Kolumne Lost in Trans*lation: Das Schweigen danach

Patriarchal-staatliche Gewalt gegen trans Frauen hat in der Türkei eine lange Geschichte. Unsere Kolumnistin schreibt darüber, wie sie diese selbst erlebt hat.

„Ich gedenke aller trans Frauen, die durch patriarchale und staatliche Gewalt umgebracht wurden.“ Foto: Michelle Demishevich

Es war mitten in der Nacht. Ich schaute mit meinem Freund Yaşar fern, es lief „Dallas“. Auf seinem Schoß fläzte sich unser Mädchen, die nicht mal ein Jahr alte deutsche Boxerhündin Nina. Ich machte in der Küche Tee und dazu einen Brownie mit heißer Schokosoße.

Plötzlich hämmerte es gegen unsere Wohnungstür. Yaşar sperrte unser Kind gleich ins Schlafzimmer, damit es keine Angst bekommt. Durch unsere Wohnungstür marschierten Polizisten. Einer zog mich an den Haaren, schlug mir in die Magengrube und warf mich wieder und wieder an die Wand. „Wer seid ihr, Mann? Das ist meine Frau“, rief Yaşar. „Was für eine Frau, du Schwuchtel? Hast du dir ’nen Transvestiten zur Frau gemacht?“, sagte ein Polizist, vielleicht Mitte zwanzig, und prügelte auf Yaşar ein, bis er zu Boden ging.

Sie gingen ins Schlafzimmer und traten mein Mädchen. Sie flüchtete zu mir, aber ich konnte sie nicht schützen, weil ich, die Hände hinter dem Rücken gefesselt, auf dem Boden lag. Die Hände auf dem Rücken gefesselt, halbnackt und barfuß brachten sie mich zur Polizeistation am Taksim. Die verstohlenen und stillen Blicke meiner Nachbarn aus dem Fenster verletzten mich damals am meisten.

Yaşar war mein erster Freund. Es war Liebe auf den ersten Blick. Er war groß, dunkel und sehr attraktiv. Wir haben sieben Jahre zusammengelebt. Ich habe Yaşar sehr geliebt.

„Frag mich nichts, bring mich nur nach Hause“

In der Polizeistation Taksim wurde ich in eine Zelle mit Dieben und Drogendealern gesteckt. Später brachten sie mich in einen Raum im oberen Stockwerk. Ein Polizist hielt mir ein Kondom entgegen und schrie: „Was ist das, Mann, gehst du auf den Strich?“ Ich versuchte zu erklären, dass das eins der Kondome war, die im Rahmen der Anti-Aids-Kampagne vom Gesundheitsministerium verteilt worden waren, aber keiner hörte zu.

Yaşar hatten sie nicht festgenommen, deshalb war ich nicht allzu traurig. Ich war Polizeigewalt gewohnt. Dann kamen immer mehr Polizisten in diesen Raum, der keine Fenster hatte, nur eine kleine Lampe. In dem Moment begriff ich, was diese dreckigen Kerle mit mir vorhatten.

In jener Nacht wurde ich zu einer von unzähligen Frauen, die auf Istanbuler Polizeiwachen vergewaltigt wurden. Ich habe nicht geweint, ich hielt meinen Kopf kerzengerade. Als Yaşar mich am frühen Morgen vor der Polizeiwache erwartete, konnte ich ihm nur sagen: „Frag mich nichts, bring mich nur nach Hause.“

Tagelang sprachen wir nicht. Wir zogen aus, die Stille verfolgte uns. Eine Weile später zerbrach unsere Beziehung, und ich blieb allein mit meinem Mädchen. Heute lebe ich in meinem Einzimmerschloss in Berlin, allein mit meinen Erinnerungen. Manchmal denke ich nachts an Yaşar. Aus unserer gemeinsamen Zeit hallt in meinem Kopf ein Satz nach: „Wer seid ihr, Mann, das ist meine Frau!“ Ich gedenke respektvoll aller trans Frauen, die von 1980 bis heute durch patriarchale und staatliche Gewalt umgebracht wurden.

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