Neues Polizeigesetz in Bayern: Ohne Anklage im Gefängnis

Seit einem Jahr darf die Bayerische Polizei Menschen ohne Anklage bis zu drei Monate inhaftieren. Und sie tut es auch, wie aktuelle Zahlen zeigen.

Plakat: Politiker attakieren Grundrechte

Gegen die Verschärfung des Polizeiaufgabengesetzes wurde im Vorfeld schon massenhaft demonstriert Foto: imago / Christian Mang

BERLIN taz | Ohne Anklage in Präventivhaft festsitzen, Dauer ungewiss – was sich nach einem Zustand in einer hoffentlich weit entfernten Diktatur anhört, ist in Bayern seit gut einem Jahr möglich. Mit der Einführung des neuen Polizeiaufgabengesetzes (PAG) durch die Bayerische Landesregierung kann die Polizei des Bundeslandes Menschen schon bei „drohender Gefahr“ in Haft nehmen, wenn also noch kein konkreter Rechtsverstoß vorliegt. Anstatt wie zuvor zwei Wochen in Untersuchungshaft auf Basis des Verdachts einer Straftat, kann die Polizei betreffende Personen jetzt bis zu drei Monate festhalten, nur auf Grundlage einer „drohenden Gefahr“ – und diesen Zeitraum beliebig erweitern.

Wie weit diese präventive Inhaftnahme in Bayern bis jetzt angewendet wird, geht aus der Antwort des Innenministeriums auf eine Anfrage der Fraktionschefin von Bündnis 90/Die Grünen, Katharina Schulze, hervor. Zuerst berichtete die Süddeutsche Zeitung darüber. Seit Einführung der Neuregelung des Präventivgewahrsams zum 1. August 2017, also vor gut einem Jahr, saßen elf Menschen länger als zwei Wochen in einer Zelle. Der Zeitraum reichte von 15 Tagen bis zu zwei Monaten, so der Bericht.

Für die Grünen-Politikerin Katharina Schulze ist diese Zahl zu hoch. Sie fordert mehr Transparenz im Bezug auf den präventiven Gewahrsam. Die Staatsregierung solle dem Landtag gegenüber eine generelle Berichtspflicht haben, und damit mindestens einmal jährlich Anzahl, Dauer und Gründe der Inhaftnahmen von mehr als zwei Wochen aufschlüsseln. Außerdem reiche sie gerade eine zweite Anfrage ein, so Schulze, um mehr über die Hintergründe der Inhaftierungen erfahren zu können.

Beunruhigende Zahlen und funktionslose Technik

Unter Berufung auf das Innenministerium weist die Süddeutsche Zeitung darauf hin, dass es sich bei allen vorbeugend Inhaftierten um Asylsuchende handelt. Den härtesten Fall stellt eine zweimonatige Ingewahrsamnahme eines mutmaßlich gewalttätigen Syrers wegen drohender politisch motivierter Kriminalität dar. Sieben der kürzer Inhaftierten seien wegen des Verdachts auf Beteiligung an Landfriedensbruch in Gewahrsam genommen worden. Aus der Haft heraus seien sie anschließend auf verschiedene Aufnahmezentren verteilt worden.

Die Tatsache, dass die Neuregelung des Präventivgewahrsams bis jetzt nur und gerade gegen Asylsuchende angewendet wurde, beunruhigt Johannes König vom Bündnis noPAG, das eine große Anzahl an Organisationen, die sich gegen das Polizeiaufgabengesetz in seiner jetzigen Form stellen, versammelt. Für ihn ist dies allerdings nicht überraschend. Nach der Einführung des sogenannten „Gefährdergesetzes“, also der ersten Verschärfung des Polizeiaufgabengesetzes im August 2017, gehe man mit den neuen Möglichkeiten vorbeugender Maßnahmen offensichtlich vor allem gegen Geflüchtete vor. Denn die Gesetzesverschärfung eigne sich zur Vereinfachung von Abschiebungen. Mit Hilfe des Aufenthaltsgebotes, also der Verpflichtung für Asylsuchende, in ihrer Einrichtung zu bleiben, das im Gefährdergesetz enthalten ist, könnten Flüchtlingsunterkünfte praktisch zu Gefängnissen gemacht werden. „Das Gesetz ist klar rassistisch motiviert“, zieht Johannes König Fazit.

In der zweiten Novellierung des Polizeiaufgabengesetzes am 25. Mai 2018 wurden weitere mögliche Präventivmaßnahmen der Polizei eingeführt. In vier Fällen wird aktuell die elektronische Fußfessel angewandt, so die Ministeriumsantwort. Im Gegensatz dazu kamen andere neue Befugnisse nicht zur Anwendung: weder die neuen Möglichkeiten der Videoüberwachung noch die der DNA-Analyse. Der Grund dafür ist denkbar banal: Es fehlt an der Technik, die neuen Möglichkeiten überhaupt umsetzen zu können. „Die Bayerische Polizei verfügt derzeit über keine technischen Systeme, um die Rechtsgrundlage im Polizeiaufgabengesetz zur sogenannten intelligenten Videoüberwachung, die auf die automatisierte Erkennung von Mustern bei Gegenständen beschränkt ist, in der Praxis anzuwenden“, heißt es in dem Bericht.

Johannes König, noPag

Das Gesetz ist klar rassistisch motiviert

Die Grünen-Innenpolitikerin Schulze kritisiert diese „Placebopolitik“ im Bezug auf die technischen Möglichkeiten der Videoüberwachung der CSU-Regierung sehr scharf. „Wir haben eine Rechtsgrundlage für etwas, wofür die Polizei noch gar keine Geräte hat und noch gar keinen richtigen Plan, sich solche Geräte anzuschaffen. Das ist keine sinnvolle Gesetzgebung“, erklärt Schulze weiter. Und betont, dass diese Angelegenheit schließlich auf dem Rücken der Polizist*innen ausgetragen werde, die Gesetze bekommen, die praktisch nicht umsetzbar sind.

Das neue Gesetz ist sehr umstritten

Es verwundert, dass neben der Süddeutschen nur wenige Medien die Ergebnisse der Anfrage der Grünen aufgegriffen hat, obwohl das Polizeigesetz hohe Wellen schlug. Schon nach seiner Ankündigung kam es landesweit zu Protesten gegeben, in München waren Anfang Mai 30.000 Menschen auf die Straße gegangen. Aber auch in vielen kleineren Städten hatten ungewöhnlich große Demonstrationen stattgefunden.

Den gewaltigen Widerstand erklärt sich Schulze damit, dass die vorherrschende Meinung in der Bevölkerung und deren Sicherheitsempfindem dem der CSU entgegen lief. „Die Menschen wissen: Bayern ist das sicherste Bundesland mit der niedrigsten Kriminalitätsstatistik. Da wollen sich die Menschen nicht ihre Freiheitsrechte von der CSU beschneiden lassen.“ Wichtig ist ihr bei dieser Protestbewegung: „Wir demonstrieren gegen die CSU-Regierung, nicht gegen die Polizei“, denn die müsse in ihrem Job unterstützt werden mit sinnvoller Innenpolitik.

Trotz der landesweiten Kritik hatte die CSU mit ihrer Mehrheit beide Novellierungen des Polizeiaufgabengesetzes im Parlament beschlossen. Dass auch sie keine große Nachricht aus den präventiven Inhaftierungen macht, scheint erstmal irritierend. Doch Johannes König von noPAG betont: „Ihr Umgang mit den Massendemonstrationen, die mehrmals organisiert wurden, zeigt eine große Nervosität.“ Im Vorfeld wurde jegliche Kritik am geplanten Gesetz der Regierung als „Fake News“ abgetan, vor der aktuellsten Demo „ausgehetzt“ hatte die CSU versucht, mit Plakaten Demonstrierende zu diskreditieren. Dies ging aber nach hinten los. „Deswegen wollen sie die neuen Zahlen wohl nicht als Erfolg verkaufen“, schätzt König die CSU-Zurückhaltung ein.

Katharina Schulze, Die Grünen

Bayern ist das sicherste Bundesland mit der niedrigsten Kriminalitätsstatistik. Da wollen sich die Menschen nicht ihre Freiheitsrechte von der CSU beschneiden lassen.

Die Grünen reichten schon zwei Klagen ein

Die Grünen, insbesondere die Innenpolitikerin Katharina Schulze, waren von Beginn an gegen die Verschärfung des Polizeiaufgabengesetzes. Schon in der Parlamentsdebatte um das Gesetz erhob sie schwere Vorwürfe: Mit der Präventivhaft käme man zu nah an eine Schutzhaft heran, und die zusätzlichen Befugnisse der Polzei gingen viel zu weit. „Es darf nicht sein, dass die CSU immer mit ihrer unseriösen, maßlosen Sicherheitspolitik durchkommt“, plädierte sie zum Abschluss ihrer Rede zum PAG.

„Im Sommer 2017 bei der ersten Novelle haben nur wir Grünen uns gegen diese Gesetzesänderung gestemmt“, erzählt Schulze. SPD und Freie Wähler hatten sich enthalten. Die Grünen klagten nach dieser ersten Verschärfung gegen den Begriff der „drohenden Gefahr“, der aus ihrer Sicht zu schwammig für das Bestimmtheitsgebot der Bayerischen Verfassung sei und gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoße. Aus letzterem Grund ginge den Grünen auch die elektronische Fußfessel als Präventivmaßnahme zu weit. Und schließlich verstoße die „Unendlichkeitshaft“ gegen die Freiheitsgrundrechte, so die Partei. Alles in allem bestehe die Gefahr, dass vor allem die Freiheitsrechte der Bürger beschnitten würden, meinen die Grünen.

Nachgelegt haben die Grünen nun im Juni dieses Jahres, nachdem sie eine Expertenrunde zur Verfassungsmäßigkeit oder -widrigkeit des erweiterten Polizeiaufgabengesetzes einberufen hatten. Sie klagten gegen die erweiterten Maßnahmen der Polizei im Bezug auf die „drohende Gefahr“, da hier die Zuständigkeiten von Polizei und Verfassungsschutz zu sehr verschwimmen würden. Bis so eine Klage Wirkung zeigt, kann es allerdings dauern; gerechnet wird mit einer Antwort in ungefähr einem Jahr.

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