Die Selbstbefreiung der Frauen

1968 riefen Studentinnen ihre Mitstudenten auf, das Private zu politisieren. Die Männer verweigerten sich, dafür flogen ihnen Tomaten um die Ohren. Was hat sich seither getan? Ein taz-Spezial

Helke Sander gründete 1968 den „Aktionsrat zur Befreiung der Frau“ im SDS Foto: Ullstein Bild

von Katrin Gottschalk

Pro Porno oder PorNO? Sexarbeit ist Arbeit oder Prostitution abschaffen? Ja oder nein zum Kopftuch? Feministinnen sind sich in vielen Fragen uneins, und das seit mindestens 50 Jahren. Streit ist ein Leitmotiv der feministischen Bewegung. Ost- mit Westfrauen. Junge mit Alten. Frauen mit Migrationsgeschichte diskutieren mit Frauen ohne.

Wer nur in Momenten des Streits auf die Bewegung schaut, ruft dann gerne zur Mäßigung auf. „Nur zusammen sind wir stark.“ Dabei liegt die Stärke der Frauenbewegung, einer der erfolgreichsten sozialen Bewegungen unserer Zeit, in ihrem Streit. Wer Konflikte austrägt, entwickelt sich. Ohne Reibung keine Veränderung – und nichts ist von Anfang an perfekt. Da passt es, dass schon der Moment, der als Initial der neuen Frauenbewegung hierzulande gelten kann, ein offen ausgetragener Konflikt war. Am 13. September 1968 hielt Helke Sander eine Rede auf der 23. Delegiertenkonferenz des Sozialistischen Deutschen Studentenbunds (SDS). Sie hatte damals gerade den Aktionsrat zur Befreiung der Frau gegründet und forderte den SDS und vor allem dessen Männer auf, das Private zu politisieren und damit die Ausbeutung von Frauen im Privaten anzuerkennen.

Zum Gespräch kam es damals nicht, stattdessen warf die SDSlerin Sigrid Damm-Rüger Tomaten in Richtung der Männer auf dem Podium. Also machten die Frauen alleine weiter und erkämpften in den letzten 50 Jahren etwa die Straflosigkeit von Schwangerschaftsabbrüchen, dass Vergewaltigungen in der Ehe verboten wurden, dass „Nein heißt nein“ im Gesetz verankert ist.

taz-Redakteurin Heide Oestreich führt nun das Gespräch zur Frauenfrage, das vor 50 Jahren nicht stattgefunden hat, mit den ehemaligen SDS-MitgliederInnen Sibylle Plogstedt und Detlev Claussen. Der Austausch ist der Beginn einer Pod­cast-Reihe mit Protagonist*innen der feministischen Bewegung.

In unserem Spezial „Passierte Tomaten“ diskutieren unter anderem Antje Schrupp, Anne Wizorek, Ulle Schauws und Kübra Gümüşay zu den Themen Prostitution, Queerfeminismus, Ost-West-Verständigung, Kommerzialisierung und schließlich auch zu der Frage, welche feministischen Strategien erfolgreich sein können. Vom 9. bis zum 14. September veröffentlichen wir dazu täglich ein neues Podcast-Gespräch auf taz.de und unseren Kanälen auf Spotify und iTunes. Alle Gespräche erscheinen zum Jahrestag des Tomatenwurfs am Donnerstag, 13. September 2018 gedruckt in der taz. Mit diesem Spezial starten wir außerdem auf taz.de einen Schwerpunkt zu feministischen Themen: die taz der Frau*. Schließlich steht die taz seit 40 Jahren für kontinuierliche feministische Berichterstattung. In den Achtzigern gab es in Deutschland das Binnen-I zuerst in der taz regelmäßig zu lesen. Seit 1980 erscheint die taz jedes Jahr zum Frauentag mit Sonderseiten. Jetzt bündeln wir online unter taz.de/frau unser Wissen und lassen die aus der Mode gekommene Frauenseite im Netz wieder aufleben.

Auf die Beine gestellt hat das Spezial Belinda Grasnick, Redakteurin im Onlineressort der taz. Weitere Gespräche führen Patricia Hecht, Dinah Riese, Lin Hierse und Juliane Fiegler. Einen kurzen Abriss der jüngsten feministischen Geschichte bietet Carolina Schwarz. Bildredakteur für Print und Online ist Mathias Königschulte, das Layout der Sonderausgabe kommt von Sonja Trabandt. Und wie immer freuen wir uns auf Ihr reges Interesse.

Passierte Tomaten – wie sich die Frauenbewegung in 50 Jahren entwickelt hat: www.taz.de/frau