Schlachthofmitarbeiter quälen Tiere: Zu schwach zum Laufen

Tierrechtler haben unhaltbare Zustände auf einem Schlachthof aufgedeckt: Tiere, die zu schwach zum Laufen waren, wurden misshandelt.

Eine abgemagerte Kuh wird mit einer Kette aus einem Transporter gezogen.

In Bad Iburg wurden kranke Milchkühe gegen jede Vorschrift zum Schlachten geschleift Foto: Soko Tierschutz

HAMBURG taz | Friedrich Mülln von der Tierrechtsorganisation „Soko Tierschutz“ sieht seit 25 Jahren Ställe und Schlachthöfe, in denen Tiere misshandelt werden. Wenn er sagt, „dass er in Europa niemals so viel Tierleid gesehen hat wie in Bad Iburg“, dann müssen die Zustände schaurig sein.

Es komme vor, sagt Mülln, dass einzelne kranke oder lahme Tiere in einen Schlachthof kämen – „aber nicht in solchen enormen Zahlen“. Die Organisation hat heimlich in dem niedersächsischen Schlachthof gefilmt: Milchkühe, die so krank oder geschwächt sind, dass sie den Weg aus dem Transporter nicht schaffen und von den Schlachthofmitarbeitern mit Elektroschockgeräten getrieben werden. Denjenigen Tiere, die sich gar nicht mehr aufrappeln können, wird eine Kette um das Vorderbein gelegt und man hievt sie mit Kranwinden heraus.

Liefe es nach den Vorschriften, dürfte das nicht passieren. Nach der Tierischen Lebensmittel-Hygieneverordnung muss ein Tier vor dem Schlachten von einem Tierarzt auf seine Gesundheit hin untersucht werden. Ein Tier, das nicht mehr laufen kann, dürfte nur notgetötet und zuvor nicht auf einen stundenlangen Transport geschickt werden. „Es liegt unglaubliches Behördenversagen vor“, sagt Mülln.

Glaubt man der Soko Tierschutz, so sind die Gründe, warum ein Betrieb sich daran nicht hält, schlicht finanzieller Art, dazu käme Bequemlichkeit: Würden die Landwirte die Tiere wie erforderlich vor Ort bei sich töten, müssten sie den Kadaver selbst entsorgen und das Fleisch dürfe gar nicht oder nur regional vermarktet werden.

Ein Amtstierarzt ist vom Landratsamt mit der Tierseuchenbekämpfung, der Lebensmittelüberwachung und dem Tierschutz beauftragt.

Er ist zuständig für Genehmigungen zur gewerbsmäßigen Haltung von Tieren, die artgerechte Haltung und Einhaltung von Bestimmungen bei Tiertransporten.

Zur Unterstützung können auch freie Tierärzte beauftragt werden, die nebenberuflich die amtstierärztlichen Aufgaben übernehmen.

Es scheint, dass die beiden Tierärzte, die vom Landkreis Osnabrück mit der Kontrolle im Bad Iburger Schlachthof beauftragt waren, sehr nachdrücklich weggesehen haben, wenn es um die Gesundheit der Kühe ging. Der Sprecher des Kreises, Burkhard Riepenhoff, sagt, dass die Tierärzte, die nebenberuflich für die Kontrollen zuständig und täglich vor Ort waren, nun „dauerhaft freigestellt worden sind“.

Der Schlachthof ist bis zum 23. Oktober geschlossen; der Kreis will aber die von der Staatsanwaltschaft Oldenburg beschlagnahmten Unterlagen daraufhin prüfen, ob sie eine dauerhafte Schließung rechtfertigen. Die Staatsanwaltschaft ermittelt in alle Richtungen.

Das sind die unmittelbaren Konsequenzen. Und die mittelfristigen? Im Landkreis will man externe Beratung einholen, um festzustellen, ob es Fehler im Kontrollsystem gibt. Christian Mayer von den niedersächsischen Grünen und bis 2017 selbst Landwirtschaftsminister fordert Ähnliches: mehr Überwachung, möglicherweise gar durch Landesbeamte, zudem harte Konsequenzen und Strafen für die Verantwortlichen.

Auch Niedersachsens Agrarministerin Barbara Otte-Kinast (CDU) äußert sich zu dem Fall:„Ich bin total erschüttert“, sagt sie. „Kranke Tiere dürfen gar nicht transportiert werden.“ Eine Sprecherin verweist zudem auf eine anonyme Meldestelle beim Landesamt für Verbraucherschutz. „Es wäre wünschenswert, wenn solche Hinweise aus der Branche selbst kämen“, spielt sie den Ball zurück. Von 2017 bis Mitte 2018 sind dort 78 Anzeigen wegen Tierschutzfällen eingegangen, die Mehrheit bezog sich auf Hunde. Um die artgerechte Haltung von Rindern ging es in zwölf Fällen, dreimal wurden Missstände in der Schweinehaltung angezeigt.

Wenige Meldungen

Für Mülln ist es keine große Überraschung, dass bei den Behörden nur wenige Meldungen eingehen. Die Arbeit der Soko findet seit drei Jahren auf Basis von Meldungen aus der Fleischbranche statt. Diejenigen, die die Missstände nicht länger hinnehmen wollen, glauben nicht, dass die Behörden die Fälle wirklich verfolgen. Zudem fürchten sie um ihre Anonymität, denn sollte es zu einem Prozess kommen, liefen sie Gefahr, dass ihre Namen in den Akten auftauchen. Das relativiert man im Landwirtschaftsministerium: Die Meldung könne anonym erfolgen und werde vertraulich behandelt. Es liegt später im Ermessen der Ermittlungsbehörden, ob diese die Vertraulichkeit wahren.

Glaubt man den Tierrechtlern der Soko Tierschutz, kratzt die Debatte ohnehin nur an der Oberfläche. Mülln sieht etwa die Rolle der Amtstierärzte sehr ambivalent. „Sie stehen im Schlachthof auf verlorener Position“, sagt er. „Sobald sie Sand im Getriebe sind, wird Druck ausgeübt.“

Wenig Personal

Trotzdem fordert der Tierschützer von ihnen, ihrem Auftrag nachzukommen und das Wohl der Tiere zu sichern. „Ich kenne Tierärzte, die schreiben bei jedem Tier, das krank ankommt, eine Strafanzeige.“ Für ihn sind sie die „Polizei im Schlachthof“ – aber er räumt ein, dass „man nicht einen Dorfpolizisten gegen die Mafia losschicken würde“. Was zusätzlich schwierig wird, wenn es kaum Personal gibt. Im Landkreis Osnabrück winken viele Tierärzte ab, weil ihnen die Wege zu weit und das Honorar zu gering ist.

Die Tierrechtler denken grundsätzlicher: Milchkühe zu züchten, die so sehr auf Ertrag getrimmt sind, dass ihr Körper nach vier bis fünf Jahren am Ende ist – „das ist das eigentliche Verbrechen“. Das aber sei nur über eine Gesellschaft zu beenden, die weniger Milch und Fleisch konsumiert, sodass weniger Tiere besser leben können.

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