Grünes Grundsatzprogramm: Grüne sägen Hartz IV ab

Fraktionschef Anton Hofreiter und Sozialpolitiker Sven Lehmann wollen eine andere Grundsicherung. Jobcenter sollen entmachtet werden.

Annalena Baerbock und Anton Hofreiter

Grüne jetzt auch mit Sozialpolitik: Parteichefin Annalena Baerbock und Fraktionschef Anton Hofreiter Foto: dpa

BERLIN taz | Die Grünen könnten sich in ihrem neuen Grundsatzprogramm endgültig von Hartz IV verabschieden. Die Grundsicherung werde „dem Anspruch jedes Menschen auf Würde und Achtung“ nicht gerecht, heißt es in einem Impulspapier für das Programm. „Deswegen müssen wir Hartz IV überwinden.“ Das Papier, das der taz vorliegt, haben Fraktionschef Anton Hofreiter und Sven Lehmann, der sozialpolitische Sprecher der Bundestagsfraktion, geschrieben.

Bekanntlich führten die Grünen die Hartz IV-Gesetze mit der Schröder-SPD bis 2005 ein. Seitdem sind sie in der Opposition immer weiter von Hartz IV abgerückt – und haben Verbesserungen gefordert. Die Partei arbeitet im Moment an einem neuen Grundsatzprogramm, das 2020 fertig sein soll. Hofreiters und Lehmanns Ideen werden dabei als Grundlage für den Bereich „Soziales“ dienen.

Beide Politiker schildern, wie eine „sanktionsfreie Garantiesicherung“ aussehen sollte. „Für uns Grüne gehören ‚sozial‘ und ‚ökologisch‘ zwingend zusammen gedacht“, sagte Hofreiter am Montag. „Nur wenn wir die soziale Fragen überzeugend beantworten, werden wir gesellschaftliche Mehrheiten für die ökologische Transformation herstellen können.“

Bei der Berechnung des Regelsatzes müsse klar werden, „dass der Staat nicht Bedarfe künstlich kleinrechnet und bevormundend entscheidet, was man zum Leben zu brauchen hat und vor allem, was nicht“, heißt es in dem Papier. Jobcenter kürzen in der Praxis oft Bezüge, etwa wenn Arbeitslose nicht bereit sind, schlecht bezahlte Jobs anzunehmen. Mit solchen Sanktionen soll nach dem Willen der Grünen Schluss sein. Das haben sie auf einem Parteitag 2016 beschlossen. Auf das verfassungsrechtlich garantierte Existenzminimum gebe es einen Anspruch, „der nicht gekürzt werden darf“, heißt es in Hofreiters und Lehmanns Papier.

Grüne Idee: Statt komplizierter Anträge ein einfacher Termin beim Amt

Beide wollen auch das Auszahlungssystem reformieren. Bisher sind die Jobcenter für alles zuständig. Sie vermitteln Arbeitslose in Stellen, zahlen aber auch Hartz IV-Leistungen aus oder verhängen Sanktionen. Rot-Grün erfand dafür den Werbeslogan „Fördern und Fordern“.

Hofreiter und Lehmann plädieren nun für „eine institutionelle Trennung zwischen Beratung/Förderung einerseits und der Auszahlung der Garantiesicherungsleistungen andererseits.“ Außerdem sei eine stärkere Automatisierung der Auszahlung nötig. „Statt langfristigen und komplizierten Antragsverfahren müsste ein einfacher Termin beim zuständigen Amt genügen, um die Leistung zur Auszahlung zu bringen.“

Auch das wäre eine relevante Änderung: Einen Hartz IV-Antrag zu stellen ist aufwändig – und für Leute mit schlechten Deutschkenntnissen äußerst schwierig. Zudem ist die Fehlerquote der Jobcenter hoch. Im Jahr 2017 legten laut Bild-Zeitung 639.138 Hartz-IV-Bezieher Widerspruch gegen ihre Bescheide ein. Ein gutes Drittel bekam ganz oder teilweise Recht.

Hofreiter und Lehmann werben zudem für gute und fair bezahlte Arbeit. „Menschen gehen einer sinnvollen Tätigkeit nur dann nach, wenn die Bedingungen gut und die Bezahlung fair ist.“ Nötig sei die Entlastung kleiner Einkommen, eine stärkere Tarifbindung und ein höherer Mindestlohn. Wie hoch, schreiben die beiden Politiker allerdings nicht. Ihre Anregungen haben gute Chancen, ins Grundsatzprogramm übernommen zu werden. Hofreiter ist die wichtigste Stimme des linken Flügels, Lehmann war Chef des einflussreichen Landesverbandes Nordrhein-Westfalen.

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