Kommentar Rechter Mob in Chemnitz: Um Sachsen kämpfen

Am Montagabend konnten Nazis in Sachsen machen, was sie wollten. Resignation wäre jetzt aber falsch. Denn Sachsen ist, was wir daraus machen.

Menschen mit einer Antifa-Flagge stehen auf der gegenüberliegenden Straßenseite von einer großen Menschenmenge

Sie waren zwar wenige, aber sie waren da: Menschen, die gegen Rechte demonstriert haben Foto: dpa

In Sachsen konnten Nazis am Montagabend machen, was sie wollten, mitten in Chemnitz, mitten in einer Großstadt. Sie konnten Menschen schlagen, ohne dass jemand sie festnimmt. Sie durften den Hitlergruß zeigen, ohne dass jemand sie stoppt. Sie haben den öffentlichen Raum dominiert, ohne viel Gegenwehr.

Tausende Rechte wurden mobilisiert, während der sächsische Innenminister nicht aus der Hüfte kam. Es war ein Moment, der einen schaudern lässt. Für einige Stunden war das spürbar, was die Rechten zeigen wollen: Der Staat ist schwach, die Stadt gehört ihnen.

Es geht dabei nicht nur um Hools und Nazis. Denn die können sich getragen fühlen von den 27 Prozent, die die AfD 2017 bei der Bundestagswahl in Sachsen bekommen hat.

Aber Resignation ist falsch, genauso wie Säxit-Witze und abgeschmackter Sarkasmus, der nirgendwo hinführt als zu ein paar Twitterherzchen. Dieses wunderbare Bundesland mit all seiner Kultur, seiner demokratischen Tradition und seinem Aufbruchsgeist verdient mehr. Fünf Punkte:

1. Um die Straße kämpfen. Gegen die Nazis haben am Montag in Chemnitz wenige protestiert. Manche mögen über ihre Antifa-Rituale spotten. Aber: Sie waren da, als der Rest der Zivilgesellschaft vor dem Fernseher klebte. Dabei geht eigentlich mehr, wie Proteste gegen Aufmärsche in Leipzig oder Dresden immer wieder gezeigt haben: kreativ, bunt, stark.

2. Um die Migrantinnen und Migranten kämpfen. Je mehr Flüchtlinge in Sachsen attackiert werden, desto stärker müssen Behörden und Unternehmen sie unterstützen: in ruhiger Selbstverständlichkeit. Eine Ombudsstelle würde gegen Rassismus von Behörden helfen. Flüchtlinge sollten eben nicht gesammelt untergebracht werden, sondern in kleinen Wohneinheiten. Aber sollte man Flüchtlingen Gegenden wie das sächsische Vogtland nicht lieber ersparen? Nein: Erfahrungen etwa in Vorpommern zeigen, dass rechte Hegemonie in einer Region keinesfalls irreversibel ist, wenn sich Initiativen von außen mit engagierten Einheimischen zusammentun. Und: Sachsen, die nicht wollen, dass ihr Freistaat vollends umkippt, sollten auf Menschen, die neu sind im Land, zugehen: Gut, dass Du hier bist. Bleib.

3. Um die Schulen kämpfen. Unterricht braucht keinen Weltanschauungs-Knigge. Nötig sind mehr Zeit und eine Diskussionskultur. In Sachsen ist eine gute Initiative namens „W wie Werte“ auf dem Weg, für die die Landesregierung aus CDU und SPD eine Million Euro bereitgestellt hat. Gemeinschaftskunde schon ab der 7. statt ab der 9. Klasse, mehr Zeit für Vertrauenslehrer, zusätzliche Klassenlehrerstunden. Es ist richtig, erfolgreiche Projekte wie „Schule ohne Rassismus“ einzubeziehen. Bitte mehr davon!

4. Um Michael Kretschmer kämpfen. Ja, wirklich. Natürlich hat Sachsens Ministerpräsident in den letzten Wochen ziemlichen Blödsinn gemacht, als er ein bedrängtes ZDF-Team diskreditierte. Aber der CDU-Politiker macht auch viel richtig. Während sein Vorgänger Stanislaw Tillich das Land kaputtsparte und sich in der Staatskanzlei einmuckelte, setzt sich Kretschmer den Leuten aus. Es kann leicht sein, dass ein Sieg Kretschmers bei der Landtagswahl 2019 die letzte Ausfahrt vor einer CDU/AfD-Regierung wäre. Wird er abgesägt, rutscht die Sachsen-CDU noch weiter nach rechts. Ein Schwarz-Blau beziehungsweise -Braun darf es aber nicht geben. Sonst verschiebt sich die Hegemonie nicht nur in den Köpfen, sondern auch institutionell. Sachsen würde so systematisch umgepolt, dass wir uns fast wehmütig an #Pegizei als lustigen Hashtag erinnern werden.

5. Um die kulturelle Hegemonie kämpfen. Dass sich Chemnitz, die Stadt, in der rechte Nationalisten marschierten, für 2025 als Europäische Kulturhauptstadt bewirbt, erscheint jetzt vielen als Schnapsidee. Nein, genau solche Projekte prägen den öffentlichen Raum, sie öffnen den Blick. „Chemnitz ist, was wir daraus machen“ steht auf der Homepage der Bewerbungsinitiative. So ist es. Und so ist das auch mit Sachsen.

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