Aktivist flüchtet aus Nicaragua

Regierung erhöht den Druck auf Menschenrechtsorganisationen. Zentrales Büro in Managua schließt

Von Ralf Leonhard

Nicaragua versucht sich in Normalität. Oppositionelle Demonstrationen werden nicht mehr mit Schusswaffen bekämpft. Präsident Ortega schickt jetzt seine Anhänger zu Gegendemos auf die Straße, um Stärke zu zeigen. So am vergangenen Wochenende.

Verstärkt werden diese Märsche mit Staatsangestellten, die um ihre Jobs fürchten, wenn sie nicht mitmachen. Trotzdem bleibt laut Oppositionsmedien die Teilnahme dürftig. Einen Protestzug gegen die Massenentlassungen in den öffentlichen Kliniken versuchte die Polizei durch Absperrungen zu verhindern. Schließlich wurden aber alle Straßensperren aufgehoben und Tausende Menschen marschierten mit blau-weiß-blauen Nationalflaggen durch die Hauptstadt Managua. Über 100 Ärzte und anderes medizinisches Personal, das sich an Demonstrationen beteiligt oder verletzte Oppositionelle versorgt hatte, sind in den vergangenen Tagen entlassen worden.

Dass die Lage nach monatelangen Unruhen und wahrscheinlich über 400 Todesopfern alles andere als normal ist, beweisen maskierte Bewaffnete, die neuralgische Punkte bewachen, Passanten kontrollieren und ihnen manchmal den Weg versperren. Bedroht sieht sich auch die Menschenrechts­vereinigung ANPDH, die am Sonntag „nach alarmierenden Berichten über illegale Praktiken gerichtlicher Verfolgung“ die Schließung ihres Zentralbüros in Managua bekannt gab. Der Vorsitzende Álvaro Leiva floh aus Sicherheits­gründen nach Costa Rica. Er habe in dem von bewaffneten Gruppen belagerten Büro ständig Drohanrufe bekommen.

Die ANPDH wurde während der sandinistischen Revolution in den 1980er Jahren mit Geldern aus den USA gegründet. Sie wachte vor allem über die Rechte von Regimegegnern und Konterrevolutionären. Diese politische Schlagseite konnte sie aber später glaubhaft abstreifen. Zuletzt war es die Organisation, die mit 448 Toten die Opferstatistik anführte.

Mit „gerichtlicher Verfolgung“ meint die Organisation das gerichtliche Vorgehen gegen Oppositionelle auf Grundlage eines im Juli verabschiedeten Antiterrorgesetzes, das jeden Protest in die Nähe terroristischer Praktiken rückt. Hunderte vor allem junge Männer wurden in den letzten Wochen unter diesem Vorwurf festgenommen. Die Ständige Menschenrechtskommission (CPDH) sprach von 132 politischen Gefangenen, denen wegen Beteiligung an Demonstrationen Freiheitsstrafen zwischen 15 und 20 Jahren drohen. Viele von ihnen seien von Paramilitärs, also illegal, festgenommen worden.

Die CPDH meldete am 2. August über soziale Medien, dass aus ihren Büros Dokumente und persönliche Gegenstände von Mitarbeitern gestohlen worden seien. Sämtliche Menschenrechtsgruppen werfen Präsident Daniel Ortega Morde, außergerichtliche Hinrichtungen, Misshandlungen, Verdacht von Folter und willkürliche Verhaftungen vor. Ortega hatte vor Kurzem im Interview mit dem in Miami ansässigen Journalisten Andrés Oppenheimer den Menschenrechtsorganisationen vorgeworfen, sie würden der Agenda der USA folgen, also gezielt Destabilisierung betreiben.

Ähnliches legt er auch den Bischöfen zu Last, die sich wiederholt schützend vor Demonstranten gestellt haben. Außenminister Denis Moncada reiste in den Vatikan, um Papst Franziskus zu bitten, die nicaraguanischen Bischöfe zurückzupfeifen. Man sei bereit, den nationalen Dialog wieder aufzunehmen, wenn die Moderation andere Bischöfe übernähmen. Besonders der kritische Weihbischof Silvio Báez ist der Regierung ein Dorn im Auge. Bei einer Vermittlungsmission in der Stadt Diriamba wurde er von Paramilitärs mit einem Messer verletzt.