Kampfzone Kasse

FORTSCHRITT Ein Kunde. Ein Einkaufswagen. Eine Kassiererin. Ein Scanner. Und drei Artikel in 33 Sekunden. Das Bezahlen im Supermarkt ist zu einem Hochgeschwindigkeits-Rennen geworden. Wer ist daran schuld? Bert Daiberl will es nicht gewesen sein – auch wenn bei ihm alles anfing

1 Der Discount: Nachdem in den Nachkriegsjahren noch Tante-Emma-Läden überwogen, begannen deutsche Großhändler Anfang der Fünfziger, sich auf Massenabsatz zu konzentrieren. 1959 vereinte Hans Küppers fünfzehn von ihnen zur ersten Discounthaus-Kette „Für Sie“. 1962 führte die Essener Albrecht KG in ihren Läden das Discountprinzip ein, daraus wuchs das Aldi-Imperium.

2 Der Scanner: Die erste Scannerkasse in Deutschland setzte Bert Daiberl 1977 in Augsburg ein. Im selben Jahr wurde die European Article Association gegründet, die den Barcode einführte: eine mehrstellige Identifikationsnummer und eine Strichkombination auf allen Verpackungen. Die Kunden waren zunächst skeptisch, weil die Preise nicht mehr direkt auf den Waren zu lesen waren, sondern nur noch am Regal.

3 Der Selbst-Scanner: Ikea oder Real bieten Kunden seit einigen Jahren an, Waren selbst zu scannen. Damit wolle man den „‚Brennpunkt Kunden-Check-out‘ weiter entschärfen“, stellt ein Handelsforscher fest. Studien zeigen, dass Einkäufer unterschiedlich reagieren. Die einen freuen sich, die neue Technik auszuprobieren. Andere lehnen sie kategorisch ab.

VON JOHANNES GERNERT
UND ULRICH BAATZ (FOTOS)

Sie lässt die Sachen gleiten, greift mit der rechten Hand, zieht mit der linken. Greift, zieht. Milch, Marmelade, Salami. Mit der rechten Hand vom Band, mit der linken über die Glasscheibe. Rotes Scannerlicht auf schwarzen Streifen. Zur Bestätigung das Geräusch: Büpp. Toastbrot, Dosenerbsen, Joghurt, Joghurt, Joghurt. Büpp, büpp, büpp. Greift, zieht. Hält inne. Eingabe-Taste. 14,95 bitte. Kundenkarte?

Ganz langsam, mit ein, zwei Schritten, bewegt sich jetzt der zweite Strom. Vor ihr erscheint – guten Tag – ein neues Gesicht. Sie sieht es kaum, greift, zieht, greift schon wieder. Neben ihr presst der junge Mann von eben die Erbsendose in den Rucksack, verbeult die Chipstüte darunter. Er rafft alles zusammen wie ein Bankräuber die Scheine im Tresorraum. Die Sachen des Nächsten stauen sich auf seine. Büpp. Büpp. Büpp.

Die Kassiererin schaut kurz auf. Sie werden immer langsamer sein, die Kunden. Obwohl sie üben, seit bestimmt dreißig Jahren. Aber die Geschwindigkeit wächst. Es wird schneller gezogen, gegriffen, ausgelesen. Die Laser fliegen über die schwarzen Striche, fast nur Treffer. Die Technik beschleunigt. Die Kassiererin dagegen bremst. Und der Kunde, vor allem der Kunde. Sie greifen, ziehen, packen gegeneinander an. Als wäre das wirklich ein Bankraub, als käme gleich die Polizei. Büppüppüpp.

Die Kassenzone hat sich in eine Kampfzone verwandelt. Es ist nur nicht ganz klar, warum überhaupt gekämpft werden muss. Und worum. Wie konnten Kassierer und Käufer zu Gegnern werden?

Bert Daiberl hat seine Sonnenbrille abgesetzt. Jetzt steht er ganz gerade da, 65 Jahre alt, durchtrainiert und sommersonnenbraun. Jeans, blaue Adidas-Sneaker, die oberen Knöpfe seines Leinenhemds sind offen. Daiberl betrachtet die Kassen in einem Supermarkt in Augsburg, der einmal ihm gehörte. Heute ist er Millionär, er lebt in Florida und betreibt ein Hotel. Seine Supermärkte hat er 1987 verkauft. Er hat Abstand gewonnen – räumlich und zeitlich. Der Mann ist ein guter Ausgangspunkt für eine Erkundungsreise in das wenige Quadratmeter große Gebiet, das er schon in den Siebzigern „Stresszone“ nannte. Denn Bert Daiberl hat die Scannerkasse nach Europa gebracht.

Sie mussten damals den Ton aussuchen. Es gab eine Art Gong und es gab das, was Daiberl den „Beep“ nennt. Sie nahmen den „Beep“. Daiberl beobachtet ein Paar, wie es abwechselnd zupackt, Tomaten und Gurken und Klopapier, alles muss in den Wagen. Er hört dem „Beep“ eine Weile zu. Es ist eher ein Büpp.

Daiberls alter Supermarkt gehört längst Dieter Schwarz, dem mächtigen Besitzer von Lidl. Es ist jetzt 32 Jahre her, dass Daiberl die Kassiererinnen in seinem Markt an Deutschlands erste Scannerkassen setzte, die ein Schiff aus den USA gebracht hatte. „Die Geschwindigkeit“, sagt Bert Daiberl, „war überhaupt nicht das Thema.“

Während seiner Schulzeit, in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg, gingen die meisten Deutschen in Tante-Emma-Läden. Sie sagten einer Verkäuferin, was sie wollten. Dann kamen die Selbstbedienungsmärkte. Daiberl fuhr nach Hamburg, um sich den ersten Aldi anzusehen. Die Beatles hatten die Stadt gerade wieder verlassen. Bei Aldi standen aufgeschnittene Kartons mitten im Laden. Es war, als würde man die Kunden ins Lager schicken. Wie Mitarbeiter.

Da fing es an. Die Kunden machten mit. Weil sie sparen wollten.

Bert Daiberl sitzt im Gartenstuhl auf seiner Dachterrasse, vor ihm die Giebel von Augsburgs Altstadt. Im Sommer, wenn ihm Florida zu heiß wird, fliegt er nach Bayern. Er hat im Arbeitszimmer das Fell einer Löwin als Teppich und Skulpturen von seinen Reisen durch Afrika, durch Asien, durch Amerika. Daiberl streicht über die Arme, knibbelt an den Fingernägeln, knetet die Hände. Er sagt, er habe die Sachen immer perfekt machen wollen. Manchmal träumt er noch von seinen Märkten, von Diskussionen mit Filialleitern.

Nach dem Abitur hat Daiberl Computerkurse belegt. Er weiß, wie man die riesigen Lochkartenmaschinen von IBM bedient. In seinem ersten eigenen Supermarkt denkt er darüber nach, wie man erreichen kann, dass im Lager automatisch Waren nachbestellt werden, wenn sie im Laden jemand aus dem Regal nimmt.

Was der Vertreter von IBM Daiberl eines Tages in seinem Büro erzählt, klingt wie eine Lösung. Ein Computer, der genau erfasst, welche Produkte den Markt verlassen. Die Waren müssen nur über einen Laser gezogen werden. Daiberl fliegt nach Kanada und lernt, wie alles funktioniert. 1977 stellt er die ersten Scannerkassen in einen seiner Märkte in Augsburg, dazu ins Büro zwei wuchtige, blaue Rechnerkästen.

Für die Kassiererinnen, sagt Daiberl, sei die Arbeit viel leichter geworden. Sie mussten nicht mehr jeden einzelnen Preis eintippen. Und sie mussten die Waren nicht länger von einem Einkaufswagen in den nächsten wuchten, so wie sie es vorher gemacht hatten. Stattdessen griffen und zogen sie.

Die Kunden haben sich sofort beschwert. Sie sollten die Sachen aufs Band heben. Dann wieder abräumen. Vorher hatten sie ihren Wagen einfach zur Kasse geschoben, die Kassiererin kümmerte sich um den Rest. „Der Stress ist auf den Kunden verlagert worden“, sagt Daiberl.

IBM warb mit seinem Markt. Einzelhändler pilgerten in die Filiale nach Augsburg. Die Hersteller zögerten, Strichcodes auf die Verpackungen zu drucken. Daiberls Leute mussten sie als Etiketten selbst aufkleben. 1982 gab es ganze 66 Scannermärkte in Deutschland. 1985 waren es 719. Nach der Wende stieg die Kurve steil an, Mitte der Neunziger auf über 14.000. Anfangs hatte Daiberl 2 Millionen Umsatz gemacht, 1987 waren es 300 Millionen. Aus 5 Filialen waren 25 geworden. Dank der Scannerkasse. Die Geschwindigkeit stieg.

Gabriele Lange ist 49, sie hat kurze blonde Haare und einen festen Händedruck. In der DDR hat sie „Facharbeiter für Lagerwirtschaft“ gelernt, ein Männerjob. Lange hat da einen Humor mit Hornhaut entwickelt. Wenn sie einer anstoffelt, berlinert sie zurück. Sie hat vor der Wende in einem Großmarkt Preise in Registrierkassen gehauen, „so richtige Klopper von Tastaturen“.

Seit vierzehn Jahren sitzt sie vor einem Scanner, das kommt ihr einfacher vor. Sie greift, zieht, greift im weißen Rewe-Kittel jede Woche mehrere Tonnen. Wenn sie sieht, dass die Schlange hinten immer länger wird, konzentriert sie sich auf den Kunden direkt vor ihr. Nur auf den. „Man darf sich och nich’ so unter Stress setzen“, sagt Gabriele Lange. Man wird genug unter Stress gesetzt.

Im Branchenblatt Coorganisation stand 1982 schon, worum es den Scannermarkt-Betreibern ging: „Einsparung von Arbeitszeit“. Eingearbeitete Kassiererinnen würden „in der Spitze“ 70 Artikel pro Minute schaffen. Sogar 90 seien möglich. Gewerkschaften beklagen heute, dass Lidl von seinen Angestellten verlange, im Schnitt 40 Produkte pro Minute über den Laser zu ziehen. Die Kassen hätten sich in Überwachungsmaschinen verwandelt. Sie registrierten jede Regung der Kassiererin. Wie schnell scannt sie, wie lange ist ihre Kassenschublade offen?

„Da wird Druck gemacht“, sagt Günther Voß. Er befasst sich als Professor für Techniksoziologie damit, wie Unternehmen ihre Kunden mitarbeiten lassen. Ganz gezielt, sagt er, würden bei manchen Discountern die Kassen reduziert, damit die Käufer unter Stress gesetzt werden und sich beeilen. „Kunden und Kassierer werden aufeinandergehetzt.“ Mutwillig.

Je schneller kassiert wird, desto weniger Kassen werden gebraucht. Desto weniger Kassiererinnen, desto weniger Lohnkosten, desto mehr Profit. Daher der Stress. Das sagen die Gewerkschaften, das sagt Günther Voß.

Die Unternehmen sagen etwas anderes, egal welche man anruft, Rewe, Metro, Lidl: Die Kunden wollen nicht warten. Man sieht es ja. Storno Kasse 4: wie die Blicke da an die Supermarktdecke gehen, wie die Finger aufs Kassenblech trommeln. Deshalb die ganze Beschleunigung, sagen die Unternehmen.

Die Kunden selbst allerdings, sie können die Geschwindigkeit, die sie fordern, nicht halten. Sie kommen mit dem Einpacken kaum nach. Bert Daiberl kneift die Augenpartie in Falten. „Es geht an Deutschlands Supermarktkassen zu wie auf der Autobahn“, sagt er. Die Leute wollen rasen, auf die Überholspur. In den USA könne man in Ruhe einen Scheck ausfüllen. In Deutschland hetzen sie. Und sei es nur nach Hause, vor den Fernseher. „Eigenartigerweise“, sagt Daiberl. Nein, er fühle sich nicht schuldig an diesem überflüssigen Kassenstress in Deutschland.

Der Kunde ist zu lahm

Das Europäische Handelsinstitut nimmt die Zeit. Einen Artikel scannen Kassiererinnen in durchschnittlich 2,2 bis 2,6 Sekunden. Drei Artikel erfassen und zahlen kostet im Schnitt 33 Sekunden. Das Bezahlen frisst die meisten Sekunden. Bis zu 70 Prozent im Vergleich zum Scannen. Der Kunde wühlt nach dem Geldbeutel, der Kunde nestelt an der EC-Karten-Hülle.

„Der Scanner ist eine Arbeitserleichterung für unsere Mitarbeiter“

LIDL-STELLUNGNAHME

Am Rande von Bochum, in einem Gewerbegebiet, steht Hartwin Tackenberg junior neben einem Kassenstand seiner Firma, Modell Obligat, und sagt: „Der Kunde ist in der ganzen Abrechnungskette das schwächste Glied.“ Tackenberg ist ein großer, schwerer und sehr freundlicher Mann, Jahrgang 1966. Er trägt eine blaue Weste, auf seiner Krawatte sind viele kleine Widder.

Das Unternehmen ist das einzige in Deutschland, das ausschließlich auf Kassenstände spezialisiert ist. Marktanteile zu schätzen, hält Tackenberg für unseriös. Nur so viel: Es gebe keine Supermarktkette in Deutschland, mit der man noch nicht zusammengearbeitet habe. Auch Bert Daiberl hat bei ihnen Tische bestellt, damals.

Der Kassentisch, sagt Tackenberg, sei wie ein Instrument, mit dem der Kunde in seine Aufgabe hineingepasst werde. Man bringe ihn damit in eine Zwangshaltung. Zum Wohle des reibungslosen Abrechnungsvorgangs.

Der Kunde, erklärt Tackenberg, fährt seinen Wagen also neben die Kasse. Dann ist schon die erste Zwangsmaßnahme nötig. Er soll Joghurt, Seife und Salat möglichst so aufs Band legen, dass die Kassiererin sich nicht weiter als fünfzig Zentimeter zu strecken braucht. Wenn man ihn lässt, packt er den Wagen aber so aus, dass es für ihn selbst möglichst einfach ist. Die Sachen liegen auf seiner Seite des Bands. Man muss das Förderband also so eng machen, dass der Kunde gar nicht viel Spielraum hat, vierzig Zentimeter oft.

Am Ende der Kasse lässt Tackenberg dem Kunden nur eine millimeterbreite Taschenablage. Da, wo sich seine Waren in einer Zelle gegeneinander schieben, darf er seine Tüten kurz auf einen Sims am Rand dieses Warenauffangbeckens lehnen, vom eigenen Körper gestützt, während er hastig alles hineinpackt. Wäre die Ablage breiter als 150 Millimeter, sagt Tackenberg, käme der Kunde noch auf die Idee, sich häuslich einzurichten.

Als Geschäftsführer hat Tackenberg viel mit den Bauabteilungen der Supermarktketten zu tun. Er kennt ihre Philosophie, ihr Beschleunigungsdenken. Was sollen sie auch machen, sagt er, bei den winzigen Margen im Einzelhandel? Die Kunden wollen es billig und zügig.

Sie bekommen den VM-Kassenstand. VM steht für Verbrauchermarkt, gemeint ist eigentlich: Discount. Der VM-Tisch sieht abgeschnitten aus. Würde man an seinem Ende nicht sofort alles in einen Wagen oder einen Rucksack packen, klatschten die Sachen wie ein lahmer Wasserfall auf den Boden. Wieder so eine Zwangsmaßnahme. Der Kunde muss hektisch abräumen. Und raus.

Discounter wie Aldi waren die Ersten mit den abgeschnittenen Tischen. Vor sieben Jahren musste Tackenberg seine Discount-Stände plötzlich an Märkte liefern, die bisher nicht als Discounter galten. Wegen der niedrigen Margen, sagt er.

Die Margen. Auch wenn es der Branche schon besser ging, ist es nicht so, dass nichts übrig bliebe. Auf der Liste der reichsten Menschen der Welt lag der Aldi-Gründer Karl Albrecht im Jahr 2009 immer noch auf Platz sechs. Sein Vermögen betrage 21,5 Milliarden Dollar, meldete das Magazin Forbes.

Die Kassiererin Gabriele Lange sagt, sie sei kein Clown. Fürs Lachen werde sie nicht bezahlt. Manchmal aber, während sie im Untergeschoss der Berliner Einkaufspassage zieht, greift, zieht, lässt sie die Waren gegen ihre Hand laufen. Wenn Kunden mit dem Einpacken nicht nachkommen. Sie schenkt ihnen so ein wenig Zeit. Viele haben sich noch nicht an den neuen VM-Tisch gewöhnt, sagt sie. Die meckern. Es liege eben daran, glaubt Lange, dass der Kassenbereich von Leuten eingerichtet wird, „die die Praxis nicht kennen“.

Wahrscheinlich ist es eher umgekehrt: Die Manager kennen die Praxis. Sie wollen sie ändern.

Dabei erhöht der VM-Tisch gar nicht unbedingt die Geschwindigkeit. Tackenberg hat mit seinem Vater jahrelang die Leistung von Tackenberg-Kassenständen gemessen, als gescannte Artikel pro Zeiteinheit. Sie standen dafür mit Stoppuhren in Supermärkten. Das Ergebnis: Am schnellsten geht es nicht mit dem Discount-Tisch, sondern mit zwei Förderbändern und einer Warenzelle. Das erste Band bringt die Einkäufe zur Kassiererin, das zweite von ihr weg, wo sie auf einer Ablagefläche warten, bis der Kunde sie in Ruhe einpackt. Die Drogeriekette dm lässt ihre Filialen gerade mit dem Modell ausstatten. Es mindert den Stress. Man geht mit einem anderen Gefühl aus dem Laden.

Holz-Optik für Bioläden

Viele Tackenberg-Modelle gibt es jetzt auch in der Ausführung Feng Shui. Das heißt vor allem, dass die Tische runder sind. Es gibt sie auch mit Holz-Optik – für Bioläden. Eine Scannerkasse ist nur das, was man aus ihr macht, sagt der Soziologe Voß. Bert Daiberl wollte damit alles elegant organisieren. Die Discounter wollen die Profite erhöhen.

Warum Lidl, wie auch Aldi, die Scanner erst Ende der Neunziger eingeführt hat, versteht Daiberl nicht. Das sei „ein Service für unsere Kunden und eine Arbeitserleichterung für unsere Mitarbeiter“, teilt das Unternehmen dazu nur mit. Die Frage, ob Lidl den Kassierern eine Mindestzahl von Scans abverlangt, bleibt unbeantwortet.

Eine Analyse aus dem Jahr 2007 zeigt: Die Kunden gehen zum Discounter nicht nur, weil es dort billig ist, sondern auch, weil sie sich Convenience versprechen, Bequemlichkeit. Alles geht schnell – und einfach.

Wenn Käufer ihre Wagen neben den Kassentisch schieben, dann schaltet sich offenbar ihre innere Stoppuhr an. Büpp. Büpp. Büpp.

Es gibt allerdings einen Weg, sie zu manipulieren. In der Zukunft. Die nähere Zukunft versteckt sich in einer Einkaufshalle neben einem weiten Parkplatz, mitten im Gewerbegebiet Tönisvorst, einige Kilometer vor Krefeld. Die Zukunft ist als solche gekennzeichnet: als „Real Future Store“. Sie besteht aus acht Kassen, an denen keine Kassiererin sitzt. Der Kunde kann hier selbst scannen. Das ist der Trick.

Ein Schiff aus den USA brachte die ersten Scannerkassen. Mit ihnen kam die Schnelligkeit

Den „Future Store“ gibt es in Tönisvorst seit über einem Jahr. Seitdem waren mehr als 9.000 Gäste da aus dreißig Ländern. Sie starten im Besucherzentrum mit den spacig-runden Stühlen, an diesem Morgen geht es um neun Uhr mit Fujitsu Technology Solutions los, gleich danach eine Gruppe vom Deutschen Dialogmarketing-Verband. Junge Leute in grauen Jacken erzählen Menschen in dunklen Anzügen, dass 20 Prozent der Kunden die Selfscanning-Kassen nutzen. Die Einkäufe werden gewogen, um zu überprüfen, dass alles ordnungsgemäß eingescannt worden ist. „Der Kunde neigt zum Bescheißen“, sagt der Soziologe Voß, „wenn man ihn zum Mitarbeiter macht.“

Dass die Zukunft noch nicht ganz so nah ist, verdeutlicht die Real-Statistik, die sich ja auch so lesen lässt: 80 Prozent nutzen das Selbstscannen nicht. Neben der SB-Zone stehen vierzehn Kassen mit Kassiererinnen. Einmal hat Real versucht, in Mülheim-Kärlich einen Markt ohne Menschen an den Kassen zu etablieren. Am Ende war es auch ein Markt fast ohne Kunden.

Selfscanning, erzählt man beim Rewe-Konzern, werde in den eigenen Filialen deswegen nur zögerlich eingesetzt. Mit am offensivsten führt die Technologie gerade Ikea ein. An Märkte völlig ohne Mitarbeiter denkt im Augenblick niemand: Im „Real Future Store“ laufen vier Beschäftigte in rot-blauen Real-Westen zwischen den Selbstbedienungskassen hin und her. Sie helfen, wenn die Leute mit dem Scanner nicht zurechtkommen, bei Zigaretten und Alkohol kontrollieren sie das Alter. Gerade für die Älteren seien die neuen Kassen toll, sagen die PR-Leute beim Metro-Konzern. Die könnten in aller Ruhe vor sich hin scannen.

An diesem Vormittag sieht die Zukunft im „Future Store“ tatsächlich entspannt aus. Eine Kundin um die fünfzig zieht Stück für Stück den Inhalt eines kompletten Einkaufskorbes über das Scannerglas. Als sich am Ende des Fließbands allzu viel aufeinanderschiebt, stapelt sie um, geht zurück, scannt weiter, stapelt wieder um. Hebt, greift, zieht, stapelt.

Wenn man die Nutzer von Selfscanning-Kassen fragt, was sie daran am meisten mögen, sagen sie: die Zeitersparnis. Das Europäische Handelsinstitut hat errechnet, dass ein Kunde beim Scannen viermal so lange braucht wie eine Kassiererin. Aber es fühlt sich offenbar anders an. Selfscanner schalten die innere Stoppuhr aus. Wenigstens zeitweise. Den Stress spürt auch der selbst scannende Kunde spätestens, wenn sich hinter ihm Einkaufswagen aneinanderreihen. Wenn im Supermarkt viel los ist, ist im Supermarkt viel los. Dann werden da immer zu wenige Kassen sein – ob mit Kassiererin oder ohne. Außer: die Kassenzone löst sich auf.

Wenn RFID käme, wären selbst die Scanner überflüssig. RFID heißt: Radiofrequenz-Identifikation. In einem RFID-Supermarkt wären an Marmeladengläsern, an Wurstverpackungen und in Cornflakes-Kartons winzige Chips. Am Ausgang stünden Kontrolltore wie vor dem Sicherheitsbereich eines Flughafens. Alles würde mit einem Mal erfasst, völlig ohne Büpp. Eher: Bing! Würde er heute einen Markt bauen, sagt Bert Daiberl, dann mit solcher Funktechnik.

Von RFID ist schon länger die Rede, aber abrechnen, sagen die Manager der Handelsketten, wird man damit erst einmal nicht können. Ein RFID-Chip kostet derzeit zwischen 5 und 7 Cent. Das ist nicht drin. Wegen der niedrigen Margen. Noch nicht.

Hartwin Tackenberg, der Fabrikant von Kassenständen, hofft, dass es eine Weile so bleibt. Er beschreibt RFID als Horror. Der Datenschutz etwa. Wer weiß schon, ob sich RFID ausschaltet, wenn man den Markt verlässt. Im „Future Store“ soll eine Demonstrationsbox beweisen, dass das geschieht. RFID wird nur an der Fleischtheke verwendet, um Verfallsdaten zu checken, nicht zum Bezahlen. Aber die Technik wird sich durchsetzen. Es ist bloß eine Frage der Zeit.

Dann gibt es den Hochgeschwindigkeits-Check-out. Gabriele Lange wird zur schlechter bezahlten Aufpasserin – oder arbeitslos. Es wird das Ende der Kassenzone, das Aus für die Firma Tackenberg. Eine Revolution wäre das, sagt Tackenberg, „schlimmer als der Scanner“. „Das wäre toll“, sagt Bert Daiberl.

Johannes Gernert, 29, sonntaz-Autor, ist stets um friedliches Verhalten im Kassenbereich bemüht

Ulrich Baatz, 54, freier Fotograf in Düsseldorf, hat großen Respekt vor der Arbeit der Kassiererinnen