Diskussion zur Sammlungsbewegung: Oh, wie schön ist Kanada!

Sahra Wagenknecht, Wolfgang Streeck und Nils Heisterhagen diskutieren über „Aufstehen“. In der Migrationspolitik bleiben Fragen offen.

Sahra Wagenknecht blickt nach oben

Sahra Wagenknecht, hier bei der Vorstellung von „Aufstehen“ am 4. September Foto: reuters

BERLIN taz | Eine Woche ist Sahra Wagenknechts Aufstehen alt, und noch immer ist nicht sicher, ob es ein Potemkinsches Dorf bleibt oder tatsächlich eine Bewegung ins Rollen kommt. Eigene Aufstehen-Veranstaltungen gibt es bislang nicht.

Stattdessen debattierten zur Sammlungsbewegung am Montagabend auf Einladung des Berliner Wissenschaftszentrums (WZB) zwei prominente Vertreter, Wagenknecht selbst und der Soziologe Wolfgang Streeck, zusammen mit dem Autor Nils Heisterhagen, der die Bewegung grundsätzlich befürwortet, ihr aber nicht beigetreten ist. Moderator war WZB-Direktor Wolfgang Merkel, der inhaltlich den dreien nahesteht.

Selbst wenn aus Aufstehen auf der Bewegungsebene nicht viel werden sollte – auf der akademischen Ebene hat Wagenknechts Initiative den Zusammenschluss von Intellektuellen befördert, die seit 2015 mit unterschiedlichen Akzenten Angela Merkels Flüchtlingspolitik und die EU von links kritisieren.

Dass Wolfgang Merkel (nicht verwandt mit der Kanzlerin) am Montag moderierte, lenkte die Debatte in ein ruhiges Fahrwasser und bewahrte sie vor den Giftpfeilen („alles Nationalismus“), die Gegnern einer Politik der offenen Grenzen in Deutschland üblicherweise um die Ohren fliegen. Er ersparte Wagenknecht aber auch ein paar Fragen, die sich aufdrängten.

Die Linkspartei-Fraktionschefin hat für Aufstehen ihre Rhetorik heruntergedimmt

Die Linkspartei-Fraktionschefin hat für Aufstehen ihre Rhetorik heruntergedimmt. Das Migrationsthema, das sie zuvor selbst in den Mittelpunkt ihrer Argumentation gestellt hatte, will sie jetzt durch die Sammlungsbewegung aus der Öffentlichkeit drängen. „Der Diskurs muss von den Flüchtlingen weg“, sagte sie. Soziale Themen sollten dominieren.

Wagenknecht führte das Beispiel einer Rentnerin an, die 800 Monat monatlich bekomme, dann aber sehe, dass eine Flüchtlingsfamilie 3.000 Euro monatlich erhalte. Die Frau sei gar nicht über die Flüchtlinge selbst empört, sondern darüber, dass sich keiner für ihre Lage interessiere, sagte sie.

Aber wenn es nur darum ginge, mehr Geld für alle zu fordern, hätte sie sich für die Sammlungsbewegung auch mit Parteichefin Katja Kipping, einer Befürworterin offener Grenzen, verbünden können. Für Wagenknecht übernahmen Heisterhagen und Streeck die Aufgabe, deutlichere Worte zu finden. Beide plädierten für einen Mittelweg bei der Einwanderung.

Differenzen in der Migrationsfrage

Heisterhagen lobte Kanada: Das Land habe eine „großzügige Fachkräfteeinwanderung bei einer restriktiven Asylgesetzgebung“. Streeck plädierte für ein Einwanderungsgesetz, sagte aber auch: „Eine Gesellschaft ohne Grenze ist keine Gesellschaft, weil sie sich nicht mehr planen kann.“ Eine Grenze könne „liberal und offen gestaltet“ werden – „aber man kann keine Grenze öffnen, wenn man keine hat“. Wagenknecht hatte dagegen zuletzt für ein großzügiges Asylrecht und eine restriktive Arbeitsmigration plädiert. Auch dieser Widerspruch blieb ungeklärt.

Als Merkel die Debatte nach über einer Stunde für das Publikum öffnete, zeigte sich dieses skeptisch. Das größte Scharmützel stieß Dieter Rucht an, ein Bewegungsforscher, der dem grünen Milieu nahesteht. Üblicherweise würden linke Bewegungen von unten aufgebaut, sagte er. Das sei bei Aufstehen nicht der Fall, anders als etwa bei Campact.

„Haben Sie sich bei denen erkundigt, wie sie dazu stehen?“, fragte er. Streeck schüttelte den Kopf. Die Onlineplattform Campact, die vor allem Petitionen startet, kannte er nicht. Geraune im Saal. Man wusste nicht recht: Sprach das nun gegen Streeck oder für die Bedeutungslosigkeit von Campact?

Heisterhagen, der bei der Bewegungsstiftung ein Praktikum gemacht hatte, schoss gegen Rucht zurück: Campact sei doch auch eine Gründung von oben – finanziert von der Bewegungsstiftung, die ihr Geld von „Millionären, die links ticken“ bekäme. Dann konterte Streeck: „Auch ein Bewegungsforscher muss sich mit der Zeit bewegen.“ Manchmal geschähen eben neue Sachen. „Die soll man nicht dadurch diskreditieren, indem man sagt, das habe ich noch nie gesehen.“ Aber ob etwas bei Aufstehen geschieht, ist offen.

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