Kolumne Wir retten die Welt: Das Volk entscheidet

Vorbereitung zur Gletscher-Initiative: SchweizerInnen wollen den Klimaschutz per Volksabstimmung selbst in die Hand nehmen.

Piz Cambrena und Cambrena-Gletscher in der Schweiz

Die Gletscher schmelzen weg. Die Schweizer wollen etwas dagegen unternehmen Foto: imago/Blickwinkel

Mit dem Volk haben wir Ökos ja so unsere Probleme. Die Leute sind gegen Tierquälerei, aber für Billigschnitzel. Sie schimpfen über den Verkehr und kaufen SUVs. Sie finden Umwelt total wichtig, wählen aber nur grün, wenn das AKW nebenan explodiert. Wer die Welt retten will, denkt oft: Dem deutschen Öko-Volk ist nicht zu trauen.

Bei unseren Nachbarn im Süden scheint es da mehr Hoffnung zu geben. Vielleicht ist auch nur die Verzweiflung größer. Sonst hätte der Züricher Journalist Marcel Hänggi nicht ein Buch geschrieben mit dem Titel: „Null Öl. Null Gas. Null Kohle. Wie Klimapolitik funktioniert“. Sein Vorschlag: Weil Regierung und Parlament auch in der Schweiz die Verpflichtungen zum Klimaschutz nicht ernst nehmen, machen es die SchweizerInnen eben selbst: mit einer Volksabstimmung, die in die Verfassung schreibt, dass ab 2050 kein fossiler Brennstoffe mehr in Verkehr gebracht werden darf.

Am Samstag wird der Verein gegründet, ab nächstem Frühjahr werden Unterschriften für die „Gletscher-Initiative“ gesammelt: Wenn 100.000 SchweizerInnen zustimmen, kommt es zur Abstimmung über diese radikale Kohlenstoff-Diät. „Es ist nichts als die Umsetzung dessen, wozu sich die Schweiz völkerrechtlich verpflichtet hat“, schreibt Hänggi.

Sein Vorschlag ist angemessen radikal für ein unangemessen radikales Problem. Es geht nicht um ein paar Prozent weniger CO2, sondern um gar kein CO2 mehr, um die Erderhitzung ernsthaft „deutlich unter 2 Grad Celsius zu halten“, wie alle Staaten in Paris versprochen haben. Daraus folgt alles andere: Klare Kante gegen Klimakiller. Weltrettung im Do-it-yourself-Stil.

Ob das deutsche Staatsvolk weiser wäre als seine Regierung

Warum die Schweiz? Weil sie ihre Volksherrschaft nicht immer nur an die Herrschenden outsourct. „Wenn das Parlament nicht will, kann das Volk eine bestimmte Politik per Volksinitiative erzwingen“, so Hänggi. Das kann bei vielen Themen schiefgehen. Aber vielleicht ja auch mal nützen.

Ob das deutsche Staatsvolk weiser wäre als seine Regierung? Wir werden es nicht wissen. Beim Bergvolk im Süden dagegen herrscht bald Klarheit: Wenn den Schweizern ihre Gletscher unter den Füßen wegschmelzen, müssen sie sich zumindest selbst die Schuld ­geben. Man kann den tapferen Eidgenossen nur viel Glück wünschen. Hoffentlich schenken sie der Menschheit nach Käsefondue, Taschenmesser und superpünktlichen Postautos auch noch die Fossil-Verbots-Verfassung.

In unseren Breiten dagegen traut sich die Regierung nicht mal, eine Kohle-Ausstiegskommission „Kohle-Ausstiegskommission“ zu nennen. Sie ignoriert ihre eigenen Ziele und lässt sich nur durch die Gerichte zu ökologischem Fortschritt zwingen. Null Öl, null Gas, null Kohle in der Schweiz ist eine wunderbare Idee. Weniger Nullen in der deutschen Regierung würden mir als Anfang aber auch schon mal reichen.

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Jahrgang 1965. Seine Schwerpunkte sind die Themen Klima, Energie und Umweltpolitik. Wenn die Zeit es erlaubt, beschäftigt er sich noch mit Kirche, Kindern und Konsum. Für die taz arbeitet er seit 1993, zwischendurch und frei u.a. auch für DIE ZEIT, WOZ, GEO, New Scientist. Autor einiger Bücher, Zum Beispiel „Tatort Klimawandel“ (oekom Verlag) und „Stromwende“(Westend-Verlag, mit Peter Unfried und Hannes Koch).

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