Bundesrepublik.

Dieter Wellershoff, 1925 geboren, begann als Lektor. Nicht als irgendein Lektor, unter anderem betreute er die Bücher von Heinrich Böll und Rolf Dieter Brinkmann. Doch das reichte ihm nicht. Mit dem Verlag Kiepenheuer & Witsch handelt er einen Deal aus, nach dem er drei Tage die Woche Lektor im Verlag und drei Tage Schriftsteller sein konnte. Seine literarischen Anfänge waren vom Nouveau Roman geprägt. Einen großen Verkaufserfolg landete er erst in seinen Siebzigern mit „Der Liebeswunsch“, man sollte aber auch mindestens noch einmal „Das Gesicht des Schimpansen“ und „Der Sieger nimmt alles“ lesen. „Der Ernstfall“, sein autobiografischer Bericht über seinen Kriegseinsatz im Zweiten Weltkrieg, bei dem er schwer verwundet wurde und den er nur durch Glück und Zufall überlebte, gehört zu den redlichsten und zugleich eindringlichsten Erfahrungsberichten aus der Sicht eines deutschen Soldaten überhaupt.

Tod, Überleben, Gelingen, Scheitern, das alles behält in den Büchern Dieter Wellershoffs etwas Zufälliges, wobei den vulkanischen Glutkern seines Schreibens ausmacht, dass die Lebensentwürfe seiner Figuren stets von innen her bedroht sind, seien sie Projektemacher, die in die Falle ihrer eigenen Fantasien gehen, oder auch Liebende, die sich in ihre eigenen Projektionen verstricken. Und doch gibt es in seinen Büchern auch einen Sog der Verführung zum Leben hin, dazu, dieses Spiel auf Leben und Tod als Herausforderung und Abenteuer zu begreifen. Mit „Die Arbeit des Lebens“ betitelte er eine Sammlung autobiografischer Essays, mit „Das Schimmern der Schlangenhaut“ seine großartigen Frankfurter Poetikvorlesungen. Re­fle­xions­ar­beit und literarisches Schimmern, in seinen besten Büchern ist ihm beides gelungen.

Am 8. Juni ist Dieter Wellershoff, wie jetzt bekannt wurde, im Alter von 92 Jahren gestorben.