zwischen den rillen
: Wunderbare Simulation

Pariah: „Here From Where We Are“ (Houndstooth)

Eines der interessantesten TV-Formate der jüngeren Vergangenheit ist die US-Prank-Not-Prank-Comedy „Nathan 4 You“ des 35-jährigen Kanadiers Nathan Fielder. In seiner Serie, die mittlerweile vier Staffeln umfasst, werden die Vektoren des aktuellen Fernsehens schonungslos offengelegt und vorgeführt.

Einer seiner bekanntesten „Stunts“ hat sich vor einem Jahr beim Night-Talker Jimmy Kimmel abgespielt. Mit dem Wissen um die Dynamik solcher Talk-Shows – ein Gast wird kurz interviewt und erzählt eine witzige Anekdote aus seinem Leben – stellt Fielder fest, dass er gar keine Anekdote zu erzählen habe. Also skriptet dieser eine absurde Geschichte, die von Verwechslungen und Punchlines geprägt ist. Diese Story inszeniert Fielder extremst aufwendig Tage im Voraus, um schließlich eine „echte“ respektive wahre Geschichte erzählen zu können.

Da lacht Jean Baudrillard. Der französische Medientheoretiker und Philosoph hat sich hauptsächlich mit der simulativen Natur der postmodernen Gesellschaft auseinandergesetzt. Und „Nathan 4 You“ ist eine Simulation von bedeutungslosem TV. Nach Baudrillard begegnen wir immer mehr Informationen beim gleichzeitigen Ausbleiben von Bedeutung.

Diese Art von Aushöhlung beschränkt sich aber nicht nur aufs Fernsehen, sondern erfasst auch andere Bereiche kultureller Produktion, wie etwa die Popmusik. Das Hangeln von Retrowelle zu Retrowelle findet dort seinen derzeitigen Höhepunkt im Revival von New-Age-Ambient-Ästhetik. Im Feld der elektronischen Tanzmusik potenziert sich diese Entwicklung noch weiter.

Das synthetisch Futuristische, das aus Geräten wie Drum Machines entstand, war über Jahrzehnte der Bedeutungstaktgeber auf dem Dancefloor. Das bis dahin Ungehörte, dessen Inhalt erst mit Bedeutung gefüllt werden musste. Gerade Techno schmückte sich (deswegen) immer wieder mit der Herstellung von Ambience: Da kann man von Jeff Mills bis Mouse on Mars Hunderte nennen.

Neu ist aber die Verbindung des Künstlichen mit etwas sehr Realem: der neuen New-Age-Musik, die aktuelle elektronische Musik im gleichen Maße unterwandert. Über Prog- und Krautrevival dazugestoßen, kümmern sich mittlerweile auch Produzent*innen, die noch lange nicht geboren waren, als hippie-eske Musikkultur in jazzige, gniedelige Esoterik abrutschte, um Patschulidunst und heilende Steine.

Ob Räucherstäbchen im Studio des britischen Produzenten Pariah (aka Arthur Cayzer) bei der Aufnahme seines Debütalbums „Here From Where We Are“ angezündet wurden, ist nicht bekannt. Doch sucht man tiefere Bedeutung in den neun Stücken wohl vergeblich. Detailgenau und minutiös zaubert Pariah pittoreske Sounds aus analogem Material: Von Regentropfen bis Vogelgezwitscher ist alles dabei, was das Ambient- und das New-Age-Herz höherschlagen lässt. Eine wohlkuratierte Spotify-Playlist hätte die Ambience nicht besser erzeugen können.

Hier mäandern elegische, traumhafte Sequenzer-Schlachten, manchmal zirpt es. Doch in der meisterhaften Ausführung liegt sogleich die Aushöhlung des aktuellen Trends. Alles wirkt real wie irreal zugleich; der Eindruck einer bloßen Simulation der Realität drängt sich mit jedem verhallten Synthanschlag weiter auf. Dennoch ist das alles vollkommen berechtigt in einer Zeit, die sich immer mehr der Bedeutung von Kunst entledigt und diese als bloße Oberfläche benutzt. Simulationen können wunderbar sein und ihren Reiz besitzen, wenn man sie als solche erkennt. Das wissen kanadische Comedians genauso wie britische Techno-Produzenten. Lars Fleischmann