Konflikt im anglophonen Teil Kameruns: Kameruner flüchten nach Nigeria

Gewalt im Westen Kameruns treibt immer mehr Menschen in die Flucht nach Nigeria. UNO und Regierung befürchten, dass die Gewalt übergreift.

Portrait des 34 Jahre alten Simon Egbile vor einem einfachen, weißen Gebäude

Simon Egbile ist aus Kamerun nach Nigeria geflüchet. An eine schnelle Rückkehr glaubt er nicht Foto: Katrin Gänsler

ADIKPO taz | Die Straße nach Adikpo ist schlecht und holprig. Immer wieder zwingen Polizeiposten zum Anhalten. Drei Stunden dauert die Fahrt aus Benues Provinzhauptstadt Makurdi bis in die Kleinstadt im Süden des Bundesstaats, danach dauert es eine weitere Stunde, um die Flüchtlinge aus Kamerun zu erreichen. Das letzte Stück ist nicht mehr befestigt, was in der bevorstehenden Regenzeit zu großen Schwierigkeiten führen kann. Schon jetzt ist nicht sicher, ob das alte Auto nicht doch in einer der tiefen Pfützen stecken bleibt.

Für Simon Egbile ist das Lager bei Adikpo im Moment dennoch der beste Ort zum Leben. Der Kameruner sitzt vor dem Büro am Eingang des Camps, in dem Mitarbeiter des UN-Flüchtlingshilfswerks (UNHCR) Neuankömmlinge registrieren. Er schaut nach Norden, Richtung Berge. Hinter zwei großen weißen Zelten lassen sich ein paar kleine Häuser erahnen, die noch im Aufbau sind. All das erinnert weniger an ein Camp, sondern mehr an eine neue permanente Siedlung.

Ein deutliches Signal: Diese Menschen sind gekommen, um zu bleiben. Der Konflikt in der anglophonen Region Kameruns wird sich lange hinziehen. 1.100 Geflohene leben bereits hier in Adikpo auf der nigerianischen Seite der Grenze, laut UNHCR-Büroleiter Thomas Faustini ist Platz für bis zu 1.700 Personen.

„Wir und die anderen, die uns dominieren“, sagt der 34-jährige Egbile und fängt an zu erzählen, warum er aus Kamerun geflüchtet ist. Der Grund dafür liege in der Kolonialzeit und dem ersten Jahr der Unabhängigkeit, das 1961 aus einer britischen und einer französischen Kolonie die Bundesrepublik Kamerun machte. Schon bald, so erklärt Egbile, ging die Diskriminierung los. Im französischen Teil leben rund 80 Prozent der Einwohner, im englischsprachigen Südwesten an der Grenze zu Nigeria 20 Prozent. Dort wird schon seit Jahren über ungleiche Chancen, Marginalisierung und zunehmende Frankophonisierung geklagt. Simon Egbile will das nicht mehr hinnehmen und fordert: „Wir wollen unsere Unabhängigkeit.“ Es ist das Wort, das früher oder später in jedem Gespräch fällt.

„Wir wollen unsere Unabhängigkeit,“ sagt Simon Egbile. Es ist das Wort, das früher oder später in jedem Gespräch fällt

Es fallen auch schwere Anschuldigungen. Simon ­Egbile spricht von erschossenen Landsleuten und nennt die Namen prominenter Unabhängigkeitsbefürworter. „Sie sind verhaftet worden.“ Dass nach ­Nigeria geflohene Anführer der anglophonen kamerunischen Unabhängigkeitsbewegung verhaftet und an Kameruns Behörden ausgeliefert wurden, ist auf scharfe Kritik bei Menschenrechtsorganisationen gestoßen.

Zudem gibt es Gerüchte, dass sich kamerunische Sicherheitskräfte unter die Flüchtlinge mischen. Es ist ein Grund, weshalb der UNHCR entschied, die Flüchtlinge – mittlerweile hat Nigeria nach eigenen amtlichen Angaben mehr als 21.000 Menschen aus Kamerun aufgenommen, nach UN-Angaben einige Tausend mehr – ins Landesinnere zu bringen. „Würden sie in der Nähe der Grenze bleiben, könnte das für Unsicherheit sorgen. Möglicherweise würden Kräfte der kamerunischen Regierung nach ihnen suchen“, erklärt in Nigerias Hauptstadt Abuja Antonio José Canhandula, UNHCR-Repräsentant in Nigeria.

Der Transport der Flüchtlinge ist ein logistischer Aufwand. Weiter in Richtung Osten, also Richtung Kamerun, wird die Straße immer schlechter. Es braucht Zeit und ausreichend Fahrzeuge, um die Menschen aus der Grenzregion nach Adikpo zu bringen. Dabei haben sich viele schon tage- und wochenlang im Wald versteckt und anschließend in Grenzstädten wie Abande ausgeharrt. Simon Egbile hatte es schon einmal bis dorthin geschafft, ging dann aber wieder in seinen Heimatort Akwaya auf der kamerunischen Seite. „Ich wollte nach meiner Familie sehen“, sagt er. Doch als er das Haus der Familie erreichte, war es leer. Was genau passiert ist, weiß er bis heute nicht.

Sie hört noch immer die Schüsse auf ihr Kind

Lucy Akwo weiß es hingegen ganz genau. Die 30-Jährige sitzt auf einer Holzbank im Schatten. Auf der Flucht wurde ihr ältestes Kind erschossen. Als sie davon erzählt, steigen ihr Tränen in die Augen. „Seitdem bin ich krank.“ Immer wieder hört Lucy Akwo die Schüsse, die ihr Kind trafen. Wer sie abgefeuert hat, weiß sie nicht, und sie wird es auch nicht erfahren. In Adikpo versucht sie, sich abzulenken und um ihre anderen fünf Kinder zu kümmern. Die gehen mittlerweile sogar in die Schule. Auch das zeigt, dass niemand eine schnelle Rückkehr nach Kamerun erwartet.

Die magere Frau würde gerne zurück in die Heimat. „Aber nur, wenn es dort wieder sicher ist“, sagt sie. Verlässliche Informationen dazu dringen kaum aus Kameruns Konfliktgebiet nach draußen. Die für den Herbst geplante Präsidentschaftswahl, bei der Präsident Paul Biya, 85, der seit 1982 an der Macht ist, erneut kandidieren will, wird voraussichtlich nicht zu einer Verbesserung der Sicherheitslage beitragen.

In das Kamerun, das er verlassen hat, will auch Simon Egbile nicht zurück. „Jetzt gehen? Das wäre doch wie Selbstmord.“

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.