Der Fall Abadir M.: Zum Nichtstun verdammt

Ein Jahr hat Abadir M. bei der Hamburger Stadtreinigung gearbeitet. Seine Chefs und Kollegen wollen, dass er das auch weiter tut, doch die Ausländerbehörde stellt sich quer.

Abadir M. steht vor einem Auto der Hamburger Stadtreinigung.

Würde gerne weiter bei der Stadtreinigung arbeiten, darf aber nicht: Abadir M. Foto: Miguel Ferraz

HAMBURG taz | Viel wird gerade über den sogenannten Spurwechsel in der Asylpolitik gesprochen. Geflüchtete, die einen Job haben, aber nicht als Flüchtlinge anerkannt wurden, sollen so die Möglichkeit bekommen, trotzdem in Deutschland bleiben zu dürfen. Unternehmerverbände und Politiker befürworten diese Lösung, denn es fehlen Arbeitskräfte, während viele Geflüchtete von Gesetzes wegen zum Nichtstun verdammt sind – sie dürfen nicht arbeiten, obwohl sie wollen und könnten. Ein aktueller Fall in Hamburg zeigt, wie absurd das deutsche Asylsystem häufig mit arbeitswilligen Flüchtlingen umgeht.

Abadir M. ist 29 Jahre alt und lebt seit vier Jahren in Hamburg. Er ist in Eritrea geboren, aber in Äthiopien aufgewachsen. Über Stationen im Sudan und in Libyen kam er 2014 über die zentrale Mittelmeerroute nach Europa.

Im Mai 2017 begann er als Entsorger bei der Stadtreinigung Hamburg zu arbeiten – und machte seinen Job so gut, dass der Betrieb seinen Arbeitsvertrag ein Jahr später in ein unbefristetes Beschäftigungsverhältnis umwandelte.

Doch keine zwei Monate später, im Juli dieses Jahres, entzog ihm die Hamburger Ausländerbehörde unerwartet die Arbeitserlaubnis. „Die Behörde hat gesagt, ich habe keinen Pass und darf nicht mehr arbeiten“, sagt M. „Aber vorher hatte ich auch keinen Pass.“ In seinen Duldungspapieren ist die Arbeitserlaubnis seitdem durchgestrichen, handschriftlich ist daneben vermerkt: „Die Arbeitsaufnahme ist nicht gestattet.“

Ruth Winterfeldt, Unterstützerin von Abadir M.

„Ich habe nochnie jemanden erlebt, der sostolz erzählt, wie er in Billstedt die Straßen sauber hält“

Abadir M. hat nach eigener Aussage nie einen Pass oder eine Geburtsurkunde besessen. Sein Vater fiel im Krieg in Eritrea, seine Mutter, die mit Abadir und seinen Geschwistern nach Äthiopien geflohen war, ist ebenfalls tot.

Eine Bestätigung des Dorfvorstehers seines Heimatdorfes über seine Identität haben die deutschen Behörden nicht akzeptiert. Eine Schule, auf die er in Äthiopien gegangen ist und die womöglich hätte bestätigen können, dass es sich bei Abadir M. um Abadir M. handelt, existiert nicht mehr. Die Botschaften von Eritrea und Äthiopien haben die Ausstellung von Passdokumenten verweigert, sagt er. Es gibt niemanden, der seine Identität bezeugen könnte. „In Afrika ist das anders als hier, da gibt es sowas nicht immer“, sagt M.

Ein Mitarbeiter der Ausländerbehörde soll gesagt haben „Ich weiß doch nicht, ob das kein Terrorist ist“, sagt eine Unterstützerin M.s, Ruth Winterfeldt.

Fehlender Pass

„Ich habe noch nie jemanden erlebt, der so stolz erzählt, wie er in Billstedt die Straßen sauber hält“, sagt Winterfeldt. Die pensionierte Sozialarbeiterin ist Anwohnerin des Containerdorfes in Hummelsbüttel, in dem M. lebte. Als Freiwillige gab sie von 2015 bis 2017 Deutschunterricht, kochte und begleitete Ausflüge mit den Bewohnern nach Berlin und Lübeck.

M. ist abgelehnter Asylbewerber, sein Asylantrag sei wegen des fehlenden Passes abgelehnt worden, berichtet Winterfeldt. In Deutschland geduldet wird der junge Mann – bittere Ironie – laut Ausländerbehörde nur, weil er ohne Papiere nicht abgeschoben werden könne, „was er selbst zu vertreten hat“, wie es in einem Schreiben der Behörde heißt. Damit verweigert ihm die Behörde eine Aufenthaltserlaubnis, auf die er rechtmäßig Anspruch hätte, wenn er zum Beispiel unverschuldet passlos wäre.

Doch aus Sicht der Bürokratie ist er seinen gesetzlichen Mitwirkungspflichten nicht nachgekommen, weshalb ihm gemäß Aufenthaltsgesetz auch die Arbeitserlaubnis entzogen wurde. Warum er zuvor aber arbeiten durfte, hat man weder ihm noch Winterfeldt erklärt, sagen beide.

Perspektive bei der Stadtreinigung

Aus Behördensicht müsse M. zur Not eben einen Vertrauensanwalt in Eritrea oder Äthiopien beauftragen, die fehlenden Dokumente zu beschaffen. Abgesehen davon, dass das Geld kostet, das Abadir nicht hat, würde ihm bei erfolgreicher Suche nach den Papieren womöglich die Abschiebung drohen, denn dann wäre das „Abschiebungshindernis“ beseitigt.

Die Hamburger Stadtreinigung hat in einem Brief an die Ausländerbehörde ihr „außerordentliches“ Bedauern darüber ausgedrückt, dass sie M. als Mitarbeiter verlieren. Ob die Behörde reagiert hat, ist unklar. Der junge Mann hatte eine Perspektive in dem Unternehmen. Sobald er seine Autofahrerlaubnis gemacht hätte, hätte ihm die Stadtreinigung den Lkw-Führerschein bezahlt, erzählt er. Zudem hätte er in Zukunft seine Ausbildung absolvieren können. Seinen Hauptschulabschluss und die B1-Deutschprüfung hat er schon gemacht, sagt er stolz.

Auch jetzt noch gibt es Kollegen der Stadtreinigung, die M. bei Gängen zu seiner Anwältin oder den Behörden unterstützen. Selbst seinen Schlüssel zu den Firmengebäuden hat er noch.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.