SPD und Groko nach der Hessen-Wahl: Jetzt bloß keine Panik

Nach der Hessen-Wahl ist SPD-Chefin Andrea Nahles wild entschlossen, weiterzumachen. Andere Stimmen fordern ein Groko-Ende – nur wie?

Andrea Nahles und Thorsten Schäfer-Gümbel verlassen ein Gebäude, ein roter Lichtreflex zieht sich als Streifen quer durchs Bild

Schlussstrich unter die Groko? Für Radikales ist der SPD die Lage wohl mal wieder zu schlimm Foto: reuters

BERLIN/WIESBADEN taz | Andrea Nahles steht am Montagmorgen im Atrium des Willy-Brandt-Hauses und lobt die hessische SPD überschwänglich. Die habe einen „vorbildlichen, gut vorbereiteten, disziplinierten Wahlkampf“ geführt. Leider habe der Bundestrend den verdienten Erfolg verhindert.

Bundestrend klingt allgemein – konkret heißt das: die SPD in der Groko. Nahles ist Partei- und Fraktionschefin, sie hat wesentlich dafür gesorgt, dass die widerstrebende Partei doch noch mal Juniorpartner von Merkel wurde. Bundestrend ist eigentlich ein Vorwurf an sie selbst. Aber: „Wir sind wild entschlossen, sicherzustellen, dass die Regierung auf vernünftige Weise weiterarbeiten kann“, sagt sie.

Nahles ist eine geschickte Machtpolitikerin. Das Desaster in Hessen war absehbar – dass der Druck, die Regierung in Berlin zu verlassen, steigen würde, ebenso. Um die Schläge abzufedern, hat die SPD-Chefin ein sechs Seiten langes Konzept verfasst. Es ist der Versuch, Zeit zu kaufen. Bis zum Herbst 2019 will die SPD zügig soziale Verbesserungen verabschieden. Das Kitagesetz soll früher kommen, Familien sollen schneller entlastet werden „das Familienstärkungsgesetz“, das Ärmeren nutzt, soll bis zur Sommerpause 2019 kommen. Schneller mehr Pflegepersonal, mehr Chancen für Weiterbildung, schneller soll auch die „sachgrundlose Befristung“ eingeschränkt werden.

All das steht schon im Koalitionsvertrag, nichts davon wird UnionsministerInnen auf die Barrikaden bringen. Im Grunde schreibt es die SPD-Politik der letzten sechs Monate in die Zukunft fort: Die SPD arbeitet an Gesetzen (durchweg mit technokratischen Titeln wie „Pflegepersonalstärkungsgesetz“ und „Qualifizierungschancengesetz“), die NormalbürgerInnen das Leben etwas leichter machen. Das Papier, überschrieben mit „Wir machen Politik für ein solidarisches Land“, ist kein Versuch, ein Austrittsszenario vorzubereiten. Es zieht keine rote Linie. Agenda 2010 und Mindestlohn von 12 Euro kommen in dem Nahles-Papier nicht vor. Kurzum: Die SPD Chefin versucht mit dem Konzept eher den Druck in den eigenen Reihen zu kanalisieren, als Richtung Union zu drohen. Die SPD-Spitze debattierte das Nahles-Papier am Montag. Beschlüsse sollen erst bei einer Klausur am Wochenende fallen.

Den Jusos geht all das nicht weit genug – vielmehr zeitlich zu weit. „Das Urteil über diese #Groko ist final gesprochen“, twitterte Juso-Chef Kevin Kühnert. Also sofort Schluss mit der Groko? Alles auf Rot? Doch das war missverständlich formuliert. Auch die Jusos wollen nicht sofort raus aus der Regierung. Allerdings fordern sie, dass die Überprüfung der Groko früher als erst im nächsten Herbst erfolgen soll. „Wir müssen zu einer Beschleunigung von Verfahren kommen“, so Kühnert, um der „lähmenden Trägheit in der Großen Koalition“ zu entgehen. Ein Sofortausstieg wegen der verlorenen Wahlen, fürchten auch die Jusos, würde panisch wirken. Allerdings sind die Ideen, wie die SPD halbwegs elegant aus der Regierung aussteigen kann, auch bei den Jusos etwas wolkig. Der Dieselskandal oder Waffenlieferung an Saudi-Arabien könnten Gründe sein, um die Regierung zu verlassen, heißt es.

Juso-Chef Kevin Kühnert

„Das Urteil über diese #Groko ist final gesprochen“

Thorsten Schäfer-Gümbel bläst am Montag ins gleiche Horn wie Nahles. Die SPD in Hessen habe mit Mieten und Mobilität die richtigen Themen gehabt. Doch der Bundestrend habe die Chancen der SPD vernichtet.

Sein Landesverband sieht es genauso. Schon am Sonntagabend, auf der Wahlparty der Sozialdemokraten, haben die Genossen ihren Spitzenkandidaten freigesprochen: Der Wahlkampf war super, Berlin ist schuld. Am Morgen danach versucht Generalsekretärin Nancy Faeser die Niederlage zu erklären – und zeigt ebenfalls auf die Bundespartei. Eigene Fehler? „Wir sehen sie im Moment nicht. Wir hatten noch nie eine Kampagne, die so gut getragen wurde von der Basis“, sagt Faeser. Der Wahlkampf super, der Kandidat auch. Thorsten Schäfer-Gümbel habe „Großartiges geleistet“ und sollte seine Ämter behalten. Nur gegen die „Sturmböen“ aus Berlin habe er nichts machen können.

Umfragedaten stützen diese Interpretation allerdings nur zum Teil. 70 Prozent der Hessen sind unzufrieden mit der Bundesregierung – unter anderem, weil sie in der Diesel-Affäre zu viel Rücksicht auf die Industrie nehme und in der Maaßen-Diskussion zu zerstritten aufgetreten sei. Problematisch für die Hessen-SPD ist allerdings, dass ihr die Wähler bei den sozialdemokratischen Kernthemen nicht mehr so viel zutrauen wie früher. Bei sozialer Gerechtigkeit und bezahlbarem Wohnraum hat die Partei nach Ansicht der Wähler an Kompetenz verloren. Da wundert es nicht, dass die SPD bei den Arbeitern mit 22 Prozent nur noch zweitstärkste Partei wurde. Vorne liegt die AfD. Ist nur die Bundespartei daran schuld? Oder hat der Landesverband doch etwas beigetragen? Für Montagabend hatte die Landesspitze erste Beratungen anberaumt.

Und wie geht es weiter in Berlin? Die entschiedene Parteilinke DL 21 um Hilde Mattheis fordert den raschen Ausstieg aus der Groko. Die radikalste Idee forciert der Dortmunder Bundestagabgeordnete Marco Bülow. „Das ist keine Rutschpartie mehr, wir sind im freien Fall“, so Bülow zur taz. Er fordert, unterstützt von Rudolf Dreßler und der Flensburger Oberbürgermeisterin Simone Lange, nicht nur das Ende der Groko, sondern auch den Rücktritt der gesamten SPD-Spitze und die Urwahl eines neuen Parteichefs. Realistisch ist das nicht. Alles spricht dafür, dass, einer eigentümlichen sozialdemokratischen Dialektik folgend, nichts passiert. Will sagen: Es ist so schlimm, dass wir erst mal weitermachen wie bisher.

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