Asylrecht in Deutschland und der EU: Grundrecht faktisch abgeschafft

Die Diskussion in der Union ist fern jeder Rechtskenntnis. Maßgeblich ist heute das EU-Asylrecht. EU-Richtlinien sind im deutschen Asylgesetz realisiert.

Demonstration unter dem Motto „Grundrechte verteidigen, Flüchtlinge schützen, Rassismus bekämpfen“ in Bonn 1992

Sie wollten keine Verschärfung des Grundrechts auf Asyl: Demonstrierende in Bonn 1992 Foto: imago/Dieter Bauer

Die Diskussion in der CDU/CSU ist fern von jeder Rechtskenntnis. Friedrich Merz will das individuelle Grundrecht auf Asyl zur Disposition stellen, um eine europäische Lösung bei der Migration zu ermöglichen. Annegret Kramp-Karrenbauer entgegnet, eine Einschränkung des Grundrechts sei mit dem Wesenskern der CDU nicht vereinbar. Haben sie keine Ahnung oder führen sie aus taktischen Gründen eine Scheindebatte?

Fakt ist: Das deutsche Grundrecht auf Asyl wurde 1993 weitgehend abgeschafft. Zwar steht das Grundrecht immer noch als Artikel 16a im Grundgesetz. Doch nach dem bekannten Satz „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht“ folgen vier Absätze voller Einschränkungen, die dem Grundrecht praktisch jede Wirkung nehmen.

Wer über einen EU-Staat oder einen anderen sicheren Drittstaat nach Deutschland einreist, kann sich seither nicht mehr auf das Asyl-Grundrecht berufen. Faktisch führt dies dazu, dass sich nur noch Flüchtlinge, die mit dem Flugzeug nach Deutschland einreisen, auf das deutsche Grundrecht stützen können.

2017 wurden von 600.000 entschiedenen Asylanträgen deshalb nur 0,7 Prozent wegen Artikel 16a Grundgesetz anerkannt. Das Grundrecht spielt in der Praxis also fast keine Rolle mehr. Deshalb ist es völlig abwegig, in der aktuellen Diskussion seine Einschränkung oder Beibehaltung zu fordern. Das Grundrecht ist seit Jahrzehnten schlichtweg irrelevant.

In den Jahren nach 1993 konnten sich Flüchtlinge zunächst auf die Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) berufen, die Deutschland unterzeichnet hat. Doch das war nur eine Zeit des Übergangs. Inzwischen ist auch die GFK nicht mehr maßgeblich, sondern das EU-Asylrecht.

Drei Richtlinien auf EU-Ebene

1999 beschlossen die EU-Staaten, das Asylrecht europäisch zu harmonisieren. In einer ersten Phase wurden bis 2005 Mindeststandards beschlossen, die in einer zweiten Phase bis 2013 – nun per Mehrheitsentscheid – deutlich verbessert wurden. Das Gemeinsame Europäische Asylsystem besteht nun aus drei Richtlinien zum Asylverfahren, zur Anerkennung/Qualifikation und zu den Aufnahmebedingungen. Auf diesen EU-Richtlinien beruht inzwischen auch das deutsche Asylgesetz. Hinzu kommt die direkt anwendbare Dublin-III-Verordnung, die regelt, welcher EU-Staat für das Asylverfahren zuständig ist (meist der Staat der Einreise).

Dieses EU-Asylrecht geht über das deutsche Grundrecht und auch über die GFK hinaus. Denn es gewährt nicht nur Flüchtlingen Schutz, die individuell oder als Gruppe „verfolgt“ werden. Es hat mit dem „subsidiären Schutz“ auch den Schutz von Bürgerkriegsflüchtlingen stark verbessert.

Einschränkend wirkt das EU-Asylrecht aber insofern, als der Anspruch in der Regel nicht mehr gegenüber Deutschland besteht, sondern gegenüber dem jeweils zuständigen Mitgliedsstaat der EU. Und nach den Dublin-Regeln sind das in der Regel Staaten an der EU-Außengrenze. Dass dennoch viele Flüchtlinge, die es nach Deutschland schaffen, ihr Asylverfahren hier bekommen, hat mit Problemen im Dublin-System zu tun. Deutschland kontaktiert oft den zuständigen Staat zu spät und dieser kooperiert oft nicht. Dann geht die Zuständigkeit auf Deutschland über.

Unter dem Strich führt Deutschland so etwa ein Drittel der Asylverfahren in der EU durch. Viel weniger wären es sicher nicht, wenn die EU das Dublin-System durch ein Quoten-System ersetzen würde. Alle Diskussionen mit diesem Ziel scheitern in der EU seit Jahren. Grund dafür ist ganz sicher nicht das irrelevante deutsche Grundrecht auf Asyl, sondern dass Staaten wie Ungarn jede verpflichtende Aufnahme von Flüchtlingen ablehnen. So kann kein Kompromiss gelingen.

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