Kommentar „Tag X“ im Hambacher Forst: Auf die Bäume

Im Hambacher Forst werden demnächst Aktivisten alte Bäume verteidigen. Sie wollen den Wald in die Nachkohlezeit retten.

Im Hambacher Forst hängt ein Mensch an einem Seil vom Baum

Haben den Hambacher Forst zu einem politischen Symbol gemacht: Aktivisten im Wald Foto: reuters

Sie behaupten, „Tag X“ ist da. Das ist politisch riskant – und eine klare Ansage. Umweltgruppen, Bürgerinitiativen und radikale Baumschützerinnen und Baumschützer haben im Hambacher Forst den großen Kampftag ausgerufen. Das bedeutet: Ökos, hört die Signale, jetzt geht es los.

Was damit einhergeht, ist die Eskalation eines seit Jahren schwelenden Konflikts, der in den kommenden Wochen mutmaßlich einen neuen Höhepunkt erleben wird. Das Szenario ist unter Aktivistinnen und Aktivisten abgestimmt und ausgetüftelt: Militante Umweltanarchos, die sich im Wald verbuddelt und versteckt halten, verjagen die Polizei. Friedliche Sitz- und BaumblockiererInnen ketten sich an Bäume, singen Lieder; in den Kirchen wird gebetet. Und im Laufe der kommenden Wochen folgt dann eines auf das andere: immer neue Protest- und Störaktionen, bis am ersten Oktoberwochenende voraussichtlich Tausende Menschen in den Wald drängen. Die Massenmobilisierung hat begonnen. Wer jetzt noch Kohlegegner werden will, muss hurtig in den Hambacher Forst reisen.

Es waren renitente Anarchistinnen und Anarchisten, die mit einer ausgeprägten Liebe zu Sojamilch und Erdnussbutter aus dem Waldstück zunächst einen eigenen Lebensraum machten und dann, zur Überraschung vieler, auch ein politisches Symbol. Heute äußern sich zahlreiche Gruppen, bis hin zur Polizeigewerkschaft, skeptisch über das Vorhaben, noch Bäume abholzen zu lassen, um Kohle zu verbrennen. Das hat viele Gründe: Manche lieben alle Bäume aus Prinzip. Andere sehen nicht ein, dass die Pflanzen einer Technologie ohne Zukunft weichen sollen. Und wieder andere halten, pragmatisch, die für eine Rodung notwendigen Polizeimaßnahmen schlicht für unverhältnismäßig.

So sind die noch verbleibenden Hektar Baumbestand am Rande der riesigen Kohlegrube inzwischen zum wohl umkämpftesten Waldstück der Republik geworden, wenn es um den Umgang mit der Kohle, um die Energiepolitik und den Klimawandel geht.

Wie einst bei den berühmten Castortransporten im Wendland wollen die AktivistInnen heute die geplante Rodung des Forsts durch den Betreiber RWE vor allem möglichst teuer ausfallen lassen. Am Beispiel dieses Waldes wollen sie die Antwort auf die Frage erzwingen, wie viel es der Gesellschaft wert ist, trotz eines absehbaren Endes der Kohleverstromung weiterhin Bäume zu fällen.

Ein politisches Faustpfand ist der Wald, weil inzwischen alle begriffen haben, dass es diese übergeordnete Frage ist, die im Hambacher Forst nun verhandelt wird. Das ist der Grund, weshalb an seinem Schicksal die Arbeit der Kohlekommission scheitern könnte, die einen Konsens zur Zukunft der Energiepolitik erarbeiten soll. Das ist auch der Grund, weshalb RWE auf sein Recht besteht, die Bäume zu fällen. Und das ist der Grund, weshalb Klima- und Umweltschützer dies mit allen möglichen Mitteln verhindern wollen.

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