Bedeutung des Urteils zu Xavier Naidoo: Antisemitismus beim Namen nennen

Das Landgericht Regensburg beschließt, dass der Sänger Xavier Naidoo nicht Antisemit genannt werden darf. Ein Urteil mit gefährlicher Symbolkraft.

ein Mann singt in ein Mikrofon

Mehr als nur ein schlechter Sänger: Xavier Naidoo Foto: dpa

Xavier Naidoo spricht bei Treffen von sogenannten „Reichsbürgern“, übernimmt in seinen Liedern Wordings der neuen Rechten und reproduziert judenfeindliche Stereotype. Doch ist Naidoo ein Antisemit? Niemals. Zumindest darf man ihn künftig nicht mehr als einen bezeichnen. So lautet das Urteil des Landgerichts Regensburg vom vergangenen Dienstag. Das Urteil hat noch keine Rechtskraft. Geklagt hatte der Sänger der Band „Söhne Mannheims“ gegen eine Referentin der Amadeu Antonio Stiftung, die noch in Berufung gehen kann.

Diese hatte im vergangenen Jahr vor Publikum gesagt: „Er ist Antisemit, das ist strukturell nachweisbar.“ Laut Richterin Barbara Pöschl konnte die Referentin ihre Vorwürfe nicht belegen. Zwar handele es sich bei der Aussage der Referentin, um eine Meinungsäußerung, doch hier überwiege das Persönlichkeitsrecht des Sängers. Richterin Pöschl verkündete in ihrer Urteilsverkündung, dass Naidoo nicht „in seinem ganzen Tun und Denken als Antisemit einzustufen ist“.

Gerade diese Argumentation verdeutlicht, wie schwierig das Urteil ist. Es wirft die Frage auf: Ist jemand ein*e Antisemit*in, wenn er oder sie etwas Antisemitisches sage? Wer das bejaht, muss demnach auch Menschen, die etwas Rassistisches oder Sexistisches sagen, als Rassist*innen oder Sexist*innen bezeichnen. Doch wer bitte sind die Menschen, die noch nie einen stereotypen Witz erzählt haben? Die sich immer einmischen, wenn sie diskriminierendes Verhalten sehen? Die noch nie eine PoC für ihr gutes Deutsch gelobt haben oder sie gefragt haben, woher sie „wirklich“ kommen?

Menschen, die noch nie jemanden diskriminiert haben, durch Gedanken, Worte oder Taten, gibt es nicht. Sie dann als Rassist*innen, Sexist*innen oder Antisemit*innen zu bezeichnen, ist richtig, denn es zeigt auf, wie ganzheitlich und strukturell diese Diskriminierungsformen sind. Denn Diskriminierung ist nie das Fehlverhalten eines*r einzelnen. Es sind Denkmuster und Strukturen, die unsere Gesellschaft verinnerlicht hat und ständig reproduziert. Doch wie dann unterscheiden zwischen einer Alice Weidel, Xavier Naidoo und der Nachbarin?

Entscheidend ist, wie wir damit umgehen, wenn wir selbst oder andere erkennen, was wir sagen, denken oder tun. Ob wir versuchen, unser Verhalten kritisch zu hinterfragen und daraus lernen.

Antisemitische Klischees und Codes

Wer das nicht tut, ist das Problem. Und einer von ihnen ist Naidoo. Er widerspricht der Aussage der Referentin, er sei Antisemit. Er begründet es damit, dass sein Sohn ja einen hebräischen Namen trage. Doch diese Argumentation ist in etwa so haltbar, wie „Ich bin kein Rassist, ich habe einen schwarzen Bekannten“ oder „Ich kann kein Sexist sein, denn meine Mutter ist ja eine Frau“.

Die Referentin der Amadeu-Antonio-Stiftung bezieht sich im Prozess auf seine Liedtexte, in denen er Antisemitisches reproduziert. Dort singt er: „Baron Totschild gibt den Ton an“. Er benutzt Totschild als eine Chiffre für die jüdische Bankerfamilie Rothschild und reproduziert damit die Verschwörungstheorie, dass Juden die Allmacht über das Finanzwesen hätten. In einem weiteren Lied heißt es: „Muslime tragen den neuen Judenstern. Alles Terroristen, wir haben sie nicht mehr gern.“ Darin ist nicht nur eine Verharmlosung des Holocausts, sondern auch Hetze gegen Muslim*innen zu lesen.

Naidoo behauptete vor Gericht, diese antisemitischen Klischees und Codes nicht zu kennen. Und zeigt damit, dass er das Problem nicht verstanden hat oder nicht verstehen will. Als eines kann man ihn damit auf jeden Fall bezeichnen: ignorant.

Falsches Signal

Wenn wir antisemitische Äußerungen und Verschwörungstheorien nicht mehr als solche benennen, ist das falsch. Das Gerichtsurteil vermittelt den Eindruck, es sei okay diese Stereotype zu reproduzieren und erweitert damit den Bereich des Sagbaren.

Es entsteht eine Grauzone, die damit auch künfitg weiter genutzt werden kann, um Menschenverachtendes weiterzuverbreiten. Doch gerade in Zeiten, in denen Hass auf Juden und Jüdinnen in Deutschland zunimmt und junge Männer mit Kippa auf offener Straße verprügelt werden, ist es notwendig, die Dinge beim Namen zu nennen.

Und das hätte auch im Urteil von Naidoo passieren müssen. Denn die Kunstfreiheit wurde beim Urteil berücksichtigt, nicht aber welchen Einfluss und welche Reichweite Naidoo mit seinen Liedern hat. Und wenn Naidoo nicht als Antisemit bezeichnet werden möchte, sollte er aufhören Antisemitisches zu sagen. Vielleicht sollte er besser wieder von irgendwelchen steinigen Wegen singen. Oder einfach gar nicht mehr.

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