Im Anfang war der Teig

Das Comeback der christlichen Schöpfungslehre an US-Schulen hat eine parodistische Gegenbewegung provoziert, vielleicht sogar eine neue Religion gestiftet: die vom Fliegenden Spaghettimonster

VON JAN FEDDERSEN

Wenn vor einem halben Jahr ein europäischer Kardinal in einem Meinungsbeitrag für die New York Times nicht gewisse Irritationen hervorgerufen hätte, wäre die ganze Debatte womöglich glatt am Alten Kontinent vorbeigelaufen. Eine Debatte, in der es um Kränkung geht, um theologische Selbstbehauptung und Weltdeutung überhaupt – und die neuerdings von einem völlig neuen Aspekt bereichert wird, der zunächst kurios schien, sich inzwischen aber mittels Internet vieler Seelen bemächtigt hat: dem Aspekt des Fliegenden Spaghettimonsters. Das klingt verwirrend, weshalb erst einmal die Rede kommen muss auf den Wiener Kardinal Christoph Schönborn und seine öffentlichen Erwägungen hinsichtlich der Evolutionstheorie.

Auf säkularer Ebene, im wissenschaftlichen Sinne, ist diese Theorie längst bestätigt: Charles Darwin, ein Mann des 19. Jahrhunderts und dem Christlichen sehr zugetan, ergründete unter seelischer Pein, dass die menschliche Spezies nicht ein Werk Gottes sei, sondern ein Wesen, das über Milliarden von Jahren aus einer Fülle von chemischen, physikalischen und neurophysiologischen Prozessen hervorgegangen ist, entstanden aus einer dialektischen Mixtur aus Zufall und Bestimmung. Der Mensch in seiner Unvollkommenheit, wie Evolutionsbiologen sagen, ist deshalb Mensch geworden, weil er sich unter allen Lebewesen am stärksten und besten, also am überlebensfähigsten an die Natur und seine Umwelt anzupassen verstand, notfalls auch dagegen.

Mit dieser prozessualen Sicht mochte sich der Kardinal aus Wien nicht mehr zufrieden geben. Die Evolution – vatikanisch noch in den Sechzigerjahren akzeptiert, als es hieß, Evolution und Gottesglaube seien vereinbar –, diese laut Schönborn gewiss respektable Theorie, sei ohne einen „intelligenten Designer“ nicht denkbar, der Mensch und überhaupt die Welt in ihrer Schönheit seien sonst nicht schöpfbar gewesen.

Evolutionsbiologen in aller Welt runzelten darüber die Stirn und fühlten sich alarmiert: Die Lehre vom „Intelligent Design“ ist in einigen Bundesstaaten der USA ein gleichberechtigt mit der Darwin’schen Lehre unterrichteter Ansatz der Biologie.

Ihre Verfechter würden zwar nicht von einem Gott sprechen, der gleich einem verrückten Wissenschaftler aus einem James-Bond-Film an Knöpfen dreht und „Adam“ ruft, um den Mann zu erschaffen, und „Eva“, um sein geschlechtliches Pendant zu schaffen. Denn diese Vorstellung immerhin hat der Oberste Gerichtshof der USA längst auf den Index gesetzt, Gott darf im Biologieunterricht nicht als Zeuge vernommen werden. Aber, und das ist der eigentliche Erfolg der so genannten Freunde der Theorie vom Intelligent Design: Mit der Idee vom überlegten überirdischen Willen darf die Evolutionstheorie wenigstens in Zweifel gezogen werden, ganz offiziell im Unterricht, beispielsweise in Kansas.

Denn Evolution als solche ist nicht fühlbar. Wäre sie es, schon das Wachstum von Gras erschiene uns wie eine apokalyptische Kakophonie. Dass also der Mensch ein Mensch wurde, aus universaler Ursuppe über molekulare Prozesse vom irgendwann kriechenden Wesen zu einem, dem aufrechter Gang möglich ist – das ist auch nur als ziemlich abenteuerliche Geschichte erzählbar, als Theorie im Alltag allerdings kaum verifizierbar.

Seit Schönborns Einlassung im Blatt der New Yorker Intelligenz ist in den bildungsbürgerlichen Milieus aller westlichen Gesellschaften, nun ja, der Teufel los. In allen Zeitungen, ob in der Zeit, der FAZ, im britischen Guardian, im schwedischen Svenska Dagbladet oder dem spanischen El País, wird debattiert – und die Lehre vom Intelligent Design als das bewertet, was sie ist: ein Hokuspokus, der sich nur dann charmant läse, käme er aus Kindermund.

Wenn aber Erwachsene sie ernsthaft in Erwägung ziehen, ist aller naiver Charme dahin: Darwins theoretischer Befund war ja die zweite der drei wichtigsten Kränkungen, die Gottgläubige egal welcher Prägung im Laufe der Geschichte zu verkraften hatten – nach der Entdeckung des Physikers Nikolaus Kopernikus, dass das Universum sich nicht um die Erde dreht und letztere keine Scheibe ist; Charles Darwin durchkreuzte den göttlichen Plan als schon vom Personaltableau her absurd, denn Gott war nie ein Chef im materiellen Sinne. Und Sigmund Freud schließlich räumte dann auch noch mit der Fantasie auf, der Mensch sei ein vernunft- und gottgesteuertes Wesen, dessen Treiben, ganz lustfern, einzig der Fortpflanzung diene.

So ließ sich denn auch der Chefastronom des Vatikans vernehmen, allzu naive Vorstellungen vom allmächtigen Knöpfchendreher würden den Glauben bagatellisieren: Ein so schlampiges Modell wie der Mensch könne nicht von einem perfekten Gott kreiert worden sein. Der Mensch kann nicht fliegen, er muss die Alterung seines Körpers hinnehmen, und sein Körper überhaupt ist im Grunde eher pfuschig konstruiert – man denke nur an die Gebrechen, die jeden irgendwann nerven: die der Nerven, des Rückens oder der Sinnesorgane. Der Mensch ist ein evolutionärer Kompromiss; und wie jeder Kompromiss mit Mängeln behaftet, die freilich, den Glauben ernst genommen, keinem Gott angelastet werden können.

In den USA jedenfalls, die ja von einem Fürsprecher der Idee vom Intelligent Design regiert werden, wurde gegen die „Kreationisten“ nun eine Bewegung ins Leben gerufen, die wahrhaft spirituellen Schwung in die Debatte bringt: Die Rede ist vom „Flying Spaghetti Monster“.

Das Glaubensbekenntnis wird von den so genannten Pastafari bezeugt – und ihre ersten Apokryphen werden im Internet nachzulesen sein, die glühendsten unter www.venganza.org. Binnen wenigen Wochen hat sich diese Religion zu einer eschatologischen Gemeinschaft gemausert, die sich schon in Häretiker, Dogmatiker und Ketzer spaltet – was sich in erbittert geführten Streiten darüber äußert, ob die Schlussformel des Gebets, „Ramen“ nämlich, wirklich eine japanische Nudelsuppe meint oder nicht doch das Murmeln am Ende einer spaghettiähnlichen Erscheinung.

Die Anhänger des Flying Spaghetti Monster eint, dass sie sich den Spuk des Intelligent Design wenigstens im Schulunterricht öffentlicher Schulen verbitten – und ihre eigene quasibiblische Botschaft in den Schulunterricht von Kansas integriert sehen wollen, was in fundamentalklerikalen Kreisen wütend als Veräppelung der Schöpfung angefeindet wird, als Verhöhnung des Göttlichen ohnedies.

Hinter der Wut ist allerdings der gleiche abrahamitische Zorn spürbar, der kenntlich wurde, nachdem Darwins Befunde in den USA den Biologieunterricht durchsetzten: Das war in den Zwanzigerjahren des vorigen Jahrhunderts freilich schon deshalb nötig, um im weltweiten Bildungsvergleich nicht gänzlich den internationalen Anschluss zu verlieren. Ein Zorn, der gespeist ist aus Patriarchalismus und familiäre Verhältnisse camoufliert, in denen Gott wie ein rachsüchtiger, Unterwerfung fordernder Vater fantasiert wird: Und der doch nur den Vorwand abgibt für alle aggressiven, schlechten Väter. Das Fliegende Spaghettimonster ist da ein freundlicheres Deutungsangebot, zwar auch nur ein höheres Wesen, aber appetitlicher.

Wenngleich diese Gläubigen vom Internetlexikon Wikipedia rasch als „parodistisch“ qualifiziert werden, so bleibt zu notieren, dass diese neue Religion eine Million Dollar als Belohnung für jenen ausgelobt hat, der empirisch widerlegen kann, dass Jesus Christus nicht der Sohn des Spaghettimonsters ist.