Ausstellungsempfehlung für Berlin: Häuser ohne die, die darin wohnen

In Azade Kökers Rauminstallationen aus Papierhäuschen sind Traumata eingeschrieben. Die taz sprach mit der Künstlerin.

Azade Köker, „Relikte der Stadt“, 2018. Installationsansicht aus der Zilberman Gallery Foto: Katrin Hammer

Wohnt hier wer? Wer hat hier einmal gewohnt? Und warum nicht mehr? Die Hochhausstädten nachempfundenen Rauminstallationen von Azade Köker sind fragile Gebilde. Und verletzt erscheinen sie auch. Die Künstlerin stellt sie aus zartem Japanpapier her, das sie vorher um gebrauchte, rostige Baumaterialien wickelt, sodass es aussieht, als ob getrocknetes Blut an den dünnen Häuserwänden klebte.

Im Falle von „Relikte der Stadt“ hat Köker mit Gaze eingegriffen, als wolle sie Wunden verbinden. Die Wunden der Häuser, Menschen sind keine mehr da, ihre Traumata – ausgelöst vielleicht durch Kriege oder Umweltkatastrophen – haben sich aber anscheinend in die Architekturen eingeschrieben.

Es sind absolut unwirtliche Behausungen, deren düstere Wirkung noch unterstreicht, dass sie ausgerechnet in den eleganten Räumlichkeiten der Zilberman Gallery – in der Beletage eines Charlottenburger Gründerzeithauses – ausgestellt sind.

Die einzigen Menschen, denen man in Kökers Ausstellung begegnet, sitzen bezeichnenderweise auf Kampfjets – auf textilen Bildcollagen. Oben drauf, nicht innen drin. Vorbild für diese seien die in Fluggeräte verwandelten Eier bei Hieronymus Bosch, wie Köker erklärt. Kampfjet statt Ei, Zerstörung statt Leben.

Zilberman Gallery

Goethestr. 82,

dienstags bis samstags 11–19 Uhr,

bis 5. Januar

Köker bezieht sich in „Verblendet“ auf Paul Virilios „Die Verblendung in der Kunst“, in dem dieser kritisierte, Kommunikationstechnologien würden die Wahrnehmung der Umwelt verzerren. Köker will offenbar entgegenwirken, Sehen und Fühlen lehren. Die Haptik ihrer Arbeiten ist der Schlüssel zu beidem.

Einblick 750: Azade Köker, Künstlerin

taz: Welche Ausstellung in Berlin hat dich zuletzt an- oder auch aufgeregt? Und warum?

Azade Köker: Ich habe mir kürzlich die ständige Ausstellung von Helmut Newton angeschaut. Im Unterschied zu Malerei stellt sich bei Fotografie für den Betrachter von selbst der Wunsch ein, zu wissen, was, wo und wann fotografiert wurde. All das macht bei den Bildern von Helmut Newton das Ganze aus. Jede Realität hat eine Verbindung mit einer anderen Realität. In allen Bildern Helmut Newtons fand ich ihn selbst, seine Haltung, sein Weltbild, seine Verletzlichkeit und seine Ängste.

Azade Köker (*1949 in Istanbul) lebt und arbeitet in Berlin und Istanbul und war Professorin an der TU Braunschweig. Einzelausstellungen: Zilberman Gallery, 2016 und 2013, Proje 4L, Elgiz Museum, Istanbul 2015, Milli Reasürans Art Gallery, Istanbul 2007, Otto-Galerie, München 2004, Kunstverein Bielefeld, 2001. Gruppenausstellungen: Kunstverein Konstanz, 2015, Istanbul Modern, Istanbul 2011. Öffentliche Skulpturen: Cuvry-Brunnen (Berlin), Menschenlandschaften (Berlin), Schlosspark (Wolfsburg), Altınpark (Ankara), Istanbuler Börse (Istanbul), Aspat Art Park (Bodrum), Park der deutschen Botschaft (Ankara). Aktuell läuft in der Zilberman Gallery ihre Einzelausstellung „Verblendet“.

Hinzu kommt der formalistische Ansatz, mit dem er die gestalterischen und methodisch-fotografischen Probleme abhandelt. Die kommerzielle Welt hat Newton weltbekannt gemacht und vielleicht dadurch ausgenutzt, aber innerhalb dieser glamourösen Unterhaltungsgesellschaft ist er Künstler geblieben. Für uns Künstler ist das so wichtig, immer man selbst zu bleiben.

Welches Konzert oder welchen Klub in Berlin kannst du empfehlen?

Ich besuche in den letzten Jahren fast nur Konzerte und Klubs im Ausland, wie das Bimhuis in Amsterdam (Sun Ra Arkestra) oder das Babylon in Istanbul.

Welche Zeitschrift/welches Magazin und welches Buch begleitet dich zurzeit durch den Alltag?

Paul Virilios „Die Verblendung der Kunst“.

Was ist dein nächstes Projekt?

Ich werde weiter über Möglichkeiten nachdenken, in meinen Installationen und Interventionen im öffentlichen Raum eine Begegnung zwischen Ereignis und Kommunikation zu schaffen, die es Menschen erlaubt, eine neue Erkenntnis und Erfahrung mit Raum und Zeit zu machen.

Die Ästhetik der Wohnräume wird bereits von den Designern übernommen, unsere künstlerische Sorge besteht darin, die Raumrealität als neue Realität zu dekonstruieren und auf diese Weise eine neue Gedankengrammatik für den gewählten Raum zu schaffen.

Welcher Gegenstand/welches Ereignis des Alltags macht dir am meisten Freude?

Ich liebe Rosen.

Dieser Text erscheint im taz.plan. Mehr Kultur für Berlin und Brandenburg immer donnerstags in der Printausgabe der taz.

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