zwischen den rillen
: Hoffnung in Schieflage

Blood Orange: „Negro Swan“ (Domino/ Rough Trade)

Kontroverse Themen in einschmeichelnder Darreichungsform sind die Spezialität von Blood Orange. Auf seinem neuen Album sucht der britische Popkünstler Hoffnung – und findet sie trotz alldem, was ihm Anlass zur Verzweiflung geben könnte: „Negro Swan“ beschreibt negative Gefühle und Erfahrungen, die De­von­té Hynes als queerer Schwarzer durchlebt hat und zu einer Form von black depression führten. In den Lyrics erzählt er etwa davon, gemobbt und geschlagen worden zu sein, fordert an anderer Stelle sanft singend: „Tell me what you want from me“.

Die Musik auf dem vierten Blood-Orange-Album strahlt warme Schönheit aus, melodiegewordene Empathie; Wut und ihre Ursachen sieht und benennt der Künstler, versucht, Schmerzen durch Offenheit zu lindern. So ist der rote Faden von „Negro Swan“ letztlich eine Art Song-gewordener Optimismus.

Man hätte ihm nicht verübeln können, wäre er resigniert liegen geblieben, anstatt empowernde Songs zu komponieren. Auf „Freetown Sound“, dem letzten Album des Wahl-New-Yorkers, thematisierte Hynes Diskriminierung und Rassismus. Er arbeitete sich an Ungerechtigkeit ab, umkreiste Fragen zur eigenen Identität mit Blick auf blackness und Gender. Zu einem affirmativen Popsound, der R&B, Funk, New Wave und Disco verschmolz, formulierte er mit leichtfüßigen Nachdruck ermächtigende Botschaften. Das Album erschien im Juni 2016, kurz bevor ein Mann in Orlando in einem Nachtclub, einem LGBTQI-safe space, 49 Menschen tötete und 53 verletzte. Kurze Zeit später wurde Donald Trump in den USA zum Präsidentschaftskandidaten der Republikaner gewählt.

Seither empfinden viele Menschen die Lage der Welt als zunehmend bedrohlich. Aber Blood Orange hat deshalb nicht resigniert, er kämpft dagegen an. Subtil bildet er Anflüge von Panik ab: Mehrmals erklingen auf „Negro Swan“ – wie beiläufig – Sirenen. Macht und Gewalt sind präsent und bilden hörbare Störfaktoren im ansonsten klaren und eingängigen Sound. Blood Orange baut in die Songs catchy Re­frains und sanfte Schieflagen ein, lässt Synthesizermelodien ins Schräge abgleiten, bevor er sie sicher auffängt. Neben R&B, Gospel und Funk kommt HipHop dieses Mal stärker zur Geltung.

Die Beats in moderatem Tempo klingen druckvoller als bei vergangenen Veröffentlichungen. Der 32-Jährige befreit sich und uns von dem Gefühl der Hoffnungslosigkeit und sucht sich dafür Gesellschaft: Die Rapper Sean Combs alias P. Diddy, Project Pat und A$AP Rocky steuern Gastbeiträge bei, außerdem die Sänger*innen Tei Shi, Ian Isiah, Georgia Anne Muldrow und Steve Lacy.

Und noch ein Novum: Janet Mock, Journalistin und Aktivistin für die Rechte von Transgender-Personen, führt als Gesprächspartnerin durch das Album. In Skits zwischen den Stücken spricht Mock etwa über das Gefühl, am falschen Ort zu sein, oder die Erfahrung, von anderen gesagt zu bekommen, wie man zu sein hat, und wie sie damit umgegangen ist. „So often, in so­cie­ty, in order to belong means that you have to shrink parts of yourself“, sagt sie in dem Stück „Dagenham Dream“.

Eine weiße, heteronormative und männlich geprägte Mehrheitsgesellschaft kann unterdrückend sein bis zur erzwungenen Selbstaufgabe – vor allem gegenüber queeren Schwarzen. Mock stellt dem Selbstbewusstsein entgegen und die stärkende Kraft von (Wahl-)Familien. Blood Orange stellt auch dieses Mal Fragen in den Mittelpunkt, die die eigene Identität betreffen, und formuliert sie über sich hinaus an ein Gegenüber. Es geht darum, wie andere uns sehen, wie wir uns selbst sehen: „No one wants to be the odd one out at times / No one wants to be the negro swan“, singt er in „Charcoal Baby“.

Blood Orange verbindet in seinen Songs Drastik mit Zugänglichkeit

In den Worten von Blood Orange, Janet Mock und seinen Gästen, in den Texten wie der Musik liegen ermächtigende Worte voller Wärme. „Negro Swan“ zeigt, wie politisch, zugänglich und offen Musik sein kann, die drastische Themen anspricht. Nicht anklagend, sondern einfühlsam und ermutigend.

Philipp Weichenrieder