Tote in Polizeigewahrsam: Expertise im Fall Oury Jalloh

Todesfälle durch Polizeigewalt bleiben oft unaufgeklärt. Die Initiative „Gedenken an Oury Jalloh“ gründet daher eine eigene Expertenkommission.

Mehrere gerahmte Bilder stehen nebeneinander, davor Grablichter und rote Rosen

Vor einer Demo in Dessau-Roßlau im Jahr 2015 Foto: dpa

BERLIN taz | Die Initiative Gedenken an Oury Jalloh hat eine neunköpfige Expertenkommission eingesetzt. Sie soll den ungeklärten Tod des Sierra Leoners Jalloh im Dessauer Polizeirevier 2005 untersuchen. Der Kommission gehören Ärzte, Juristen und andere WissenschaftlerInnen an, unter anderem aus Italien, Großbritannien, den USA, Österreich und Italien.

„Nach zwölf Jahren ergebnisloser Ermittlungen und zwei Gerichtsverfahren haben wir verstanden, dass wir die Aufklärung selbst in die Hand nehmen müssen“, sagte Nadine Saeed, Sprecherin der Initiative. Die Arbeit der Kommission werde durch Spenden finanziert.

Todesfälle von People of Colour durch Polizeigewalt „häufen sich“, sagte die Kommissionssprecherin Vanessa Thompson von der Uni Frankfurt bei der Vorstellung des Gremiums am Dienstag im Berliner Haus der Demokratie und Menschenrechte. „Und diese Todesfälle bleiben systematisch unaufgeklärt.“ Auch im Fall Jalloh sei von einer Aufklärung von staatlicher Seite „nicht auszugehen“, sagte Thompson.

Im April 2017 war der Dessauer Staatsanwalt Folker Bittmann nach der Konsultation von Gutachtern zu dem Schluss gelangt, Jalloh sei, als der Brand ausbrach „mindestens handlungsunfähig oder sogar schon tot“ gewesen. Vermutlich sei er mit Brandbeschleuniger besprüht und angezündet worden. In einem Aktenvermerk nannte Bittmann Namen von konkret der Tötung verdächtigen Polizeibeamten.

Kurz danach wurde das Verfahren der Dessauer Staatsanwaltschaft entzogen und an die Staatsanwaltschaft Halle übertragen. Die stellte das Verfahren ein. Nach Protesten wies Justizministerin Anne-Marie Keding (CDU) 2017 die Generalstaatsanwaltschaft Naumburg an, den „Konflikt“ zwischen den Ansichten der Ermittler in Halle und Dessau „durch eine eigenständige und gegebenenfalls weitere Ermittlungen“ zu klären.

Lückenhafte Informationen

Am Dienstag erklärte die Naumburger Generalstaatsanwaltschaft gegenüber dem MDR, sie sei „mit der Sichtung und Auswertung der umfangreichen Aktenstücke beschäftigt“ und betreibe „eigene Nachforschungen“. Die Überprüfung könne „womöglich noch im Herbst dieses Jahres abgeschlossen werden“. Das sei aber „nur eine Prognose“.

„Zwei Seiten weißes Papier, nichts, was wir lesen konnten, die gesamte Argumentation zum Tatverdacht ist gelöscht“

Die Anwältin der Familie Jalloh, Gabriele Heinecke, erinnerte daran, dass die Staatsanwaltschaft ihr lückenhafte Informationen zur Verfügung gestellt hat. „In unserer Kopie des Aktenvermerks steht statt der Namen der Verdächtigen nur XXXX.XXXX.“ Ebenso lückenhaft sei die Begründung der Staatsanwaltschaft Halle für die Einstellung des Verfahrens: „Zwei Seiten weißes Papier, nichts, was wir lesen konnten, die gesamte Argumentation zum Tatverdacht ist gelöscht.“ Heinecke sagte, sie habe bereits im Januar 2018 eine „sehr umfangreiche Beschwerde“ eingelegt, aber bis heute „weder eine Eingangsbestätigung noch eine andere Reaktion“ bekommen.

Die Initiative Gedenken an Oury Jalloh hatte in der Vergangenheit mehrfach auf zwei weitere Todesfälle nach Gewahrsamnahme im Dessauer Revier hingewiesen: Mario Bichtermann war am 29. Oktober 2002 in einer Zelle des Reviers mit einem Schädelbasisbruch aufgefunden worden.

Hans Jürgen Rose brach am 8. Dezember 1997 schwer verletzt auf einem Fußweg in der Nähe des Reviers zusammen. Er starb im Krankenhaus an den Folgen schwerster innerer Verletzungen. Die Ursachen für beide Tode sind bis heute offiziell ungeklärt. Die Akte Rose hat nun die Jalloh-Kommission erhalten. Kommissionsmitglied Claus Metz, ein auf Schlagverletzungen spezialisierter Mediziner aus Frankfurt, erläuterte am Dienstag, was sich aus seiner Sicht aus den Dokumenten ergibt.

Demnach wurde Rose in einem hinteren Gebäudeteil des Polizeireviers an eine Säule gefesselt, seine Arme nach oben gebunden. Die auf Fotos der Rechtsmedizin dokumentierten Verletzungen deuten darauf hin, dass „drei Beamten von unterschiedlichen Standpunkten aus mindestens 45 Mal zugeschlagen haben“, sagte Metz. Benutzt hätten sie dafür vermutlich mit „Gummi ummantelte Stahlknüppel, bei denen platzt die Haut nicht“, so Metz.

Strukturelle Gewalt und institutionelle Straflosigkeit

Bei der Öffnung der Leiche habe sich dann herausgestellt, dass sich bei Rose unter der Muskelpartie des Gesäßes eine erhebliche Blutmenge in einer „mehr als DIN-A4-großen Tasche“ gesammelt hatte. Das sei ein „hochspezifisches Verletzungsmuster“, sagte Metz. Er folgte der Auffassung der Rechtsmediziner, die Roses Leiche 1998 untersucht hatten: Die Schwere von Roses Verletzungen entspreche dem, was „bei einem Sturz aus größerer Höhe zu erwarten gewesen wäre“.

Doch Rose war auf dem Gehsteig so aufgefunden worden, dass er „unmöglich aus einem Hochhaus hätte gestürzt sein können“, sagte Metz. Die Gesäßverletzung könnte aber „auch mit einem Schlagstock“ hervorgerufen worden sein.

„Diese Todesfälle bleiben systematisch unaufgeklärt“

All das ist keine Nebensächlichkeit: Der Fall Rose ist vor allem deshalb von Bedeutung, weil der Schichtleiter im Dessauer Revier an den Tagen aller drei Todesfälle – Rose, Bichtermann, Jalloh – jeweils derselbe war: Der Beamte Andreas S.

Die Initiative hält es für möglich, dass Polizisten Jalloh verprügelt haben und dieser dabei starb. Mit dem Brand in dessen Zelle wollten sie daraufhin Jalloh selbst die Schuld an seinem Tod in die Schuhe schieben – und so möglicherweise drohende Untersuchungen in den zurückliegenden Fällen Bichtermann und Rose abwenden.

Ob die Ereignisse sich so zugetragen haben, will nun die von der Initiative eingesetzte Kommission versuchen zu klären. „Wir gehen von einem ,Oury-Jalloh-Komplex' aus, in dem örtliche Polizei und Justiz zusammenspielen“, sagte deren Sprecherin Vanessa Thompson. Alles deute auf ein System „struktureller Gewalt und institutioneller Straflosigkeit“ hin.

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