Neues Album von Dave Longstreth: Vibrierende Produktivität

Die Gitarren­ sind zurück, in all ihren Facetten. Nach dem überragenden Dirty-Projectors-Album veröffentlicht Longstreth jetzt „Lamp Lit Prose“.

Schwarzweissporträt von drei Männern und drei Frauen

Meister des musikalischen Hakenschlagens: Dirty Projectors Foto: Jason Frank Rothenberg

Aus einem tiefen Graben schallten­ die Töne des letzten, vor etwas mehr als einem Jahr erschienenen Albums der Dirty Projectors heraus. Es hieß wie die Band selbst, die zu dem Zeitpunkt keine funktionierende Band mehr war. Songs wie die bitterböse, entmenschlichte Ballade „Keep Your Name“ zersägten die Beziehung des Bandgründers David Longstreth mit seiner Ex-Freundin Amber Coffman.

Getrennt hatte er sich nicht nur von seiner Geliebten, sondern auch von einem langjährigen Bandmitglied. Coffman war fast zehn Jahre Teil von Dirty Projectors gewesen, ebenso Bassistin Angel Deradoorian. Mit ihrem Harmoniegesang hatten sie den Sound der Band maßgeblich geprägt.

Longstreths letztjähriges Album, das mit dem Verlust seiner Sängerinnen auch den Verlust der stimmlichen Interaktion­ wettmachen musste, war auf raffinierte Weise stimmgetrieben:­ durch Modulation seiner eigenen. Erstmals habe er bei den Aufnahmen die Stimme so richtig als Instrument eingesetzt, sagte er vor einem Jahr der taz.

Auf dem neuen Album „Lamp Lit Prose“ dauert es genau 45 Sekunden, bis Longstreth seine Stimme das erste Mal in unmenschliche Gefilde bringt. Seine elektronisch verfremdete­ und die glasklare der Sängerin Syd wechseln sich in „Right Now“ ab. „Das Schichten von Stimmen folgt genau dem Schema wie zuletzt, doch ist es dieses Mal kollektiver“, erklärt Longstreth. „Ich singe zusammen mit Freunden, mit neuen Kollaborateurinnen. Ich nutze das Duett, um verschiedene Möglichkeiten der Stimme auszuprobieren.“

Die Feature-Gäste tragen keine Strophen bei

Auffällig ist, dass seine ausgesuchten Feature-Gäste oft nur im Refrain oder der Bridge zur Geltung kommen: Syd, sonst beim Hip-Hop-Konglomerat Odd Future zugange und bei The Internet, Fleet-Foxes-Mastermind Robin Pecknold und die R&B-Avantgardistin Empress Of. Sie alle tragen keine Strophen bei oder kommen selbst als KomponistInnen zur Geltung.

Die Gitarren sind in allen Facetten zurück: akustisch bezaubernd, heulend elektronisch

Dennoch sei ihr Beitrag essenziell, meint Longstreth. Amber Mark etwa sei eine seiner Lieblingssängerinnen. „Sie zu einer Dirty-Projectors-Session einzuladen eröffnet eine ganz neue Welt! Wie sie die Hook in ‚I Feel Energy‘, nach oben bringt, ist einmalig: ‚Eeeenergy‘. So hat sie es interpretiert, meine Stimme hat das nicht gemacht.“

David Longstreth kommt von der US-Ostküste. Aufgewachsen auf dem Selbstversorger-Hof seiner Eltern in New England (sein Job war die Aufzucht der Hühner), hat er auch jetzt die Hand auf allem, was sein Studio verlässt. Der 37-Jährige studierte Musik in Yale, brachte 2002 sein im Schlafzimmer produziertes Debütalbum heraus. Darauf folgten acht Werke mit Dirty Projectors, er schrieb mit Björk ein Konzeptalbum über Wale, produzierte für US-Rapstar Kanye West und die R&B-Künstlerin Solange Knowles.

Bis zum umjubelten letzten Album waren fünf Jahre vergan­gen, nun hat es gerade mal eineinhalb Jahre gedauert, bis er neues Material zusammenhatte. Die Wende, die Longstreth, der mittlerweile in L. A. lebt, vollzieht, scheint auf den ersten Blick riesig: Von einem elektro­nischen, fokussiert im Studio produzierten Album zu einer offenen, bunten­ und lichten Platte.

Hochschraubende Dirty-Projectors-Chöre

Die Gitarren­ sind zurück, in all ihren Facetten: akustisch bezaubernd, heulend elektronisch. Man erkennt die sich hochschraubenden, von weiblichen Stimmen gesungenen Dirty-Projectors-Chöre wieder (etwa in „Zombie Conqueror“). Damit erinnert „Lamp Lit Prose“ ganz entfernt an Alben wie „Swing Lo Magellan“ (2012). Allerdings legt Longstreth noch einmal eine Schippe voll mit Effekten und Instrumenten drauf.

Diese Vorgehensweise des kalkulierten Overloads deutete sich zuletzt schon an. Etwa in „Cool Your Heart“ oder mit den Remixen, die er zu „Dirty Projectors“ in Auftrag geben ließ. „Work Together“ hieß damals ein Song. Das hat sich Longstreth nun zum Credo gemacht: Denn das neue Album soll eine „Party“ sein, ein Zusammenspiel aus vielen Ideen von vielen Menschen. Und darum gibt es jetzt auch wieder eine Band, in der nicht zufällig wieder besondere Vokalistinnen versammelt sind.

Unter den neuen Mitgliedern sind nicht nur altbekannte Mitmusiker wie Nat Baldwin (Bass) und Mike Johnson (Schlagzeug), sondern etwa auch die Jazz-Sängerin Kristin Slipp, die bei den ersten Shows der „neuen“ Dirty Projectors sowohl die unterschiedlichen Gesangsparts der neuen Platte übernahm als auch diejenigen von Amber Coffman, die sie in den unvergesslichen Songs etwa von „Swing Lo Magellan“ intoniert hatte.

Anders an „Lamp Lit Prose“ im Vergleich zum Vorgänger ist vor allem, dass die Instrumente nicht am Computer produziert, sondern live im Studio eingespielt wurden. „Ich habe mich dieses Mal wirklich auf das Arrangement konzentriert, nicht wie zuletzt auf die Produktion“, sagt Longstreth.

Die Kunst des musikalischen Hakenschlagens

Die „physischen Instrumente“ geben „Lamp Lit Prose“ seine Farbigkeit. „Farbe“ ist ein Wort, das der Produzent und Musiker selbst immer wieder benutzt, wenn er seine Musik beschreibt: „Es ist nicht so, dass ich wortwörtlich Farben sehe, wenn ich komponiere, aber ich fühle mich mit der Vorstellung eines Spektrums sehr verbunden. Es gibt warme, kalte, tonale Farben. Sie liegen in den Akkorden und Klangfolgen.“

Dirty Projectors: „Lamp Lit Prose“ (Domino/Goodtogo).

Live: 9. August, Haldern; „Popfestival“, 14. August, Berlin, „Heimathafen Neukölln“.

Longstreth ist bekannt für Songs, die die unterschiedlichsten Wendungen nehmen. Auf „Lamp Lit Prose“ perfektioniert er die Kunst des musikalischen Hakenschlagens: Da folgen auf beschnipste Betten aus Akustikgitarren energetische Bläserarrangements und hymnische E-Gitarren-Soli, dann dominieren wieder betörende Retro-Synthesizer wie das Fender Rhodes E-Piano und die Wurlitzer-Orgel.

Drums spielen eine größere Rolle, fehlen in manchen Songs aber auch ganz. In einem Dirty-Projectors-Song stecken meist so viele Ideen, dass andere Künstler daraus vier Songs komponieren würden. Genau so sei das Album auch entstanden, er habe die Stücke aufgenommen, während sie sich entwickelten: „Es war ein Moment von vibrierender Produktivität“, bekennt der Künstler.

All das manifestiert seinen Neuanfang: „Something sweet, something new“, singt Longstreth in „Blue Bird“. Es könnte da auch eine neue Person in seinem Leben geben, sagt er über die auffallende Positivität des Albums. „What Is the Time“, „You’re the One“ und „Blue Bird“ sind perfekte Liebeslieder. Aber nicht nur das sei entscheidend gewesen: „Die Musik scheint vor Energie zu zerbersten. Es gibt zwar einen persönlichen Grund dafür, aber es geht auch um die größeren Strömungen, die wir auf der Erde wahrnehmen können. Wir müssen unseren Optimismus wiederfinden.“

Abgespacter Sound für College-Boys

„Lamp Lit Prose“ übrigens, der Albumtitel, ist nur halb so sinnig wie die assoziativen Songtexte des Albums: Das sei ein Bezug zu Ovids „Metamorphosen“, behauptet Longstreth erst, lacht dann: Nein, alles Quatsch. „Lamp“, weil die Lampe hell sei, wie eben die Musik des Albums auch. „Lit“, weil das Album eine Party sei (nur auf der wörtlichen Ebene bedeutet das Wort „erhaben“ oder „erleuchtet“, „lit“ ist zugleich US-Slang für angeschickert). Und Prosa sei letztendlich einfach nur ein cooles Wort, Literatur (für die „lit“ theoretisch auch stehen kann) sei immer gut.

David Longstreth nimmt sich also auch selbst auf den Arm. Er kennt den Vorwurf, seine Musik sei elitär-abgespacter Sound für College-Boys mit großer Aufmerksamkeitsspanne. Und er weiß auch, dass der Ansatz, mit einem Album in bombastischen, fast anstrengenden Arrangements ungeschmälerte Freude auszudrücken, Fans des letzten Albums vergraulen könnte. Aber so optimistisch, wie es auf „Lamp Lit Prose“ klingt, ist ihm das auch egal, schließlich ist das Album keine I-Message.

Und: Mit dem Finale des Albums „(I Wanna) Feel It All“ schafft er am Ende sogar noch einen Song für die, die ihn wieder croonen hören wollen und zähmt die ihn sonst umfliegenden Instrumente: Saxophone, Hörner und Trompeten, Fender Rhodes und Wurlitzer sowie softe Percussion-Elemente fügen sich jazzig und warm um seinen schlichten Gesang.

„Change is the only constant law“, singt Longstreth in „You’re the One“. Eine Wahrheit, die er selbst bewiesen hat.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.