Kolumne Lügenleser: Bayern schafft sich ab

Lange mussten bayerische Politiker sich um so etwas wie Wahlkampf und Koalitionsverhandlungen nicht sorgen. Jetzt ist die Verzweiflung groß.

Zwei ältere Herren schauen verwirrt

Wissen nicht, warum alle plötzlich so gemein sind: Karl-Heinz Rummenigge und Uli Hoeneß Foto: ap

Was waren das für kaiserliche Zeiten. Wisst ihr noch, damals? Als der FC Bayern mit gefühlten 120 Punkten Abstand den Meistertitel bereits um Weihnachten herum im Sack hatte und man sich nur vor Gott und Real Madrid fürchtete. Als die CSU einen volltrunkenen Dorfdepp hätte aufstellen können, um die absolute Mehrheit zu holen, und das manchmal sogar tat, vermutlich nur um die anderen Bundesländer zu verhöhnen.

Die anstehende Renovierung von Neuschwanstein galt als die größte Baustelle des Freistaats, und wenn ein Landespolitiker mal schlaflose Nächte hatte, dann, weil er sich darum sorgte, wie viele Schläge er wohl beim traditionellen Bierfassanstich benötigte. Ein spannender Wahlkampf, eine lebendige Demokratie, ein knappes Ergebnis beim Fußball – da konnte der Bayer nur schmunzeln und sich die nächste Prise Schnupftabak durch die Gehirnwindungen ziehen.

Aktuell sieht die Lage weitaus desaströser aus. Ja, da gibt es noch diesen Seehofer, der über Wochen an einem Chef des Verfassungsschutzes festgehalten hat, dem offenbar die Sicherungen durchgebrannt sind. Der in der SPD gar „Linksradikale“ ausmacht, eine Hoffnung, die jeder Linke vor Jahrzehnten bereits begraben hat: Wenn sie nicht sowieso schon vor inzwischen fast genau 100 Jahren gemordet und in den Landwehrkanal geworfen worden wäre (um diese Anspielung zu verstehen, sind rudimentäre Geschichtskenntnisse vonnöten, sie wurde präsentiert von Guido Knopp).

Kopflose Panik

Aber was sind die Probleme der Exil-Bayern im fernen Preußen schon gegen die hausgemachten Turbulenzen im schönen Bayernland. Die meisten bayerischen Politiker dürften nicht mal wissen, wie das Wort „Koalitionsverhandlungen“ geschrieben wird, und nun muss man sich mit einer Freibierpartei wie den Freien Wählern zusammentun. Wer wissen will, wie Verzweiflung klingt, der muss nur in die Präambel des Koalitionsvertrags schauen: „Wir modernisieren das Land und gehen neue Wege.“ Angeblich waren dies auch die letzten Worte von Ludwig II. am Ufer des Starnberger Sees.

Schwestern und Brüder, auf zur Sonne, auf nach Bayern: Diesen Artikel lest Ihr/lesen Sie im Rahmen des weißblauen Sonderprojektes der taz zum 100. Geburtstag des Freistaats Bayern. Unter der zünftigen Federführung des Obermünchners Andreas Rüttenauer haben sich nur die besten bayerischen Kräfte der taz an die Recherche gemacht: alle Texte. Ein Prosit auf Sie und auf uns!

Und als wäre das nicht demütigend genug, kann man sich am Wochenende nicht mal am haushoch überlegenen Spiel der Superbayern erfreuen. Sogar gegen die Hertha aus Berlin musst man eine 2:0 Schlappe hinnehmen, zuletzt spielte man zu Hause 1:1 gegen den SC Freiburg, in der Bundesliga rangiert man aktuell auf Platz drei. Für alle Bayern: Das ist zwei Plätze hinter dem Ersten! Und die Presse wagt es auch noch, über die Schieflage des Rekordmeisters zu berichten.

Das kurze Aufbäumen der Chefetage getreu dem Motto „Filmen Sie uns nicht beim Verlieren, Sie begehen eine Straftat“ ist längst einer kopflosen Panik gewichen, die das ganze Land erfasst hat. Wenn es jemals Bestrebungen der bayerischen Bevölkerung gab, sich vom Rest der Bundesrepublik abzuspalten – jetzt sollte man diese unterstützen. Bevor das Bundesland endgültig in Schutt und Asche liegt. Noch mehr Soli-Zahlungen kann der Bund einfach nicht stemmen.

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Juri Sternburg, geboren in Berlin-Kreuzberg, ist Autor und Dramatiker. Seine Stücke wurden unter anderem am Maxim Gorki Theater und am Deutschen Theater in Berlin aufgeführt. Seine Novelle "Das Nirvana Baby" ist im Korbinian Verlag erschienen. Neben der TAZ schreibt er für VICE und das JUICE Magazin.  

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