Ziele für nachhaltige Entwicklung: UNO wird zum Geschäftevermittler

Die Vereinten Nationen setzen immer stärker auf die Privatwirtschaft. Das ist riskant, zeigt eine Studie von Brot für die Welt und anderen NGOs.

Namibisches Mädchen trinkt aus Wasserhahn

Auch das gehört zu den nachhaltigen Entwicklungszielen der UN: sauberes Trinkwasser für alle Foto: imago/blickwinkel

BERLIN taz | Eine clevere Geschäftsidee mit hohen Weihen: Banken nutzen die von der UNO ausgelobten 17 Ziele für eine nach nachhaltige Entwicklung, die Sustainable Development Goals (SDG), um Kasse zu machen. Mit speziellen SDG-Anleihen locken sie InvestorInnen. Das passt: Die Vereinten Nationen setzen auf private Geldgeber und multinationale Konzerne, um die 17 Ziele zu erreichen. Das kritisieren der evangelische Entwicklungsdienst Brot für die Welt und andere Organisationen in einer Studie, die am heutigen Mittwoch erscheint.

Die 193 Mitgliedsstaaten der UNO haben 2015 eine Erklärung mit 17 Zielen verabschiedet, die bis 2030 erreicht werden sollen, etwa die globale Abschaffung von Armut oder das Umsteuern auf nachhaltige Produktion. Um das zu schaffen, wären jährliche Investitionen von 5 bis 7 Bil­lionen US-Dollar erforderlich.

2015 hat in Addis Abeba eine Finanzierungskonferenz stattgefunden, bei der das Ziel bekräftigt wurde, dass alle Staaten 0,7 Prozent ihres Brutto­sozialprodukts in Entwicklungszusammenarbeit stecken sollen – was aber nicht geschieht. Die UNO setzt deshalb mehr und mehr auf das Engagement von Unternehmen. Sie schreibt der Privatwirtschaft eine herausgehobene Rolle zu, als Finanzier und als treibender Faktor von Veränderung, etwa beim Aufbau von Infrastruktur.

„Die UNO sieht sich als Plattform, um Unternehmen einzubeziehen und für das Erreichen der Ziele zu gewinnen“, sagt Studienautorin Anna Cavazzini vom evangelischen Entwicklungsdienst Brot für die Welt. Gefördert wurde die Studie vom Bundesumweltministerium und dem Umweltbundesamt.

Mit dabei: Facebook, MasterCards, Nestlé oder Siemens

Die Vereinten Nationen haben etliche Unterorganisationen speziell für Großunternehmen, etwa das Forum UN Business Action Hub, an dem DHL, BASF, Ikea und die Bank of America beteiligt sind. Im UN Private Sector Forum verkünden multinationale Konzerne wie Anglo American, Facebook, MasterCards, Nestlé oder Siemens, dass sie die Entwicklungsziele mit Pilotprojekten, Genderquoten oder Investitionen in Infrastruktur unterstützen wollen.

Immer mehr multinationale Konzerne nehmen das Gesprächsangebot der UNO an, beobachtet Cavazzini. Einigen geht es um ein gutes Image, manche sind tatsächlich an nachhaltigem Wirtschaften interessiert, und etliche suchen neue Gewinnmöglichkeiten wie den SDG-Bond.

Diese Anleihen lehnen sich an einen Index mit 50 Unternehmen an, die wenigstens ein Fünftel ihres Geschäfts auf nachhaltige Produkte verwenden oder in ihrer Branche in sozialer und ökologischer Hinsicht führend sind. Staatlich kontrolliert wird das nicht. Die französische Bank BNP Paribas und die britische Bank HSBC haben entsprechende Angebote auf den Markt gebracht.

„Politische Steuerung muss an erster Stelle stehen“

Investoren könnten beim Kauf von SDG-Bonds von HSBC kaum ignorieren, dass die Bank wegen Geschäften mit Diktatoren und Waffenhändlern in der Kritik stehe, schreiben die AutorInnen. „Ebenso wenig sollte das eine Organisation wie die UN tun, wenn sie Konzernen erlaubt, ihren Namen oder ihr Produkt zur Förderung ihrer Konzernziele zu nutzen.“

Die ersten Entwicklungsziele der Vereinten Nationen waren die im Jahr 2000 beschlossenen Millenniums-Ziele. Bis 2015 sollten in den Ländern des globalen Südens u. a. extreme Armut, Hunger, HIV und Malaria bekämpft, Schulbildung für alle und die Gleichstellung der Geschlechter erreicht werden. Tatsächlich wurden nur drei von acht Zielen erreicht.

Die 193 UNO-Mitgliedsstaaten einigten sich deshalb 2015 auf eine Weiterentwicklung, die auch den globalen Norden einschließt: die „2030-Agenda“ mit 17 nachhaltigen Entwicklungszielen (Sustainable Development Goals – SDGs), u. a. sauberes Wasser, Klimaschutz, erneuerbare Energien, Reduzierung der Ungleichheit, menschenwürdige Arbeit sowie Partnerschaften zur Umsetzung.

Die AutorInnen sind nicht dagegen, die Privatwirtschaft in die Umsetzung der Agenda 2030 einzubeziehen. Aber „politische Steuerung muss an erster Stelle stehen und kann nicht ersetzt werden“, schreiben sie. Unternehmen setzten nur auf Entwicklungsziele, von denen sie sich etwas versprechen, und ignorierten andere. Und: An ihrer Geschäftsstrategie ändern die wenigsten Unternehmen etwas. Das wäre aber nötig, um die Entwicklungsziele zu erreichen, etwa umweltschonender zu produzieren. Unternehmen setzen höchstens auf Zusatzprojekte.

Auch ist das Engagement nicht ohne Risiko, sagt Cavazzini. Etwa, wenn die Privatisierung in der Wasserversorgung Menschen den Zugang dazu versperrt und nicht erleichtert. Außerdem lenkt die Konzentration auf Finanzierungsfragen und Unternehmensprojekte von nötigen politischen Reformen ab, kritisiert sie. Wichtig sei zum Beispiel ein Gesetz, das Firmen nachhaltige Lieferketten vorschreibt, um Menschenrechtsverletzungen bei der Herstellung von Vorprodukten auszuschließen.

Statt immer stärker auf die Privatwirtschaft zu setzen, fordert Cavazzini eine höhere staatliche Entwicklungsförderung, strikte Regeln gegen Steuerflucht und echte Anreize für nachhaltiges Wirtschaften. „Es gibt durchaus viele Unternehmen, die daran Interesse haben, aber die Nachteile fürchten“, so Cavazzini.

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