Landtagswahl Hessen: Bleiben oder gehen

Am Sonntag wählt Hessen einen neuen Landtag. Was kann die Wahl für den Bund bedeuten? Die wichtigsten Fragen – und Antworten.

Andrea Nahles und Thorsten Schäfer bei einer Wahlkampfkampagne in Hessen

Die Großen schrumpfen, die Kleinen wachsen: Die Wahl in Hessen ist entscheidend für den Bund Foto: reuters

Wonach sieht’s gerade aus in Hessen?

Wahrscheinlich geht die Talfahrt der Volksparteien weiter. Umfragen zufolge werden Union und SPD zusammen um die 20 Prozent verlieren. Laut der letzten Erhebungen würde die jetzige schwarz-grüne Regierung knapp ihre Mehrheit verlieren. Falls das so kommt, beginnt noch in der Nacht auf den Montag ein interessantes Spiel der machtpolitischen Möglichkeiten: eine knappe CDU-geführte Große Koalition, eine Ampel aus SPD, Grünen und FDP, Jamaika mit CDU, Grünen und Liberalen. Möglich wären auch Grün-Rot-Rot oder Grün-Rot-Gelb unter Führung der Grünen. Oder Rot-Grün-Rot, angeführt von einem Ministerpräsidenten Thorsten Schäfer-Gümbel.

Klingt doch ganz spannend. Aber alle reden von Krise – wo ist die denn?

Das Parteiensystem ist in einer Krise, die es so seit siebzig Jahren nicht gab. Es ist zwar normal, dass die Parteien, die in Berlin regieren, Landtagswahlen deftig verlieren. Die BürgerInnen sorgen so dafür, dass die Bundesregierung im Bundesrat keine Mehrheit hat und nicht durchregieren kann. Aber einen so krassen Absturz nach nur wenigen Monaten Regierungsarbeit hat es noch nie gegeben. Wir erleben gerade die Auflösung des Systems mit zwei Volksparteien – einer eher rechten und einer eher linken. Wenn eine untergeht, zieht sie die andere mit.

Was kommt danach?

Die Großen schrumpfen, die Kleinen wachsen. In Hessen kann Tarek Al-Wazir Ministerpräsident werden, wenn die Grünen vor der SPD liegen.

Wenn das passiert, was macht dann die SPD?

Noch mehr kriseln. Und sich aus der Groko in Berlin befreien, die ihr die Atemluft nimmt.

Nach nur sechs Monaten raus aus der Groko? Ist das nicht wieder nur eine Idee der SPD-Linken, aus deren Plänen ja sowieso nichts wird?

Vor drei Wochen stimmte das noch. Aber das ist typisch für Umbruchphasen: Was vor ein paar Wochen noch allgemeines Nicken hervorrief, erntet nun Kopfschütteln. Das katastrophale Ergebnis in Bayern und die Kurve nach unten in Umfragen haben Partei und Fraktion in den Alarmzustand versetzt. Mit Merkel zu regieren hat die SPD schon zwei Wahlniederlagen beschert.

Jetzt scheint es noch schlimmer zu werden. Die SPD in Nordrhein-Westfalen will raus aus der Groko. Und in Niedersachsen, eigentlich Zentrale des Pragmatismus, haben viele die Nase voll von der Groko, auch beim rechten Flügel, bei Seeheimern und Netzwerkern schwindet die Groko-Verteidigung.

Also wird die SPD die Regierung verlassen?

Ja. Die Frage ist nicht mehr ob, sondern wann und mit welcher einleuchtenden Begründung. Das kann dauern. Aber: Wenn die SPD in Hessen mies abschneidet und von den Grünen überholt wird, kann es schnell gehen. Die Parteispitze macht Anfang November eine Klausur. Da kann es rund gehen.

Trotzdem: Was wäre für die SPD gewonnen, wenn die Macht weg ist?

Nichts. Das wäre nur der Griff zur Notbremse, es gibt keinen Plan B. Man würde nur den Zustand beenden, weiter hilflos dem Absturz zuschauen.

Liegt’s an der Führung?

Chefin Andrea Nahles und Vizekanzler Olaf Scholz sind mit dem Versprechen angetreten, professioneller und verlässlicher als Gabriel und Schulz zu sein. Und die Quadratur des Kreises zu schaffen – nämlich weiterhin solide und geräuscharm zu regieren und gleichzeitig dafür zu sorgen, dass die SPD als Alternative erkennbar wird. Funktioniert hat beides nicht.

Die Hysterieaktionen von CSU und Seehofer haben Stabilität als Grund für die Große Koalition durchgestrichen Und Scholz’ Versuch, via Rente 2040 die SPD zu profilieren, hat auch nicht gezündet.

Was macht eigentlich Kevin Kühnert?

Abwarten und twittern.

Stürzt die CDU ihre Vorsitzende Merkel, wenn Bouffier nicht mehr Ministerpräsident ist?

Möglich. Hessen ist eines der wichtigsten Länder für die CDU, dort regiert Angela Merkels treuer Gefolgsmann Volker Bouffier skandalfrei mit den Grünen. Fiele Bouffier, wäre dies nicht nur als Wunsch nach einer dynamischeren Landesführung, etwa den Grünen, zu verstehen. Es wäre zugleich die harte Strafe für das grausige Koalitionsschauspiel in Berlin.

Wieso denn? Wenn in Berlin einer Stunk macht, ist das doch Horst Seehofer.

Als Regierungschefin trägt Angela Merkel die Verantwortung. Spätestens seit sie wohl willens, aber nicht mehr in der Lage war, im Frühsommer den Dauerstörer Horst Seehofer zu entlassen, ist klar: Sie ist schwach. Dann rebellierte im September auch noch die Unionsfraktion offen und machte statt Merkels Wunschkandidat Volker Kauder den strebsamen Ralph Brinkhaus zum Fraktionschef. Seitdem wankt der Grund unter der Kanzlerin.

Wäre es geschickt, wenn die CDU Angela Merkel ein bisschen stürzen würde?

Ja. Beim Parteitag Anfang Dezember in Hamburg wird sich zeigen, ob und wie weit ihr der CDU-Mittelbau zu folgen bereit ist. Sie wird antreten. Schon bei ihrer letzten Kandidatur 2016 holte sie nach einer flammenden Rede („Ihr müsst mir helfen“) nur 89,5 Prozent der Stimmen. Bei der konsensverliebten CDU gilt so was als Denkzettel.

Warum überlässt Merkel denn nicht jemand anderem den Vorsitz?

Viele in der Partei wünschen sich das. Die Parteizentrale könnte schon mal erste Reformen anstoßen, um ab der Mitte der Legislaturperiode mit neuen Gesichtern und Ideen in den Wahlkampf für 2021 zu starten. Und seit Angela Merkel Anfang dieser Woche in einem Interview erklärt hat, die Nachfolge von der jeweiligen Amtsinhaberin selbst regeln zu lassen, sei noch immer „total schiefgegangen“, gibt es zarte Hoffnungen, dass Merkel den Wettbewerb um die CDU-Spitze freigibt.

Und, wer wäre da in Sicht?

Für Hamburg haben drei No-Names ihre Gegenkandidatur erklärt, aber das ist wurscht. Wichtig sind diese drei: Annegret Kramp-Karrenbauer; Armin Laschet und Jens Spahn. Die Saarländerin und der Nordrhein-Westfale sind klar im Team Merkel. Seit ihrem Start als Generalsekretärin im Februar baut AKK fleißig an ihrer Machtbasis in der Partei. Und Laschet hat gezeigt, dass er Wahlen gewinnen kann, ohne gegen Minderheiten zu hetzen. Der frühere Merkel-Antipode Jens Spahn wiederum fällt, seit er Gesundheitsminister ist, weniger mit Intrigen als mit Sacharbeit auf. Das könnte sich schnell wieder ändern, sobald er Parteivorsitzender ist, schließlich wäre er dann vielen Merkel-Gegnern etwas schuldig. Sein Nachteil: Er ist mit 38 Jahren immer noch verdammt jung.

Könnte Merkel nicht einfach nur Kanzlerin bleiben?

In vielen Ländern der Welt beneidet man die Deutschen um ihre uneitle und bienenfleißige Kanzlerin. Und tatsächlich, außenpolitisch, vor allem europapolitisch, ist Angela Merkel ein Schwergewicht. Sie selbst sagt, dass Parteivorsitz und Kanzleramt für sie zwingend zusammengehören. Aber innenpolitisch ist sie deutlich geschwächt; der Verlust der hessischen Staatskanzlei trotz guter Sacharbeit würde dies einmal mehr illustrieren.

Und warum lässt Merkel dann den Parteivorsitz nicht los – und macht Platz für einen ordentlichen Übergang?

Es ist vermutlich banal. 18 Jahre Parteivorsitzende, 13 Jahre Kanzlerin und der zunehmende Glaube, unentbehrlich zu sein.

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