Zeigefingertauglich, aber nicht blöd

Die unermüdlichen California-Punks Bad Religion gastieren in der Columbiahalle und begehen das 30-jährige Jubiläum des Genreklassikers „Suffer“ – in mancher Hinsicht waren sie leider prophetisch

Seminarraum oder Pogo? Bad-Religion-Sänger Greg Graffin in der ColumbiahalleFoto: Ben Kriemann/POP-EYE

Von Jens Uthoff

Bad Religion sind ein moderner Klassiker. Das wird an diesem Konzertabend, den Sänger Greg Graffin später zur „hottest show of the year“ erklären wird, recht schnell deutlich. Gleich zu Beginn spielt das kalifornische Punkrock-Quintett etwa „Stranger Than Fiction“, einen Song von 1994, Greg Graffin trägt ihn gestenreich wie eh und je vor, und mit seinem unverkennbar melodischem Gesang lässt er gleich mal wissen, dass der Albtraum, den Amerika da gerade erlebt, leider wahr ist. Denn: „Sometimes truth is stranger than fiction“.

Die Band um Greg Graffin, der inzwischen 53 Jahre alt ist und sich neben seiner Tätigkeit als Punkrock-Sänger der Evolutionsbiologie widmet, gehörte schon immer zu den hellsichtigsten US-Punkbands. In der schweißklammen Columbiahalle, in der Bad Religion gastierte, um das 30. Jubiläum ihres Albums „Suffer“ zu begehen, zeigt sich dies schon im ersten Teil des Abends. Da spielen sie eine Art Hit-Potpourri, es besteht aus Stücken wie dem heute retrofuturistisch anmutenden „21st Century Digital Boy“ (1990), dem zeitlos-wütenden „Generator“ (1992) und dem Zweieinhalb-Minuten-Readymade „Punk Rock Song“ (1996).

Während die gut 3.000 Besucherinnen und Besucher zu den kurzen und oft sehr simplen Punkrocknummern die Köpfe schütteln, die Finger recken (so ein Bad-Religion-Kunststück: Sie schreiben Songs zum Zeigefingerrecken, die nicht dumm oder parolenhaft sind) oder sich dem Slam Dance hingeben, kann man gut studieren, was für eine höchst ungewöhnliche Punkband die Band schon immer war und weiterhin ist. Angefangen mit Sänger Graffin, dieser jetzt so gertenschlanken, unscheinbaren Gestalt mit grauem Haarkranz und schwarzer Brille, die man irgendwie immer noch eher in einem Seminarraum erwarten würde als gestikulierend vor einer pogenden Meute.

Und dann hat sich Bad Religion, 1980 in L.A. gegründet, ja eigentlich schon immer in ihren Texten gegen das antiintellektuelle, antiwissenschaftliche und gegen das evangelikale Amerika gewendet, das gerade in seiner übelsten Ausprägung durchschlägt – in dieser Hinsicht waren sie leider fast prophetisch. Gleichzeitig haben sie früh ein Verständnis von Punk als Denkfigur geprägt, die sich immer wieder gegen sich selbst wenden muss, sich hinterfragen muss, um sich zu erneuern. Nur die Musik, die blieb dabei immer der gleiche Mid-Tempo-Punkrock.

Hoffnungsspendend ist ein Bad-Religion-Konzert im Jahre 2018 allemal, integrativ sowieso. Denn so unterschiedliche Leute wie hier – der etwas bieder wirkende Bürohengst steht da schon mal neben dem tätowierten Altpunk, das gesetztere alte Pärchen neben dem jungen Austauschstudenten – kommen jenseits des Mainstreams eher selten zusammen. Und so richtig Mainstream waren Bad Religion dann halt doch nie.

Hoffnungsspendend ist ein Bad-Religion-Konzert im Jahre 2018 allemal

Im ersten Teil des Abends reihen Graffin und seine Mitstreiter da also weiter Hit an Hit, „American Jesus“ (1993), „Sorrow“ (2002) und „Fuck You“ (2013) werden Wort für Wort von der sehr treuen Fangemeinde mitgesungen, auf den Boden der Columbiahalle tropft munter Schweiß. Aber ein bisschen wundert man sich dann doch: Wo bleiben denn die Stücke von „Suffer“? War man nicht hier, um das 30-Jährige dieses Punkklassikers zu feiern?

Das Geheimnis lüftet sich mit Teil 2 der Show. Da wird das ikonografische Cover des besagten Albums von Jerry Mahoney als Bühnenhintergrund enthüllt: brennender Junge vor Vorstadtgärten. Und dann gibt’s, schlanke 25 Minuten lang: „Suffer“, das ganze Album von vorne bis hinten. „You are (The Government)“, „Give You Nothin“, „Land Of Competition“. Nach den ersten acht Songs deuten Graffin und Gitarrist Brian Baker das Umdrehen der Platte an – ja, das Werk erschien noch in den Zeiten vor dem Durchbruch der CD.

Dann hören wir auch noch die zweite Seite zu Ende und gehen auf rutschigem Boden nach einem guten Punkrock-Konzert nach draußen an die gar nicht so frische Luft.